Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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Kopf mit einer solchen lächelnden Miene hin und her, wie man sie beim Beschauen eines lächerlich ähnlichen Porträts zu machen pflegt.

      »Darin erkenne ich ihn ganz und gar!« sagte er zu der Prinzessin Marja, die zu ihm trat.

      Prinzessin Marja blickte ihren Bruder erstaunt an. Sie begriff nicht, worüber er lächelte. Alles, was ihr Vater tat, erweckte bei ihr eine unbegrenzte, jede Kritik ausschließende Ehrfurcht.

      »Jeder Mensch hat eben seine Achillesferse«, fuhr Fürst Andrei fort. »Daß er mit seinem gewaltigen Verstand so etwas Lächerliches begeht!«

      Der Prinzessin war diese kühne Kritik, die sich der Bruder erlaubte, ganz unfaßbar, und sie schickte sich an, ihm etwas zu erwidern, als sich vom Arbeitszimmer her die erwarteten Schritte hören ließen und der Fürst raschen Schrittes und mit heiterer Miene eintrat; so pflegte er immer zu gehen, wie wenn er absichtlich durch sein eiliges Wesen einen Gegensatz zu der strengen Hausordnung schaffen wollte. In demselben Augenblick schlug die große Uhr zwei, und mit hellem Stimmchen antwortete vom Salon her eine andere. Der Fürst blieb stehen; unter den überhängenden, dichten Brauen hervor musterten seine lebhaften, blitzenden, strengen Augen alle Anwesenden und blieben schließlich auf der jungen Fürstin haften. Die junge Fürstin machte in diesem Augenblick dasselbe Gefühl durch, welches die Hofleute beim Eintreten des Kaisers überkommt, ein Gefühl der Ängstlichkeit und der Ehrfurcht; denn ein solches rief dieser Greis bei allen, die mit ihm in Berührung kamen, hervor. Er streichelte der Fürstin den Kopf und klopfte ihr dann mit einer ungeschickten Bewegung auf den Nacken.

      »Ich freue mich, ich freue mich«, sagte er dabei; dann blickte er ihr noch fest in die Augen, trat schnell von ihr weg und setzte sich auf seinen Platz. »Setzt euch, setzt euch! Michail Iwanowitsch, setzen Sie sich!«

      Er wies der Schwiegertochter ihren Platz neben sich an. Ein Diener rückte den Stuhl für sie zurecht.

      »Hoho!« rief der Alte, indem er einen Blick auf ihre starkgewordene Taille warf. »Du hast dich ja beeilt; das ist nicht gut!«

      Er lachte in einer trockenen, kalten, unangenehmen Manier, so wie er immer lachte, nur mit dem Mund, nicht mit den Augen.

      »Du mußt gehen, möglichst viel gehen, möglichst viel«, setzte er noch hinzu.

      Die kleine Fürstin hatte seine Worte nicht gehört oder nicht hören wollen. Sie schwieg und schien verlegen zu sein. Der Fürst befragte sie nach ihrem Vater, und nun begann die Fürstin zu reden und zu lächeln. Er erkundigte sich bei ihr nach gemeinsamen Bekannten: die Fürstin wurde noch lebhafter; sie begann zu erzählen, bestellte dem Fürsten Grüße und trug Stadtneuigkeiten vor.

      »Die Gräfin Apraxina, die Ärmste, hat ihren Mann verloren und sich fast die Augen darüber ausgeweint«, sagte sie mit immer steigender Lebhaftigkeit.

      Aber in dem Maß, in welchem sie lebhafter wurde, blickte der Fürst sie immer strenger und strenger an, und auf einmal, als ob er sie nun hinreichend kennengelernt und sich ein klares Urteil über sie gebildet habe, wandte er sich von ihr ab und zu Michail Iwanowitsch hin.

      »Nun, hören Sie mal, Michail Iwanowitsch, unserm Bonaparte wird es schlecht ergehen. Wie mir Fürst Andrei« (so nannte er seinen Sohn stets, wenn er zu andern von ihm sprach) »erzählt hat, werden ganz gewaltige Streitkräfte gegen ihn zusammengebracht! Und wir beide haben ihn immer für einen einfältigen Kerl gehalten!«

      Michail Iwanowitsch wußte zwar absolut nicht, wann denn »wir beide« so etwas über Bonaparte gesagt haben sollten; aber er begriff wenigstens so viel, daß diese an ihn gerichteten Worte als Einleitung zu dem Lieblingsgespräch des alten Fürsten dienen sollten, und blickte verwundert auf den jungen Fürsten hin, da ihm noch nicht klar war, wie die Sache sich weiter gestalten werde.

      »Ich habe da nämlich einen großen Taktiker!« sagte der alte Fürst zu seinem Sohn, indem er auf den Baumeister wies.

