Das Geld. Emile Zola

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Das Geld - Emile Zola Die Rougon-Macquart

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der Wissenschaft den fruchtbaren Boden und das herrliche Klima nutzen konnte. Schon einmal hatte sie dem Wunder beigewohnt, diesem Port Said, das in so wenigen Jahren auf einem kahlen Strand emporgewachsen war – zuerst nur Hütten, die den wenigen Arbeitern der ersten Stunde Obdach gewährten, dann eine Stadt mit zweitausend Seelen, eine Stadt mit zehntausend Seelen, Häuser, riesige Kaufhäuser, ein gigantischer Hafendamm, lebhaftes Treiben und Wohlstand, von menschlichen Ameisen in ihrem Starrsinn geschaffen. Und das war es, was sie erneut vor Augen sah, den unaufhaltsamen Vormarsch, das Drängen des Volkes nach dem größtmöglichen Glück, das Bedürfnis zu handeln, vorwärtszugehen, ohne genau zu wissen wohin, doch unbeschwerter, unter besseren Bedingungen vorwärtszugehen; sie sah den Erdball umgewühlt von dem Ameisenhaufen, der seine Behausung erneuert, und sie sah die fortwährende Arbeit, die Eroberung neuer Genüsse, die verzehnfachte Macht des Menschen, die Erde, die ihm von Tag zu Tag mehr gehört. Das Geld bewirkte diesen Fortschritt, indem es der Wissenschaft half.

      Hamelin, der lächelnd zuhörte, ließ nun ein weises Wort fallen.

      »All das ist die Poesie der Ergebnisse, aber wir sind noch nicht einmal bei der Prosa des Anfangs.«

      Doch Saccard geriet erst in Hitze, wenn er seine Vorstellungen ins Maßlose trieb, und das wurde schlimmer mit dem Tage, als er sich daranmachte, Bücher über den Orient zu lesen, und eine Geschichte über den Feldzug nach Ägypten47 aufschlug. Schon erfüllte ihn die Erinnerung an die Kreuzzüge, diese Rückkehr des Abendlandes an seine Wiege, das Morgenland, jene große Bewegung, die das ferne Europa in die Ursprungsländer zurückgeführt hatte, die noch in voller Blüte standen und wo es soviel zu lernen gab. Allein die große Gestalt Napoleons, der dorthin auszog, um für ein großartiges und geheimnisvolles Ziel Krieg zu führen, berührte ihn noch mehr. Wenn Napoleon davon sprach, Ägypten zu erobern, dort eine französische Niederlassung zu gründen und auf diese Weise Frankreich das Monopol im Levantehandel zu verschaffen, so sagte er gewiß nicht alles; und Saccard wollte in dieser Seite der Expedition, die unklar und rätselhaft geblieben ist, ein für ihn selbst nicht recht durchschaubares Vorhaben von gewaltigem Ehrgeiz sehen, die Wiedererrichtung eines unermeßlichen Reiches: Napoleon, in Konstantinopel zum Kaiser des Orients und Indiens gekrönt, verwirklichte, größer als Caesar48 und Karl der Große49, den Traum Alexanders50. Sagte er nicht auf Sankt Helena, als er von Sidney sprach, dem englischen General, der ihn vor Akka aufgehalten hatte: »Dieser Mann hat mich um mein Glück gebracht.« Und was die Kreuzzüge versucht hatten, was Napoleon51 nicht hatte vollenden können, dieser gigantische Gedanke an die Eroberung des Orients, eine wohldurchdachte, mit Hilfe der zwiefachen Kraft von Wissenschaft und Geld ins Werk gesetzte Eroberung, entflammte Saccard. Da ja die Kultur von Osten nach Westen gewandert war, warum sollte sie eigentlich nicht in den Osten zurückfinden, heimkehren in den ersten Garten der Menschheit, in dieses Eden der hindostanischen Halbinsel, die in der Ermattung der Jahrhunderte dahinschlummerte? Das wäre eine neue Jugend, er erweckte das irdische Paradies zu neuem Leben, machte es durch die Dampfkraft und die Elektrizität erneut bewohnbar, erhob Kleinasien wieder zum Zentrum der Alten Welt als Knotenpunkt der großen natürlichen Verbindungswege zwischen den Kontinenten. Nicht mehr Millionen waren zu verdienen, sondern Milliarden und aber Milliarden.

