Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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wollte hinausgehen; aber jetzt hielt sie ihn zurück.

      »Alexei Alexandrowitsch, lassen Sie mir Sergei!« flüsterte sie noch einmal. »Weiter kann ich nichts sagen. Lassen Sie mir Sergei bis zu meiner ... Ich werde bald einem Kinde das Leben geben. Lassen Sie ihn mir!«

      Alexei Alexandrowitschs Gesicht bedeckte sich mit dunkler Glut; er entriß ihr seine Hand und verließ schweigend das Zimmer.

      5

      Das Wartezimmer des berühmten Petersburger Rechtsanwaltes war gefüllt, als Alexei Alexandrowitsch es betrat. Drei Klientinnen, eine alte Dame, eine junge Dame und eine Kaufmannsfrau mittleren Alters sowie drei Klienten, ein deutscher Bankier mit einem Siegelring am Finger, ein bärtiger Kaufmann und ein Beamter mit grimmiger Miene, in Uniform, mit einem Orden am Halse, warteten offenbar schon lange. Zwei Schreiber des Rechtsanwaltes saßen, mit Schreiben beschäftigt, an Tischen; man hörte das Geräusch ihrer Federn auf dem Papier. Die Schreibgeräte waren außerordentlich schön; Alexei Alexandrowitsch, dessen besondere Liebhaberei dies war, konnte nicht umhin, es zu bemerken. Einer der Schreiber wandte sich, ohne aufzustehen, mit zusammengekniffenen Augen ärgerlich zu Alexei Alexandrowitsch.

      »Was ist Ihnen gefällig?«

      »Ich habe geschäftlich mit dem Herrn Rechtsanwalt zu sprechen.«

      »Der Herr Rechtsanwalt ist sehr in Anspruch genommen«, antwortete der Schreiber in strengem Tone, indem er mit der Feder auf die Wartenden wies, und schrieb dann weiter.

      »Hat er nicht vielleicht dazwischen einen Augen blick für mich Zeit?« fragte Alexei Alexandrowitsch.

      »Er hat keinen freien Augenblick; er ist immer beschäftigt. Bitte zu warten!«

      »Möchten Sie dann nicht so freundlich sein, ihm meine Karte zu überreichen«, sagte Alexei Alexandrowitsch, da er die Notwendigkeit einsah, sein Inkognito aufzugeben.

      Der Schreiber nahm die Karte hin, machte ein Gesicht, als ob ihn deren Inhalt sehr wenig befriedigte, und ging zu dem Rechtsanwalt hinein.

      Alexei Alexandrowitsch billigte grundsätzlich das öffentliche Gerichtsverfahren; nur gewisse Einzelheiten in seiner praktischen Anwendung bei uns in Rußland hatten, mit Rücksicht auf höhere, ihm wohlbekannte dienstliche Verhältnisse, nicht seinen vollen Beifall, und er mißbilligte diese Einzelheiten, soweit er imstande war, etwas, was die allerhöchste Bestätigung gefunden hatte, zu mißbilligen. Sein ganzes Leben lang war er auf dem Verwaltungsgebiete tätig gewesen; so oft es daher vorkam, daß er etwas mißbilligte, wurde sein Mißvergnügen gemildert durch die Erwägung, daß Fehler bei allen Dingen unvermeidlich seien, immer aber die Möglichkeit einer Verbesserung vorliege. An der neuen Gerichtsordnung mißbilligte er die Stellung, die dem Anwaltsstande zugewiesen war. Aber bisher hatte er mit Rechtsanwälten noch nichts zu schaffen gehabt, und daher war seine Mißbilligung nur theoretisch gewesen; jetzt jedoch wurde diese Mißbilligung noch verstärkt durch den unangenehmen Eindruck, den er in dem Wartezimmer des Rechtsanwaltes empfangen hatte.

      »Der Herr Rechtsanwalt wird sogleich herauskommen«, meldete der Schreiber, und wirklich erschien nach zwei Minuten in der Tür die lange Gestalt eines bejahrten juristischen Kollegen, der mit dem Rechtsanwalt verhandelt hatte, und die Gestalt des Rechtsanwaltes selbst.

      Der Rechtsanwalt war ein kleiner, stämmiger, kahlköpfiger Mann mit dunklem, rötlich schimmerndem Barte, hellen, langhaarigen Brauen und vorstehender Stirn. Geputzt war er, wie wenn er auf die Freite ging, von der Krawatte und der doppelten Uhrkette bis zu den Lackstiefeln. Sein Gesicht trug einen Ausdruck von Klugheit und plebejischer Verschmitztheit; aber der Anzug war geckenhaft und zeugte von schlechtem Geschmack.