      Das Gespräch drehte sich nun wieder um den Krieg, um Bonaparte und die jetzigen Generäle und Staatsmänner. Der alte Fürst schien fest überzeugt zu sein, daß die hochgestellten Männer der Jetztzeit sämtlich dumme Jungen seien, die nicht einmal die ersten Elemente der Kriegs- und Staatswissenschaft verständen, und daß Bonaparte ein armseliges Französlein sei, das seinen Erfolg nur dem Umstand zu verdanken habe, daß es jetzt keine Potjomkins und Suworows gebe, die man ihm entgegenstellen könnte. Ja, er war sogar überzeugt, daß gar keine politischen Schwierigkeiten in Europa vorhanden seien, daß keine wirklichen Kriege geführt würden, sondern das Ganze nur eine Art von Puppenkomödie sei, die die jetzigen Menschen aufführten, um den Schein zu erwecken, daß sie etwas Ernstes täten.

      Fürst Andrei ertrug die Spötteleien des Vaters über die Männer der Neuzeit mit gutem Humor, reizte ihn mit offensichtlichem Vergnügen zu weiteren Auslassungen und hörte ihm aufmerksam zu.

      »Alles, was früher gewesen ist, erscheint einem als gut«, erwiderte er. »Aber ist nicht dieser selbe Suworow in die ihm von Moreau gestellte Falle gegangen, aus der er dann nicht wieder herauszukommen verstand?«

      »Wer hat dir das gesagt? Wer hat dir das gesagt?« schrie der Fürst. »Suworow!« (Er schleuderte den Teller von sich, den Tichon noch flink auffing.) »Suworow ...! Überlege, was du sprichst, Fürst Andrei! Zwei große Feldherrn hat's gegeben: Friedrich und Suworow ... Moreau! Moreau wäre gefangengenommen worden, wenn Suworow freie Hand gehabt hätte; aber dieser Hofkriegswurstschnapsrat hielt ihm die Hände fest. Mit dieser schönen Einrichtung kann der Teufel selbst nichts leisten. Geht nur hin; ihr werdet diese Hofkriegswursträte schon kennenlernen! Suworow ist mit ihnen nicht zurechtgekommen; wie soll es da Michail Kutusow zustande bringen? Nein, lieber Freund«, fuhr er fort, »ihr und eure Generäle kommt gegen Bonaparte nicht auf; dazu muß man Franzosen nehmen, damit die Franzosen durch Franzosen geschlagen werden. So hat man ja auch diesen Pahlen nach Amerika, nach New York, geschickt, um den Franzosen Moreau herzuholen.« (Er deutete damit daraufhin, daß in diesem Jahr an Moreau eine Einladung ergangen war, in russische Dienste zu treten.) »Aber zu wunderlich, daß ihr die Deutschen zu Lehrmeistern nehmt! Sind denn etwa die Potjomkins, die Suworows, die Orlows Deutsche gewesen? Nein, mein Lieber, entweder habt ihr alle den Verstand verloren, oder ich bin vor Alter schwachsinnig geworden. Gott gebe euch alles Gute; aber wir werden ja sehen. Bonaparte ist in den Augen dieser Menschen ein großer Feldherr geworden! Hm ...!«

      »Daß auf unserer Seite alle Anordnungen vortrefflich wären, will ich nicht behaupten«, entgegnete Fürst Andrei. »Aber wie Sie so über Bonaparte urteilen können, das ist mir unbegreiflich. Lachen Sie, soviel Sie wollen; aber ein großer Feldherr ist Bonaparte doch!«

      »Michail Iwanowitsch!« rief der alte Fürst dem Baumeister zu, der sich mit dem Braten auf seinem Teller beschäftigte und gehofft hatte, es würde niemand mehr an ihn denken. »Ich habe es Ihnen doch gesagt, daß Bonaparte ein großer Taktiker ist? Sehen Sie wohl, der hier sagt es auch.«

      »Gewiß, Euer Durchlaucht«, antwortete der Baumeister.

      Der Fürst lachte wieder in seiner kalten Manier.

      »Bonaparte ist ein Glückspilz. Die Soldaten, die er hat, sind ausgezeichnet. Da hat er nun zuerst mit den Deutschen zu tun gehabt; na, und um die Deutschen nicht zu besiegen, dazu muß einer schon ein besonders schlapper Kerl sein. Solange die Welt steht, sind die Deutschen noch von allen ihren Gegnern geschlagen worden. Sie aber haben niemand geschlagen. Nur sich untereinander. Bei denen hat er sich seinen Ruhm geholt!«

      Und nun machte sich der Fürst daran, alle Fehler zu erörtern, die Bonaparte, nach seiner Auffassung, in allen seinen Kriegen und selbst in seiner politischen Tätigkeit begangen hatte. Der Sohn erwiderte nichts; aber es war klar, daß er, mochten

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