Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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»Ist denn nicht eine Scheidung möglich?« fragte er leise. Sie schüttelte, ohne zu antworten, den Kopf. »Kannst du denn nicht deinen Sohn mit dir nehmen und ihn trotzdem verlassen?«
»Ja; aber das hängt alles von ihm ab. Jetzt muß ich zu ihm hinfahren«, sagte sie trocken. Ihre Ahnung, daß alles beim alten bleiben werde, hatte sie nicht getäuscht.
»Dienstag werde ich in Petersburg sein«, sagte Wronski. »Da wird alles zur Entscheidung kommen.«
»Ja«, erwiderte sie. »Aber wir wollen nicht mehr darüber sprechen.«
Annas Wagen, den sie weggeschickt hatte mit der Weisung, sich nach einiger Zeit am Gittertor des Wredeschen Parks wieder einzufinden, näherte sich. Anna nahm Abschied von Wronski und fuhr nach Hause.
23
Am Montag fand eine ordentliche Sitzung der Kommission vom 2. Juni statt. Alexei Alexandrowitsch trat in den Sitzungssaal, begrüßte die Mitglieder und den Vorsitzenden wie gewöhnlich, setzte sich auf seinen Platz und legte die Hand auf die vor ihm bereitliegenden Papiere. Unter diesen Papieren befanden sich auch die erforderlichen Unterlagen und eine skizzenartige Gliederung der Rede, die er zu halten gedachte. Übrigens hatte er diese Unterlagen eigentlich gar nicht nötig. Er hatte alles im Kopfe und hielt es nicht für notwendig, sich das, was er sagen wollte, vorher noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen. Er wußte, daß, wenn der Augenblick da sein und er das Gesicht seines Gegners vor sich sehen werde, der vergeblich bemüht sein werde, eine gleichmütige Miene zu machen, daß dann seine Rede ganz von selbst besser dahinströmen werde, als wenn er sich jetzt noch so sehr vorbereitete. Er war sich bewußt, daß der Inhalt seiner Rede so gewaltig und wuchtig war, daß jedes Wort ein Keulenschlag sein werde. Indessen machte er, während er den üblichen Bericht mit anhörte, die allerunschuldigste, harmloseste Miene. Seine weißen, von hervortretenden Adern überzogenen Hände tasteten mit den langen Fingern sanft an den beiden Rändern des vor ihm liegenden weißen Papierbogens umher; den Kopf hielt er mit einem Ausdruck von Müdigkeit zur Seite geneigt; niemand, der ihn so sah, hätte gedacht, daß seinem Munde im nächsten Augenblick Worte entströmen würden, die einen furchtbaren Sturm hervorrufen, die Mitglieder zu laut herausgeschrienen, einander unterbrechenden Erwiderungen veranlassen und den Vorsitzenden zwingen würden, zur Beobachtung der ordnungsmäßigen Formen zu mahnen. Als der Bericht beendet war, erklärte Alexei Alexandrowitsch mit seiner leisen, hohen Stimme, er habe einige Erwägungen in Sachen der Verwaltungseinrichtungen der Fremdvölker vorzutragen. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden wandte sich ihm zu. Alexei Alexandrowitsch räusperte sich und begann seine Gedanken darzulegen; dabei blickte er nicht seinen Gegner an, sondern wählte sich dazu, wie er es immer beim Vortrage seiner Reden tat, die erste vor ihm sitzende Person aus, einen kleinen, friedlichen alten Mann, der niemals in der Kommission eine eigene Meinung hatte. Als er das organische Grundgesetz erwähnte, sprang sein Gegner in die Höhe und begann zu widersprechen. Stremow, der gleichfalls Mitglied der Kommission war und sich gleichfalls empfindlich gekränkt fühlte, suchte sich zu rechtfertigen, und die Sitzung nahm überhaupt einen sehr stürmischen Charakter an; aber Alexei Alexandrowitsch triumphierte als Sieger, sein Vorschlag wurde angenommen, es wurden drei neue Kommissionen ernannt, und am andern Tage war in gewissen Petersburger Kreisen von nichts anderem als von dieser Sitzung die Rede. Alexei Alexandrowitschs Erfolg war sogar größer, als er es selbst erwartet hatte.
Am andern Morgen, am Dienstag, erinnerte sich Alexei Alexandrowitsch, sowie er aufgewacht war, mit Vergnügen an seinen gestrigen Sieg, und obgleich er sich Mühe gab, gleichmütig zu erscheinen, konnte er doch ein Lächeln nicht unterdrücken, als der Subdirektor in dem Wunsche, ihm etwas Schmeichelhaftes zu sagen, ihm von den Gerüchten Mitteilung machte, die ihm über die Vorgänge in der Kommission zu Ohren gekommen seien.