      »Bitte, näher zu treten«, sagte der Rechtsanwalt, zu Alexei Alexandrowitsch gewendet. Mit finsterer Miene ließ er ihn an sich vorbeigehen und machte dann die Tür zu. »Wenn es gefällig ist?« Er wies auf einen Lehnsessel neben dem mit Papieren bedeckten Schreibtische, nahm selbst auf einer Art von Präsidentensitz Platz, rieb sich die kleinen Hände, deren kurze Finger mit weißen Haaren bewachsen waren, und neigte den Kopf auf die Seite. Aber kaum war er in dieser Haltung zur Ruhe gekommen, als über dem Tische eine Motte vorbeiflog. Mit einer Geschwindigkeit, die man gar nicht von ihm hätte erwarten können, machte der Rechtsanwalt die Arme auseinander, fing die Motte und nahm wieder seine frühere Haltung ein.

      »Bevor ich anfange, meine Angelegenheit darzulegen«, begann Alexei Alexandrowitsch, der erstaunt die Bewegungen des Rechtsanwaltes mit den Augen verfolgt hatte, »muß ich bemerken, daß die Angelegenheit, über die ich mit Ihnen sprechen möchte, Geheimnis bleiben muß.«

      Ein kaum merkbares Lächeln ließ den rötlichen, herabhängenden Schnurrbart des Rechtsanwaltes ein wenig auseinandergehen.

      »Ich wäre kein Rechtsanwalt, wenn ich nicht imstande wäre, die mir anvertrauten Geheimnisse zu bewahren. Aber wenn Sie die ausdrückliche Versicherung wünschen ...«

      Alexei Alexandrowitsch blickte ihm ins Gesicht und sah, daß die klugen grauen Augen lachten; sie machten den Eindruck, als hätten sie schon alles durchschaut.

      »Sie kennen meinen Namen?« fuhr Alexei Alexandrowitsch fort.

      »Ich kenne Sie und Ihre verdienstvolle (wieder fing er eine Motte) Tätigkeit wie jeder Russe«, versetzte der Rechtsanwalt mit einer Verbeugung.

      Aufseufzend nahm Alexei Alexandrowitsch seinen Mut zusammen. Aber da er sich nun einmal dazu entschlossen hatte, fuhr er mit seiner dünnen, schrillen Stimme fort, ohne Verlegenheit, ohne zu stocken, mit besonderer Betonung einzelner Worte.

      »Ich habe das Unglück«, begann er, »ein betrogener Ehemann zu sein, und wünsche die Beziehungen zu meiner Frau in gesetzlicher Form zu lösen, das heißt, mich von ihr scheiden zu lassen, aber so, daß der Sohn nicht der Mutter verbleibt.«

      Die grauen Augen des Rechtsanwaltes bemühten sich, nicht zu lachen; aber sie hüpften förmlich in unhemmbarer Freude, und Alexei Alexandrowitsch sah, daß dies nicht etwa nur die Freude darüber war, einen gewinnbringenden Auftrag zu erhalten; nein, das war ein Triumphieren, ein Frohlocken, ein Aufleuchten, ähnlich jenem häßlichen Aufleuchten, das er manchmal in den Augen seiner Frau gesehen hatte.

      »Sie wünschen meine Mitwirkung zur Durchführung der Ehescheidung?«

      »Ja, ganz richtig; nur muß ich vorher bemerken, daß ich Ihre Aufmerksamkeit vielleicht unnötigerweise in Anspruch nehme. Ich bin heute nur gekommen, um mir vorläufig Ihren Rat zu erbitten. Ich wünsche die Scheidung; aber für mich sind die Formen von Wichtigkeit, unter denen die Scheidung sich bewerkstelligen läßt. Es ist sehr wohl möglich, daß, wenn diese Formen meinen Wünschen nicht entsprechen sollten, ich von dem Rechtswege Abstand nehme.«

      »Oh, das ist immer so«, erwiderte der Rechtsanwalt. »Das steht dann ganz in Ihrem Belieben.«

      Der Rechtsanwalt richtete seine Blicke nach unten, auf Alexei Alexandrowitschs Füße, da er wohl die Empfindung hatte, daß der Anblick seiner unbezwingbaren Freude seinen Klienten verletzen könne. Er bemerkte eine Motte, die vor seiner Nase vorbeiflog, und zuckte schon mit der Hand; aber aus achtungsvoller Rücksicht auf Alexei Alexandrowitschs Lage fing er sie nicht.

      »Obgleich mir unsere gesetzlichen Bestimmungen über diesen Gegenstand in den Hauptzügen bekannt sind«, fuhr Alexei Alexandrowitsch fort, »so würde ich doch wünschen, die Formen genauer kennenzulernen, in denen derartige Angelegenheiten in der Praxis erledigt werden.«

      »Sie

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