Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola страница 17
»Sie dürfen rauchen«, sagte Clorinde zu Rougon.
Er dankte, er rauche nie. Sie, ohne sich umzuwenden, rief: »Cavaliere, drehen Sie mir doch eine Zigarette. Tabak muß vor Ihnen auf dem Klavier stehen.«
Und während der Cavaliere die Zigarette drehte, trat wieder Schweigen ein. Rougon, ärgerlich darüber, all diese Leute hier zu finden, wollte gehen und seinen Hut holen. Er trat jedoch wieder vor Clorinde hin, den Kopf erhoben, fragte lächelnd: »Haben Sie mich nicht gebeten, vorbeizukommen, weil Sie mir etwas zeigen wollten?«
Sehr ernst, ganz mit dem Modellstehen beschäftigt, antwortete sie nicht sogleich. Er mußte nochmals fragen: »Was wollten Sie mir denn zeigen?«
»Mich«, sagte sie.
Sie sagte das in einem überlegenen Ton, ohne jede Geste, in ihrer Göttinnenpose auf dem Tisch stehend. Rougon, nun seinerseits sehr ernst, trat einen Schritt zurück, betrachtete sie lange. Und sie war wirklich prachtvoll mit ihrem reinen Profil, ihrem schlanken Hals, den eine abfallende Linie mit den Schultern verband. Vor allem besaß sie jene königliche Schönheit, die Schönheit der Büste. Ihre runden Arme und Beine schimmerten wie Marmor. Ein wenig gebogen dadurch, daß sie die linke Hüfte leicht vorgeschoben hatte, streckte sie die rechte Hand in die Luft und bot so den Blicken eine lange, sehr wirkungsvolle und geschmeidige, in der Taille eingebogene, am Schenkel ausgebogene Linie von der Achselhöhle bis zur Ferse. Mit der anderen Hand stützte sie sich in der ruhig kraftvollen Haltung der antiken Jagdgöttin auf ihren Bogen, unbekümmert um ihre Nacktheit, der Liebe der Männer nicht achtend, kalt, hoheitsvoll, unsterblich.
»Sehr hübsch, sehr hübsch«, murmelte Rougon, der nicht wußte, was er sagen sollte.
In Wahrheit war ihm ihre statuenhafte Regungslosigkeit unbehaglich. Sie schien so sieghaft, so davon überzeugt, klassisch schön zu sein, daß er, wenn er es gewagt hätte, Kritik an ihr geübt haben würde wie an einem Marmorbild, das seine spießbürgerlichen Augen durch gewisse Effekte beleidigte; er hätte eine zierlichere Taille, weniger breite Hüften, eine höher angesetzte Brust vorgezogen. Dann wandelte ihn ein brutales Gelüst an, ihr in die Wade zu greifen. Er mußte etwas zurücktreten, um diesem Gelüst nicht nachzugeben.
»Haben Sie genug gesehen?« fragte Clorinde, immer noch ernst und von sich überzeugt. »Warten Sie, jetzt kommt etwas anderes.«
Und auf einmal war sie nicht mehr Diana. Sie ließ ihren Bogen fallen, sie wurde Venus. Die Hände hinter den Kopf gehoben und in ihren Haarknoten verschlungen, den Oberkörper etwas zurückgebogen, so daß sich die Spitzen der Brüste hoben, lächelte sie, öffnete ein wenig die Lippen und ließ den Blick schweifen, das Gesicht plötzlich wie in Sonne gebadet. Sie wirkte kleiner und als habe sie fleischigere Glieder, ganz vergoldet von einem Schauer des Begehrens, dessen warme Wellen er über ihre seidige Haut rieseln zu sehen vermeinte. Sie kauerte dort, bot sich dar, machte sich begehrenswert, sah aus wie eine unterwürfige Geliebte, die in einer Umarmung ganz und gar genommen werden will.
Herr Brambilla, Herr Staderino und Herr Viscardi spendeten ihr ernsthaft Beifall, ohne ihre finstere Verschwörerstarre aufzugeben.
»Bravo! bravo! bravo!«
Herr La Rouquette brach in Begeisterungsrufe aus, indes der Cavaliere Rusconi, der sich dem Tisch wieder genähert hatte, um dem jungen Mädchen die Zigarette zu reichen, mit verzücktem Blick stehenblieb und leicht den Kopf wiegte, als schlage er damit den Takt seiner Bewunderung.
