Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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»Aber so begreife doch nur, daß ich gar kein Verlangen danach habe«, antwortete Wronski. »Mein einziger Wunsch ist, daß alles bleiben möge, wie es bisher gewesen ist.«
Serpuchowskoi stand auf und stellte sich gerade vor ihn hin.
»Du sagst, alles möge bleiben wie bisher. Ich verstehe, was für ein Sinn dahinter steckt. Aber höre: wir sind gleichaltrig; vielleicht hast du der Zahl nach mehr Frauen kennengelernt als ich.« Durch sein Lächeln und seine Handbewegungen gab Serpuchowskoi zu verstehen, Wronski habe nichts zu befürchten; er werde den wunden Punkt nur ganz zart und vorsichtig berühren. »Aber ich bin verheiratet, und glaube mir (ich habe das auch irgendwo gedruckt gelesen), wenn man nur seine eigene Frau, die man liebt, kennengelernt hat, so kennt man dadurch die Frauen in ihrer Gesamtheit besser, als wenn man ihrer Tausende kennengelernt hätte.«
»Wir kommen sofort!« rief Wronski einem Offizier zu, der in das Zimmer hineinblickte und sie zum Regimentskommandeur rief.
Wronski wollte jetzt gern zu Ende hören, um zu erfahren, was Serpuchowskoi ihm eigentlich zu sagen beabsichtige.
»Und siehst du, meine Ansicht ist die. Die Frauen sind der hauptsächlichste Stein des Anstoßes für das Wirken des Mannes. Es ist schwer, ein Weib zu lieben und sich dabei irgendwelcher ernsten Tätigkeit zu widmen. Um wirken und dabei zugleich behaglich und ungestört lieben zu können, dazu gibt es nur ein Mittel: die Ehe. Wenn ich dir nur deutlich ausdrücken könnte, was ich meine«, sagte Serpuchowskoi, der gern Bilder und Vergleiche anwendete, »warte mal, warte mal! Wie man ein fardeau zu tragen und dabei doch etwas mit den Händen zu tun nur dann imstande ist, wenn das fardeau auf dem Rücken festgebunden ist, so ist das auch mit der Ehe. Und das habe ich an mir selbst empfunden, als ich mich verheiratet hatte. Auf einmal waren mir die Hände frei geworden. Aber wenn man ohne Ehe dieses fardeau mit sich umherschleppt, dann hat man beide Hände so voll, daß man nichts anderes tun kann. Sieh nur Masankow und Krupow an. Sie haben sich um der Weiber willen ihre ganze Laufbahn verdorben.«
»Aber was waren das auch für Weiber!« rief Wronski, da er an die Französin und an die Schauspielerin dachte, mit denen die beiden genannten Männer Verhältnisse hatten.
»Die Sache ist um so schlimmer, je fester die Stellung einer Frau in der Gesellschaft ist; um so schlimmer. Das ist dann so, wie wenn man das fardeau nicht einfach mit den Händen zu tragen hat, sondern es einem andern wegreißen muß.«
»Du hast nie geliebt«, sagte Wronski leise. Er blickte gerade vor sich hin und dachte an Anna.
»Kann sein. Aber denke an das, was ich dir gesagt habe. Und noch eins: die Frauen haben sämtlich eine materiellere Anschauungsweise als die Männer. Wir machen uns aus der Liebe ein gewaltiges Ideal; aber sie sind immer terre à terre.«
»Gleich, gleich!« rief er einem eintretenden Diener zu. Aber der Diener war nicht gekommen, um sie nochmals zu rufen, wie Serpuchowskoi gedacht hatte. Er brachte einen Brief für Wronski.
»Ein Diener der Fürstin Twerskaja hat dies für Sie gebracht.« Wronski öffnete den Brief und wurde dunkelrot.
»Ich habe Kopfschmerzen bekommen und möchte nach Hause gehen«, sagte er zu Serpuchowskoi.
»Na, also dann auf Wiedersehn! Gibst du mir carte blanche?«
»Wir können später noch darüber reden; ich besuche dich in Petersburg.«
22
Es war schon zwischen fünf und sechs Uhr; um daher rechtzeitig hinzukommen und dabei doch nicht mit seinen eigenen Pferden zu fahren, die allen Leuten bekannt waren, setzte sich Wronski in Jaschwins Mietskutsche und befahl dem Kutscher, so schnell wie irgend möglich zu fahren. Die alte viersitzige Mietskutsche war sehr geräumig; er setzte sich in eine Ecke, legte die Beine auf den Vordersitz und überließ sich seinen Gedanken.
