Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola

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Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola Die Rougon-Macquart

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sie nichts unter der Spitze hervorschauen. Sie hatte sich das Gewebe so um den Hals gewunden, daß es eine große Krawatte bildete, in die sie das Kinn vergrub. In dieser Hülle, die die Brust gänzlich verdeckte, war sie jetzt bis auf ihr wieder bleich und ernst gewordenes Gesicht ganz und gar schwarz.

      »Nun, was ist mit Ihnen geschehen?« fragte sie. »Erzählen Sie mir alles.«

      Und mit der Freimütigkeit kindlicher Neugier forschte sie ihn aus, wieso er in Ungnade gefallen sei. Sie betonte die Ausländerin, ließ sich bis zu drei Malen Einzelheiten wiederholen, die sie nicht verstanden zu haben behauptete. Sie unterbrach ihn mit Ausrufen in italienischer Sprache, während er in ihren dunklen Augen jeder Regung folgen konnte, die sein Bericht hervorrief. Weshalb er sich mit dem Kaiser überworfen habe? Wieso er auf eine so hohe Stellung habe verzichten können? Wer denn seine Feinde seien, daß er sich so habe unterkriegen lassen? Und da er zögerte, als sie ihn mit der Behauptung, er wolle irgend etwas nicht gestehen, in die Enge trieb, sah sie ihn mit so rührender Treuherzigkeit an, daß er sich gehenließ und ihr die Geschichte vollständig erzählte. Bald hatte sie zweifellos alles erfahren, was sie zu wissen wünschte. Sie warf noch ein paar Fragen hin, die sehr wenig mit dem Thema zu tun hatten und deren Seltsamkeit Rougon erstaunte. Dann saß sie mit gefalteten Händen da und schwieg. Sie hielt die Augen geschlossen. Sie dachte tief nach.

      »Nun?« fragte er lächelnd.

      »Nichts«, murmelte sie, »es hat mich traurig gemacht.«

      Er war gerührt und versuchte, abermals ihre Hände zu fassen, doch sie verbarg sie unter der Spitze, und das Schweigen dauerte an. Nach Verlauf von zwei langen Minuten hob sie die Lider wieder und sagte: »Sie haben also irgendwelche Pläne?«

      Er sah sie fest an. Flüchtig tauchte ein Verdacht in ihm auf. Aber sie war jetzt so anbetungswürdig, wie sie da in der Haltung einer Leidenden tief im Sessel lag, als hätten die Kümmernisse ihres »lieben Freundes« sie aller Kraft beraubt, daß er sich nicht an das leichte Frösteln kehrte, das ihm soeben über den Nacken gerieselt war. Sie schmeichelte ihm sehr. Gewiß werde er nicht lange abseits bleiben, eines Tages werde er wieder der Herr sein. Sie sei überzeugt, daß er sich mit großen Gedanken trage und seinem Stern vertraue, denn das stehe ihm an der Stirn geschrieben. Weshalb er sie nicht zu seiner Vertrauten mache? Sie sei so verschwiegen, es würde sie so beglücken, seine Zukunft mit ihm zu teilen! Berauscht, immer noch bestrebt, die kleinen Hände, die sich in der Spitze verbargen, wieder zu erwischen, sprach Rougon weiter, sprach immerzu, gab schließlich alles preis, seine Hoffnungen, seine Gewißheiten. Sie drängte ihn nicht mehr, ließ ihn ungestört weiterreden, rührte sich nicht, aus Angst, er könnte dann aufhören. Sie betrachtete ihn forschend, zergliederte ihn Stück für Stück, untersuchte seinen Schädel, wog seine Schultern, maß seine Brust. Das war entschieden ein starker Mann, der sie, so kräftig sie auch war, sich mit einem Handgriff auf den Rücken geworfen und sie ohne weiteres so hoch hinaufgetragen haben würde, wie sie gewollt hätte.

      »Ach, der liebe Freund!« sagte sie plötzlich. »Was mich betrifft, ich habe nie gezweifelt!«

      Sie hatte sich halb erhoben, hatte die Arme ausgebreitet und die Spitze zu Boden gleiten lassen. Nun kam sie wieder zum Vorschein, noch nackter, bot sich widerstandslos dar, ließ die Schultern mit einer so geschmeidigen Bewegung einer verliebten Katze aus der Gaze schlüpfen, daß sie aus dem Oberteil ihres Gewandes herauszuspringen schien. Es war eine jähe Vision, als gewähre sie Rougon eine Belohnung und ein Versprechen. Und war nicht nur das Stück Spitze herabgeglitten? Schon hob sie es auf, schlang es fester um sich.

