Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi страница 122
»Aber unsere Beziehungen können nicht von derselben Art sein wie bisher«, begann Anna zaghaft und blickte ihn erschrocken an.
Als sie wieder diese ruhigen Handbewegungen sah und diese durchdringende, kindlich hohe, spöttische Stimme hörte, da verschwand ihr früheres Mitleid vor dem Widerwillen gegen ihn; jetzt fürchtete sie sich nur vor ihm; aber sie wollte um jeden Preis eine Klärung ihrer Lage herbeiführen.
»Ich kann nicht Ihre Gattin sein, wenn ich ...«, begann sie. Er brach in ein grimmiges, kaltes Lachen aus.
»Die Lebensweise, die Sie sich erwählt haben, muß wohl auf Ihr ganzes Denken zurückgewirkt haben. Ich achte so sehr das, was Sie früher waren, und ich verachte so sehr das, was Sie jetzt sind, daß mir die Deutung, die Sie meinen Worten beilegen, ganz fern lag.«
Anna seufzte und ließ den Kopf sinken.
»Übrigens«, fuhr er, hitziger werdend, fort, »das ist mir nicht verständlich: wenn Sie einen so großen Unabhängigkeitssinn besitzen und Ihrem Gatten geradezu von Ihrer Untreue Mitteilung machen und in Ihrem Verhalten anscheinend gar nichts Unpassendes finden, wie können Sie dann die Erfüllung der Pflichten, die die Gattin dem Manne gegenüber hat, für unpassend halten?«
»Alexei Alexandrowitsch, was verlangen Sie von mir?«
»Ich verlange, daß dieser Mensch sich hier nicht blicken läßt; ich verlange, daß Sie sich so benehmen, daß weder die Welt noch die Dienerschaft Ihnen Übles nachsagen kann; ich verlange, daß Sie ihn nicht wiedersehen. Ich möchte meinen, das ist nicht zuviel verlangt. Und dafür werden Sie die Rechte einer ehrbaren Frau genießen, ohne ihre Pflichten zu erfüllen. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Jetzt muß ich wegfahren. Ich bin zum Mittagessen nicht hier.« Er stand auf und ging zur Tür hin.
Anna erhob sich ebenfalls. Mit einer schweigenden Verbeugung ließ er sie an sich vorbei.
24
Die Nacht, die Ljewin auf dem Heuhaufen zugebracht hatte, war für ihn nicht ohne wichtige Nachwirkungen geblieben: seine bisherige Art der Wirtschaftsführung war ihm zuwider geworden und hatte für ihn alles Interesse verloren. Trotz der vorzüglichen Ernte waren noch nie so viele Mißerfolge und so viele Mißhelligkeiten zwischen ihm und den Bauern vorgekommen wie in diesem Jahre, oder wenigstens schien es ihm so; und die Ursache dieser Mißerfolge und dieser Mißhelligkeiten war ihm jetzt völlig verständlich. Das Vergnügen, das er an der persönlichen Arbeit gefunden hatte; die daraus hervorgehende Annäherung an die Bauern; der Neid, den sie und ihre ganze Lebensweise ihm einflößten; der Wunsch, zu dieser Lebensweise überzugehen, ein Wunsch, der in jener Nacht für ihn nicht mehr eine bloße Phantasterei gewesen war, sondern die Form eines bestimmten Planes angenommen hatte, dessen Ausführung er schon im einzelnen überdachte: alles dies hatte seine Ansichten über den Wert des bei ihm eingeführten Wirtschaftsbetriebes derart geändert, daß er jetzt an dieser Art des Betriebes schlechterdings nicht mehr das frühere Interesse nehmen und für sein unerfreuliches Verhältnis zu den Arbeitern, das der Grund zu alle dem war, nicht blind sein konnte. Verbesserte Kuhherden von der Art wie Pawa; ein in seiner ganzen Ausdehnung verbessertes, mit modernen Pflügen bearbeitetes Ackerland; neun gleiche, mit Weidengebüsch eingefaßte Felder; neunzig Deßjatinen mit tief untergepflügtem Dünger; Reihensämaschinen und so weiter: alles das wäre wunderschön gewesen, wenn er es hätte entweder allein ausführen können oder in Kameradschaft mit gleichgesinnten Männern. Aber er sah jetzt klar (und seine Arbeit an dem Buche über die Landwirtschaft, in dem er als die wichtigste Grundlage der Landwirtschaft den Arbeiter ansehen wollte, hatte ihm wesentlich mit zu dieser Einsicht verholfen), er sah jetzt klar, daß sein jetziger Wirtschaftsbetrieb weiter nichts als ein grimmiger, hartnäckiger Kampf zwischen ihm und den Arbeitern war, bei dem auf der einen Seite, das heißt auf seiner Seite, das stete, angestrengte Streben stand, alles nach dem für das Beste erkannten Muster umzugestalten, und auf der anderen Seite die natürliche Ordnung der Dinge. Und er sah, daß bei diesem Kampfe, bei dem er seinerseits alle seine Kräfte auf das äußerste anspannte und auf der anderen Seite gar keine Anstrengung stattfand, ja überhaupt keine Absicht