      Seitdem hatten Hamelin und er allmorgendlich lange Besprechungen. Wenn auch die Hoffnung groß war, so zeigten sich doch zahlreiche Schwierigkeiten von riesigem Ausmaß. Der Ingenieur, der 1862 in Beirut gewesen war, während des entsetzlichen Blutbades, das die Drusen unter den maronitischen Christen anrichteten52 und das Frankreichs Eingreifen erforderlich machte, verhehlte nicht die Hindernisse, auf die man bei diesen Bevölkerungsgruppen stoßen würde, die sich ständig zum Vorteil der türkischen Behörden bekämpften. Allein er besaß in Konstantinopel mächtige Verbindungen, er hatte sich der Unterstützung des Großwesirs Fuad Pascha53 versichert, eines Mannes von echtem Verdienst und erklärten Parteigängers der Reformen; von ihm, so schmeichelte er sich, würde er alle notwendigen Konzessionen bekommen. Obwohl er den unvermeidlichen Bankrott des Osmanischen Reiches prophezeite, sah er andererseits in diesem zügellosen Geldbedürfnis, den Anleihen, die Jahr für Jahr aufgenommen wurden, eher einen günstigen Umstand: eine Regierung in Geldnöten ist, wenn sie keine persönliche Bürgschaft leisten kann, stets bereit, sich mit Privatunternehmen zu verständigen, sobald sie den geringsten Nutzen dabei findet. Und war es nicht eine praktische Art, die ewige und leidige Orientfrage zu lösen, indem man das Reich an großen zivilisatorischen Arbeiten interessierte, indem man es zum Fortschritt führte, damit es nicht mehr diesen ungeheuerlichen Grenzstein zwischen Europa und Asien bildete? Was für eine schöne patriotische Rolle könnten französische Gesellschaften dabei spielen!

      Dann kam Hamelin eines Morgens in aller Ruhe auf das geheime Programm zu sprechen, auf das er manchmal anspielte und das er lächelnd die Krönung des Gebäudes nannte.

      »Wenn wir dann die Herren sind, stellen wir das Königreich Palästina wieder her und setzen dort den Papst ein ... Zunächst wird man sich mit Jerusalem und Jaffa als Seehafen begnügen können. Dann wird Syrien für unabhängig erklärt und angegliedert ... Sie wissen, daß die Zeiten nahe sind, wo das Papsttum wegen der empörenden Demütigungen, denen man es unterwirft, nicht mehr in Rom bleiben kann54. Für jenen Tag müssen wir bereit sein.«

      Saccard hörte ihm offenen Mundes zu, wie er diese Dinge arglos mit dem tiefen Glauben eines Katholiken vorbrachte. Er selbst scheute sich nicht vor überspannten Einfällen, aber nie wäre er so weit gegangen. Dieser Mann der Wissenschaft, der nach außen hin so kühl wirkte, verblüffte ihn. Er rief:

      »Das ist ja verrückt! Die Pforte55 wird Jerusalem nicht hergeben.«

      »Oh, warum nicht?« versetzte Hamelin friedlich. »Sie braucht soviel Geld! Mit Jerusalem hat sie Ärger, so wird sie es billig los. Oft weiß sie nicht, wie sie sich zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften, die sich den Besitz der heiligen Stätten streitig machen, verhalten soll ... Übrigens fände der Papst in Syrien echte Unterstützung bei den Maroniten, denn wie Sie wissen, hat er in Rom ein Kollegium für ihre Priester eingerichtet ... Mit einem Wort, ich habe mir alles gut überlegt, alles vorausgesehen, und eine neue Ära, die triumphale Ära des Katholizismus, wird anbrechen. Vielleicht wird man einwenden, das hieße zu weit gehen, der Papst sei dann gleichsam abgeschnitten von Europa und an seinen Angelegenheiten nicht mehr interessiert. Aber in welchem Glanz wird er erstrahlen, welche Autorität wird er genießen, wenn er an den heiligen Stätten thront und im Namen Christi vom Heiligen Land aus spricht, wo Christus gepredigt hat! Dort ist sein Erbe, dort muß sein Königreich sein. Und seien Sie beruhigt, wir werden dieses Königreich mächtig und fest begründen, wir werden es vor politischen Wirren schützen, indem wir sein Budget aus den Einnahmen des Landes und mit Hilfe einer großen Bank finanzieren, um deren Aktien sich die Katholiken in der ganzen Welt reißen werden.«

      Saccard, der zu lächeln angefangen hatte, war von den Ausmaßen des Vorhabens schon verführt, wenn auch noch nicht ganz überzeugt, aber er konnte sich nicht versagen, dieser Bank mit einem Freudenruf über seinen glücklichen Einfall schon einen Namen zu geben.

      »Die Bank zum Heiligen Grab, was? Prächtig! Das wird ein Geschäft!«

      Er begegnete dem vernünftigen Blick Frau Carolines, die ebenfalls lächelte, aber skeptisch, sogar ein wenig verärgert, und er schämte sich seiner Begeisterung.

      »Trotzdem werden wir, mein lieber Hamelin, gut daran tun, diese Krönung des Gebäudes, wie Sie sagen, geheimzuhalten. Man würde sich über uns lustig machen. Und dann ist unser Programm schon mächtig überlastet, es ist angebracht, seine letzten Konsequenzen, das ruhmreiche Ende, allein den Eingeweihten vorzubehalten.«

      »Zweifellos, das ist immer meine Absicht gewesen«, erklärte der Ingenieur. »Dies wird das Mysterium sein.«

      Und auf dieses Wort hin wurde an jenem Tag endgültig beschlossen, die Mappe auszubeuten, die ganze lange Reihe von Vorhaben in Angriff zu nehmen. Man wollte damit beginnen, ein bescheidenes Kreditinstitut zu schaffen, um die ersten Geschäfte zu tätigen; wenn

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