Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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»Was haben denn die Weiber sonst zu tun? Sie tragen die Häufchen an den Weg, und der Wagen sammelt sie ein und bringt sie nach Hause.«
»Ja, aber siehst du, wir Gutsbesitzer haben mit den Arbeitsleuten immer unsere liebe Not«, sagte Ljewin und reichte ihm ein Glas Tee hin.
»Danke sehr«, sagte der Alte und nahm das Glas; aber den angebotenen Zucker lehnte er ab, indem er auf den noch übrigen Rest des Stückes hinwies, von dem er bis jetzt abgebissen hatte. »Wie kann man überhaupt mit Arbeitsleuten wirtschaften?« sagte er. »Dabei geht man zugrunde. Sehen Sie zum Beispiel Swijaschski an! Wir wissen, welch vorzügliches Land er hat, die reine Pracht; aber seine Ernte lobt er trotzdem nicht sonderlich. Die Aufsicht bleibt doch immer mangelhaft.«
»Aber du wirtschaftest doch auch selbst mit Arbeitsleuten?«
»Wir sind gewohnt, Bauernarbeit zu verrichten, und sind überall selbst mit dabei. Ist ein Arbeiter schlecht, dann muß er weg; nötigenfalls schaffe ich es auch mit den Leuten aus meiner Familie.«
»Vater, Finogen möchte Teer haben«, berichtete, ins Zimmer tretend, die Frau mit den Gummischuhen.
»Ja, so ist das, gnädiger Herr!« sagte der Alte, stand auf, bekreuzte sich umständlich, bedankte sich bei Ljewin und ging hinaus.
Als Ljewin in die gewöhnliche Wohnstube trat, um seinen Kutscher herauszurufen, erblickte er die sämtlichen männlichen Mitglieder der Familie am Tische. Die Frauen standen und warteten ihnen auf. Der eine junge, kerngesunde Haussohn erzählte gerade, den Mund voll Grütze, etwas Komisches, und alle lachten, besonders lustig die Frau mit den Gummischuhen, die Kohlsuppe in einen Napf goß.
Sehr möglich, daß das hübsche Gesicht dieser jungen Frau mit den Gummischuhen viel zu dem Eindruck guter Ordnung beitrug, den dieses Bauernhaus auf Ljewin machte; jedenfalls war dieser Eindruck so stark, daß er sich bei Ljewin niemals wieder verlor. Und während der ganzen Fahrt von dem Alten zu Swijaschski mußte er immer wieder an diese Wirtschaft denken, als ob etwas daran seiner ganz besonderen Beachtung würdig sei.
26
Swijaschski war Adelsmarschall in seinem Kreise. Er war fünf Jahre älter als Ljewin und schon lange verheiratet. Bei ihm im Hause wohnte auch seine junge unverheiratete Schwägerin, die Ljewin sehr sympathisch war. Und er wußte, daß Swijaschski und seine Frau den lebhaften Wunsch hegten, aus ihm und diesem jungen Mädchen ein Paar zu machen. Er wußte das unzweifelhaft, wie das junge Männer, sogenannte Heiratskandidaten, immer wissen, wiewohl er nie mit jemandem darüber hätte sprechen mögen; aber er wußte auch, daß, obwohl er gern heiraten wollte, und obwohl, nach allen Anhaltspunkten zu urteilen, dieses anziehende junge Mädchen eine vortreffliche Gattin zu werden versprach, er ebensowenig sie heiraten konnte wie in den Himmel fliegen, selbst wenn er nicht in Kitty Schtscherbazkaja verliebt gewesen wäre. Und dieses Bewußtsein war eine unangenehme Beigabe zu dem Vergnügen, das er sich von der Fahrt zu Swijaschski erhoffte.
Als Ljewin Swijaschskis Brief mit der Einladung zur Jagd erhalten hatte, war ihm dies alles sofort in den Sinn gekommen; aber er hatte sich trotzdem gesagt, eigentlich sei es doch nur eine ganz grundlose Annahme von ihm, wenn er bei Swijaschski solche Absichten auf seine Person voraussetze; er könne also ruhig hinfahren. Außerdem stak bei ihm noch in einem verborgenen Winkel seiner Seele der Wunsch, mit sich selbst noch einmal eine Probe vorzunehmen, sich und dieses junge Mädchen noch einmal vergleichend miteinander zusammenzuhalten. Das häusliche Leben bei Swijaschski war höchst angenehm, und Swijaschski selbst war als der beste Typus eines eifrigen Mitgliedes der ländlichen Selbstverwaltung, den Ljewin je gekannt hatte, für ihn immer eine außerordentlich interessante Persönlichkeit gewesen.