Ein dunkles Bewußtsein, daß er seine Geldangelegenheit ins klare gebracht hatte, eine dunkle Erinnerung an das freundschaftliche Benehmen und die schmeichelhaften Äußerungen Serpuchowskois, der ihn als einen Mann betrachtete, den der Staat notwendig brauche, und vor allem die Spannung auf das bevorstehende Stelldichein: alles floß bei ihm zu dem allgemeinen Gefühle der Lebensfreude zusammen. Dieses Gefühl war so stark, daß er unwillkürlich lächelte. Er nahm die Beine von dem Sitze herunter, legte das eine auf das Knie des andern, befühlte die straffe Wade des Beines, das er sich gestern bei dem Sturze verletzt hatte, lehnte sich dann zurück und seufzte mehrmals mit ganzer Brust.
›Gut, sehr gut!‹ sagte er zu sich selbst. Auch früher war er sich oft der Gesundheit und Kraft seines Körpers mit lebhafter Freude bewußt gewesen; aber noch niemals hatte er sich selbst, seinen Körper, so geliebt wie gerade jetzt. Es machte ihm Vergnügen, diesen leichten Schmerz in dem kräftigen Beine zu empfinden; es machte ihm Vergnügen, die Bewegungen seiner Brustmuskeln beim Atmen zu fühlen. Derselbe klare, kalte Augusttag, der dazu beitrug, Anna in eine hoffnungslose Stimmung zu versetzen, wirkte auf ihn ermunternd und belebend und erfrischte ihm Gesicht und Hals, die ihm von dem Übergießen mit Wasser brannten. Der Geruch der Brillantine in seinem Schnurrbart war ihm in dieser frischen Luft besonders angenehm. Alles, was er durch das Wagenfenster sah, alles erschien ihm in dieser kalten, reinen Luft, in dieser blassen Abendbeleuchtung ebenso frisch, heiter und kräftig, wie er selbst es war: die Hausdächer, die in den Strahlen der sinkenden Sonne glänzten, und die scharfen Umrisse der Zäune und Gebäude und die Gestalten der ihm ab und zu begegnenden Fußgänger und Geschirre und das von keinem Lufthauche bewegte grüne Laub der Bäume und Gras der Wiesen und die Kartoffelfelder mit den regelmäßig gezogenen Furchen und die schrägen Schatten, welche die Häuser und die Bäume und die Sträucher und sogar die erhöhten Streifen zwischen den Furchen der Kartoffelfelder warfen, alles war so hübsch wie ein nettes Landschaftsgemälde, das soeben fertiggestellt und lackiert ist.
»Fahr tüchtig zu!« rief er, sich aus dem Fenster beugend, dem Kutscher zu und reichte ihm, als er sich umwandte, einen Dreirubelschein, den er schon vorher aus der Tasche geholt hatte. Die Hand des Kutschers tastete nach der bei der Wagenlaterne steckenden Peitsche; ein energischer Hieb klatschte, und der Wagen rollte schnell auf der ebenen Chaussee dahin.
›Nichts brauche ich weiter als dieses Glück, nichts weiter‹, dachte er. Er blickte dabei nach dem knöchernen Klingelgriff in dem Zwischenraum zwischen den beiden Vorderfenstern und vergegenwärtigte sich Anna in der Gestalt, wie er sie das letztemal gesehen hatte. ›Und ich liebe sie je länger, je mehr. Da ist ja auch der Park, wo die Hofdame ihre Dienstwohnung hat. Wo ist denn Anna? Wo denn? Und warum hat sie die Zusammenkunft hier anberaumt, und warum schreibt sie in einem Briefe Betsys?‹ Erst jetzt fiel ihm dies ein; aber er hatte keine Zeit mehr zum Nachdenken. Er hieß den Kutscher halten, noch ehe sie die Allee erreicht hatten, öffnete den Schlag, sprang noch im Fahren aus dem Wagen und ging in die Allee, die nach dem Hause führte. In der Allee war niemand; aber als er nach rechts schaute, erblickte er Anna. Ihr Gesicht war mit einem Schleier bedeckt; aber mit freudigem Blicke umfaßte er die besondere, ihr allein eigene Bewegung beim Gehen, die Neigung der Schultern und die Haltung des Kopfes und hatte in demselben Augenblicke die Empfindung, als ob ihm ein elektrischer Schlag durch den Körper ginge. Von neuem wurde er sich seiner eigenen Kraft und Gesundheit bewußt, von den federnden Bewegungen der Beine bis zu den Bewegungen der Lunge beim Atmen und er hatte ein Gefühl, wie wenn ihm etwas die Lippen kitzelte.
Als