vorhanden war, er sah, daß bei diesem Kampfe das Ergebnis lediglich war, daß die Wirtschaft nichts abwarf und die prächtigen landwirtschaftlichen Geräte, das prächtige Vieh und Land völlig ohne Nutzen verdorben wurden. Und was die Hauptsache war: es ging nicht nur die von ihm auf dieses Werk verwandte Tatkraft ganz nutzlos verloren, sondern er konnte sich jetzt, wo er über seine Wirtschaft zu einem richtigen Urteile gelangt war, auch nicht der Einsicht verschließen, daß das Ziel seiner Tatkraft ganz unwürdig war. Denn in der Tat, worum drehte sich der Kampf? Er kämpfte um jeden Groschen, der ihm gehörte oder zukam (und das mußte er; denn hätte er in seiner Tatkraft nachgelassen, so hätte es ihm sofort an Geld gemangelt, um den Arbeitern den Lohn zu zahlen); die Arbeiter aber hatten bei diesem Kampfe nur das Ziel, ruhig und angenehm arbeiten zu dürfen, das heißt so, wie sie es gewohnt waren. In seinem Interesse lag es, daß jeder Arbeiter soviel wie möglich arbeitete, ferner, daß er es dabei nicht an Achtsamkeit fehlen ließ, daß er sich bemühte, die Worfelmaschine, den Pferderechen, die Dreschmaschine nicht zu zerbrechen, daß er seine Arbeit mit Überlegung verrichtete; der Arbeiter aber wollte gern möglichst angenehm arbeiten, mit Ruhepausen, und vor allen Dingen sorglos, achtlos, gedankenlos. Das hatte Ljewin in diesem Sommer auf Schritt und Tritt beobachten können. Er hatte Leute hingeschickt, um Klee zu mähen, der zu Heu gemacht werden sollte, und hatte dazu einige schlechte Deßjatinen ausgesucht, die mit Gras und Wermut durchwachsen und zu Saatklee nicht zu gebrauchen waren – und sie mähten ihm der Reihe nach die besten Deßjatinen mit Saatklee ab, rechtfertigten sich damit, der Verwalter habe es so befohlen, und sagten, um ihn zu trösten, dieses Kleeheu würde aber auch ganz vorzüglich werden; aber er wußte, daß sie es nur getan hatten, weil diese Deßjatinen sich leichter mähen ließen. Er schickte eine Heuwendemaschine auf die Wiese, um das Heu umzuschütteln; sie zerbrachen sie ihm gleich bei den ersten Schwaden, weil es dem Bauer unbehaglich war, auf dem Bock zu sitzen, wenn sich die Flügel über ihm herumschwenkten. Ihm aber sagten sie: »Seien Sie nur ganz ohne Sorge; die Weiber werden das Heu schon flink umschütteln.« Die modernen Pflüge erwiesen sich als unbenutzbar, weil es dem Arbeiter nicht einfiel, das in die Höhe gehobene Pflugmesser wieder herunterzulassen, und er durch gewaltsames Umwenden des Bodens die Pferde quälte und den Acker verdarb. Und wieder bat man Ljewin, ganz unbesorgt zu sein. Sie ließen die Pferde in die Weizenfelder gehen, weil kein Arbeiter die ganze Nachtwache übernehmen wollte und sie sich trotz des Verbotes, dies zu tun, in die Nachtwache teilten; da war nun Iwan, der den ganzen Tag über gearbeitet hatte, eingeschlafen und gestand seine Sünde, indem er hinzufügte: »Ganz wie Sie befehlen.« Die drei besten Kälber wurden von den Leuten durch falsche Fütterung zugrunde gerichtet, indem sie sie, ohne sie zu tränken, in das Kleegrummet hineinließen, und sie wollten ganz und gar nicht glauben, daß das der Klee war, der die Tiere so auf trieb, sondern erzählten ihm zum Troste, beim Nachbar seien in drei Tagen hundertzwölf Stück Vieh gefallen. All das geschah nicht etwa, weil jemand Ljewin oder seiner Wirtschaft Böses gewünscht hätte; im Gegenteil, er wußte, daß ihn die Leute gern hatten und ihn für einen einfachen Herrn hielten (was das höchste Lob ist); sondern es geschah nur deshalb, weil sie vergnügt und sorglos arbeiten wollten und seine Interessen ihnen nicht nur fremd und unverständlich waren, sondern auch zu ihren wohlberechtigten Interessen in einem verhängnisvollen Gegensatze standen. Schon seit längerer Zeit hatte sich Ljewin von seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit nicht recht befriedigt gefühlt. Er hatte gemerkt, daß sein Kahn leck war; aber er hatte das Leck nicht gefunden, auch vielleicht in absichtlicher Selbsttäuschung gar nicht danach gesucht (es wäre ihm gar nichts mehr an Lebensfreude übriggeblieben, wenn er nun auch mit seiner Wirtschaft eine Täuschung erlebt hätte). Aber jetzt konnte er sich nicht länger täuschen. Seine jetzige Art des Wirtschaftsbetriebes war ihm nicht nur uninteressant, sondern geradezu widerwärtig geworden, und er konnte es nicht über sich gewinnen, sich noch länger damit zu beschäftigen.
Dazu