      »Pst!« flüsterte sie, »Luigi wird böse.«

      Und sie lief zu dem Maler hin, beugte sich abermals über ihn und sprach, den Mund dicht an seinem Halse, sehr schnell auf ihn ein. Rougon rieb sich, als sie nicht mehr bebend vor Lebendigkeit bei ihm war, heftig die Hände, war nervös, beinahe ärgerlich. Sie rief bei ihm ein seltsames Prickeln auf der Haut hervor. Und er fluchte auf sie. Mit zwanzig Jahren hätte er sich nicht dümmer anstellen können. Sie hatte ihm soeben wie einem Kind Geständnisse entlockt, ihm, der seit zwei Monaten versuchte, sie zum Reden zu bringen, ohne ihr etwas anderes abzugewinnen als herzliches Gelächter. Sie hatte ihm nur einen Augenblick lang ihre Hände zu entziehen brauchen, und schon hatte er sich soweit vergessen, alles zu erzählen, damit sie sie ihm wieder reichte. Jetzt – das wurde ihm klar – würde sie ihn erobern; sie erwog wohl schon, ob es noch der Mühe lohne, ihn zu verführen.

      Rougon lächelte mit der Überlegenheit eines starken Mannes. Er würde sie zerbrechen, wenn er es wollte. War nicht sie es, die ihn herausforderte? Und unredliche Gedanken stiegen in ihm auf, ein ganzer Verführungsplan, in dessen Verfolg er sie sitzenlassen würde, nachdem er sie besessen. Er konnte wahrlich nicht diesem erwachsenen Mädchen gegenüber, die in solcher Art ihre Schultern zeigte, die Rolle eines Einfaltspinsels spielen. Dennoch war er nicht mehr ganz sicher, ob die Spitze nicht von selber herabgeglitten war.

      »Finden Sie, daß ich graue Augen habe?« fragte Clorinde, die wieder zu ihm kam.

      Er stand auf, sah sie aus nächster Nähe an, ohne dadurch die klare Ruhe ihrer Augen zu trüben. Doch als er die Hände vorstreckte, gab sie ihm einen leichten Schlag. Es sei nicht nötig, daß er sie berühre. Sie war jetzt sehr kalt. Mit einer Schamhaftigkeit, die sich über die kleinsten Lücken beunruhigte, wickelte sie sich in ihren Spitzenlappen. Mochte er auch seinen Spott mit ihr treiben, sie necken, Miene machen, Gewalt zu gebrauchen, sie verhüllte sich nur um so mehr, stieß kleine Schreie aus, wenn er die Spitze streifte. Außerdem wollte sie sich nicht wieder hinsetzen.

      »Ich möchte lieber ein bißchen gehen«, sagte sie, »das macht meine Beine gelenkig.«

      Da begleitete er sie. Sie wanderten zusammen auf und ab. Er versuchte, ihr nun seinerseits Geständnisse zu entlocken. Für gewöhnlich antwortete sie nicht auf Fragen. Sie hatte eine Art, sprunghaft zu plaudern, unterbrochen von Ausrufen, untermischt mit Geschichtchen, die sie niemals zu Ende erzählte. Als er sie mit List über eine zweiwöchige Abwesenheit in Gesellschaft ihrer Mutter im Monat zuvor befragte, reihte sie eine nicht endende Folge von Anekdoten über diese Reisen aneinander. Sie sei überall gewesen, in England, Spanien, Deutschland; alles habe sie gesehen. Daran schloß sich ein Regen unwichtiger kindischer Beobachtungen über das Essen, die Moden, das jeweilige Wetter. Zuweilen begann sie etwas zu erzählen, wobei sie sich mit bekannten Persönlichkeiten, deren Namen sie anführte, in Szene setzte. Rougon spitzte die Ohren, glaubte, sie werde sich endlich eine vertrauliche Äußerung entfahren lassen; aber die Erzählung schlug in Kinderei um oder blieb wohl auch ohne Abschluß. Auch an diesem Tage erfuhr er nichts. Auf ihrem Gesicht lag das Lächeln, hinter dem sie sich verbarg. Sie blieb trotz all ihren geschwätzigen Ergüssen undurchdringlich.

      Betäubt von diesen verwirrenden Mitteilungen, von denen die einen die anderen Lügen straften, wußte Rougon schließlich nicht mehr, ob er ein zwölfjähriges, bis zur Dummheit unschuldiges Mädelchen vor sich habe oder eine sehr gescheite Frau, die aus Raffinement zur Einfalt zurückgekehrt war.

      Clorinde unterbrach sich in der Erzählung eines Abenteuers, das sie in einer kleinen spanischen Stadt erlebt hatte, wo sie das Bett, das ein Reisender ihr aus Ritterlichkeit angeboten, habe annehmen müssen, während er auf einem Stuhl schlief. »Sie sollten nicht in die Tuilerien zurückkehren«, sagte sie ohne jeden Übergang. »Man muß Sie dort vermissen.«

      »Danke schön, Fräulein Machiavelli«, erwiderte er lachend.

      Sie lachte lauter als er. Aber dennoch fuhr sie fort, ihm ausgezeichnete Ratschläge zu geben. Und als er wieder versuchte, sie wie im Spiel in den Arm zu kneifen, wurde sie böse, schrie, man könne keine zwei Minuten lang ernsthaft reden. Ach, wenn sie ein Mann wäre. Wie gut würde sie es verstehen, ihren Weg zu machen! Die Männer hatten so wenig Verstand!

      »Kommen Sie, erzählen Sie mir die Lebensgeschichten

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