Rougon sagte nichts. Er schlang die Hände so fest ineinander, daß seine Finger knackten. Ein leichter Kälteschauer hatte ihn soeben vom Nacken bis zu den Fersen überlaufen. Jetzt dachte er nicht mehr daran, fortzugehen; er richtete sich auf Bleiben ein. Sie aber hatte bereits laut lachend, die Zigarette rauchend und mit hochfahrend geschürzten Lippen ihren durch keine Kleidung behinderten Körper wieder aufgerichtet. Sie erzählte, daß sie brennend gern Schauspielerin geworden wäre, alles hätte sie darstellen können, Zorn, Zärtlichkeit, Keuschheit, Entsetzen; und mit einer Haltung, einem Mienenspiel deutete sie Charaktere an. Dann sagte sie ganz plötzlich: »Herr Rougon, möchten Sie, daß ich Sie spiele, wie Sie im Corps législatif reden?«
Sie blähte sich auf, warf sich in die Brust, schnaufend, die Fäuste vorwärtsschleudernd, mit einer so drolligen Mimik, so wahr in der Übertreibung, daß alle vor Entzücken vergingen. Rougon lachte wie ein Kind; er fand sie anbetungswürdig, sehr durchtrieben und sehr beunruhigend.
»Clorinda, Clorinda«, murmelte Luigi und klopfte leicht mit dem Malstock auf seine Staffelei.
Clorinde bewegte sich so viel, daß er nicht weiterarbeiten konnte. Er hatte die Reißkohle beiseite gelegt, um in der bemühten Art eines Schülers dünne Farben auf die Leinwand zu streichen. Inmitten des Gelächters blieb er ernst, warf flammende Blicke auf das junge Mädchen und sah mit einer schrecklichen Miene die Männer an, mit denen sie scherzte. Es war sein Einfall gewesen, sie in diesem Gewand der Jagdgöttin Diana zu malen, von dem seit dem letzten Botschaftsball ganz Paris sprach. Er bezeichnete sich als ihren Vetter, weil sie beide in derselben Straße von Florenz geboren waren. »Clorinda!« wiederholte er in zornigem Ton.
»Luigi hat recht«, sagte sie. »Sie sind nicht ganz gescheit, meine Herren; Sie vollführen einen Lärm! Arbeiten wir, arbeiten wir!«
Und sie nahm wieder ihre olympische Stellung ein. Abermals wurde sie zu einem schönen Marmorbild. Die Herren verharrten auf ihren Plätzen, regungslos, wie angewurzelt. Einzig Herr Rouquette wagte es, mit den Fingerspitzen einen leisen Trommelwirbel auf der Armlehne seines Sessels zu schlagen. Rougon, den Rücken weit hintenübergebogen, sah Clorinde an und geriet nach und nach ins Träumen, von Phantasien überfallen, in denen das junge Mädchen ins Maßlose wuchs. Eine Frau war trotz allem ein seltsamer Mechanismus! Nie war es ihm eingefallen, es zu erforschen. Er begann ungewöhnliche Schwierigkeiten zu ahnen. Für Sekunden hatte er ein sehr deutliches Vorgefühl von der Macht dieser nackten Schultern, die wohl fähig waren, eine Welt ins Wanken zu bringen. Clorinde dehnte sich vor seinen getrübten Augen immer mehr aus, versperrte ihm mit ihrer zu einer riesigen Statue gewordenen Gestalt das ganze Fenster. Doch er schloß und öffnete die Lider, und da fand er sie, sehr viel weniger groß als er selber, wieder auf dem Tisch. Nun mußte er lächeln; wenn er es gewollt hätte, würde er ihr wie einem kleinen Mädchen die Rute gegeben haben; und er wunderte sich, daß er sich einen Augenblick lang vor ihr gefürchtet hatte.
Unterdessen erhob sich am anderen Ende des Raumes ein gedämpftes Stimmengeräusch. Rougon hörte, wie es seine Gewohnheit war, aufmerksam hin, vernahm aber nichts als ein schnelles Murmeln italienischer Silben. Der Cavaliere Rusconi, der sich soeben hinter die Möbel geschlichen hatte, stützte sich, ehrerbietig der Gräfin zugeneigt, mit der Hand auf die Rücklehne ihres Sessels und schien ihr irgend etwas mit allen Einzelheiten zu erzählen. Die Gräfin begnügte sich damit, zustimmend zu nicken. Einmal jedoch machte sie eine Gebärde heftigen Abstreitens, und der Cavaliere beugte sich noch tiefer, beschwichtigte sie mit seiner singenden Stimme, die wie Vogelgezwitscher dahinplätscherte. Dank seiner Kenntnis des Provenzalischen erhaschte Rougon schließlich ein paar Worte, die ihn ernst stimmten.
»Mama«, rief plötzlich Clorinde, »hast du dem Cavaliere die gestern abend gekommene Depesche gezeigt?«
»Eine Depesche!«