Über den Besprechungen mit dem Subdirektor hatte Alexei Alexandrowitsch vollständig vergessen, daß heute Dienstag war, der Tag, den er für Anna Arkadjewnas Übersiedlung angesetzt hatte, und er war erstaunt und unangenehm überrascht, als der Diener kam und ihm ihre Ankunft meldete.
Anna war früh am Vormittag in Petersburg angekommen; auf ein Telegramm von ihr war der Wagen hinausgeschickt worden, um sie zu holen, und sie hatte daher angenommen, daß Alexei Alexandrowitsch ihre Ankunft erwarte. Aber als sie ankam, empfing er sie nicht. Es wurde ihr gesagt, er sei noch nicht aus seinem Zimmer herausgekommen und arbeite mit dem Subdirektor. Sie befahl, ihrem Manne zu melden, daß sie angekommen sei, ging in ihr Zimmer und beschäftigte sich mit dem Einräumen ihrer Sachen, in der Erwartung, daß er zu ihr kommen werde. Aber es verging eine Stunde, und er war noch nicht zu ihr gekommen. Sie ging in das Eßzimmer, unter dem Vorwande, dort etwas anordnen zu müssen, und sprach absichtlich laut, in der Erwartung, er werde dorthin kommen. Aber er kam nicht, obwohl sie hörte, daß er bis zur Tür seines Arbeitszimmers dem Subdirektor das Geleit gab. Sie wußte, daß er seiner Gewohnheit gemäß nun bald zum Dienste wegfahren werde, und hätte gern noch vorher mit ihm gesprochen, um ihre künftigen Beziehungen zu regeln.
Sie ging ein paarmal im Salon auf und ab und begab sich dann entschlossen zu ihm. Als sie in sein Arbeitszimmer trat, saß er in seiner Dienstuniform, augenscheinlich zur Abfahrt bereit, an einem kleinen Tische, auf den er die Ellbogen stützte, und blickte trübe vor sich hin. Sie sah ihn früher als er sie, und sie sagte sich, daß er an sie dachte.
Als er sie erblickte, wollte er zunächst aufstehen, besann sich aber dann eines anderen. Hierauf wurde er dunkelrot, was Anna früher nie an ihm gesehen hatte, stand nun schnell auf und ging ihr entgegen, wobei er ihr nicht in die Augen blickte, sondern höher hinauf, auf die Stirn und das Haar. Er trat zu ihr, ergriff ihre Hand und bat sie, sich zu setzen.
»Ich freue mich sehr, daß Sie gekommen sind«, sagte er, indem er neben ihr Platz nahm; er wollte offenbar noch weiden, aber er stockte. Mehrmals wollte er zu sprechen anfangen, hielt aber immer wieder inne. Sie hatte zwar, als sie sich auf diese Zusammenkunft vorbereitete, sich absichtlich in der Anschauung befestigt, daß er ein verächtlicher Mensch sei und allein die Schuld trage; aber jetzt wußte sie doch nicht, was sie zu ihm sagen sollte, und er tat ihr leid. So dauerte das Schweigen ziemlich lange. »Ist Sergei gesund?« fragte er und fügte, ohne die Antwort abzuwarten, hinzu: »Ich werde heute nicht zum Mittagessen hier sein und muß gleich wegfahren.«
»Ich wollte nach Moskau fahren«, bemerkte sie.
»Nein, Sie haben sehr, sehr gut daran getan, daß Sie hierhergekommen sind«, sagte er und verstummte wieder.
Da sie sah, daß er nicht imstande war, die Auseinandersetzung zu beginnen, so fing sie selbst an.
»Alexei Alexandrowitsch«, sagte sie, indem sie ihn anblickte und die Augen nicht vor seinem auf ihre Frisur gerichteten Blicke niederschlug, »ich habe mich vergangen, ich bin ein schlechtes Weib; aber ich bin noch dieselbe, die ich war, dieselbe, als die ich mich damals Ihnen zu erkennen gegeben habe, und ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich daran nichts ändern kann.«
»Ich habe Sie nicht danach gefragt«, versetzte er und schaute ihr plötzlich mit festem, haßerfülltem Blicke gerade in die Augen. »Ich habe das auch vorausgesetzt.« Der Zorn verhalf ihm offenbar wieder zum Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten. »Aber was ich Ihnen damals gesagt und nachher geschrieben habe«, fuhr er mit seiner scharfen, hohen Stimme fort, »das wiederhole ich Ihnen jetzt: ich bin nicht verpflichtet, dies zu wissen. Ich ignoriere es. Nicht alle Gattinnen haben wie Sie die Güte, so eilig ihren Ehemännern eine so angenehme Mitteilung zu machen.« Er legte einen besonderen Nachdruck auf das Wort angenehm. »Ich werde es so lange ignorieren, wie die Welt nichts davon weiß, so lange, wie mein Name nicht befleckt ist. Und darum beschränke ich mich darauf,