Swijaschski gehörte zu einer Menschenklasse, über die sich Ljewin immer sehr wunderte, nämlich zu den Menschen, bei denen das sehr logische, wiewohl niemals selbständige Denken seinen Gang für sich hat und das recht bestimmte, in seiner Richtung feste Handeln auch seinen Gang für sich hat, und zwar ganz unabhängig vom Denken und fast immer im Widerspruche mit ihm. Swijaschski war in seinen Ansichten außerordentlich fortschrittlich. Er verachtete den Adel und war überzeugt, daß die meisten Adligen geheime Anhänger der Leibeigenschaft seien und nur aus Zaghaftigkeit es nicht eingestehen wollten. Er hielt Rußland für ein dem Untergange verfallenes Land, ähnlich wie die Türkei, und die Regierung Rußlands für so schlecht, daß er sich niemals darauf einließ, ihre Handlungen überhaupt auch nur ernsthaft zu kritisieren. Aber zugleich versah er ein Amt und war ein musterhafter Adelsmarschall und trug auf Reisen immer die Dienstmütze mit der Kokarde und dem roten Randstreifen. Er war der Meinung, ein menschenwürdiges Leben sei nur im Auslande möglich, wohin er denn auch, sooft es ihm nur möglich war, zu längerem Aufenthalte reiste; aber dabei leitete er in Rußland einen sehr verwickelten, vervollkommneten landwirtschaftlichen Betrieb, verfolgte alles mit außerordentlichem Interesse und wußte alles, was in Rußland geschah. Er hielt den russischen Bauer für eine Art Übergangsstufe zwischen Affen und Menschen; aber dabei drückte er bei den landschaftlichen Wahlversammlungen mit besonderer Vorliebe gerade den Bauern die Hand und ließ sich von ihnen ihre Meinungen vortragen. Er glaubte nicht an Himmel und Hölle; aber er interessierte sich sehr für die Aufbesserung der äußeren Lage der Geistlichkeit und für eine Verkleinerung der Zahl der Kirchspiele, wobei ihm besonders am Herzen lag, daß nur auch ja die Kirche in seinem Dorfe verbliebe.
In der Frauenfrage war er auf seiten der extremsten Verfechter der vollen Freiheit der Frauen und namentlich ihres Rechtes auf Arbeit; aber mit seiner Frau lebte er so, daß jedermann an ihrem einträchtigen, kinderlosen Familienleben seine Freude hatte, und er hatte das Leben seiner Frau so eingerichtet, daß sie nichts zu tun brauchte und auch nichts weiter tun konnte, als daß sie mit ihrem Manne gemeinsam überlegte, wie sie die Zeit am besten und vergnügtesten verbringen könnten.
Hätte Ljewin nicht die Eigenheit an sich gehabt, die Charaktere der Menschen in möglichst günstiger Weise zu beurteilen, so würde ihm Swijaschskis Charakter keinerlei Schwierigkeit bereitet und keinerlei Zweifel erregt haben; er hätte sich gesagt: ›Er ist ein Dummkopf oder ein Lump‹, und alles wäre klar gewesen. Aber einen Dummkopf konnte er ihn nicht nennen; denn Swijaschski war zweifellos nicht nur ein sehr kluger, sondern auch ein sehr gebildeter Mann, der mit seiner Bildung in keiner Weise prahlte. Es gab kein Gebiet, auf dem er nicht Bescheid gewußt hätte; aber er zeigte sein Wissen nur, wenn er sich dazu genötigt sah. Und noch weniger konnte Ljewin sagen, daß er ein Lump sei; denn Swijaschski war zweifellos ein ehrenhafter, guter, braver Mensch, der heiter, frisch und unermüdlich eine von seiner gesamten Umgebung hoch bewertete Tätigkeit entfaltete und gewiß nie mit Bewußtsein etwas Schlechtes getan hatte und dessen auch nicht fähig war.
Ljewin versuchte, sich über den Charakter seines Bekannten klarzuwerden, gelangte aber damit nicht zum Ziele und betrachtete ihn und sein Leben immer wie ein lebendiges Rätsel.
Sie waren miteinander gut befreundet, und daher erlaubte sich Ljewin oft, ihm mit Fragen zuzusetzen, in dem Wunsche, bis zum tiefsten Grunde seiner Lebensanschauung durchzudringen; aber dies war ihm nie gelungen. Jedesmal, wenn Ljewin versucht hatte, in Swijaschskis