Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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Und auf Alexei Alexandrowitschs bejahendes Kopfnicken fuhr er fort, indem er nur ab und zu einen flüchtigen Blick auf dessen Gesicht richtete, das sich mit roten Flecken bedeckt hatte.
»Nach unseren Gesetzen«, begann er, und in seinem Tone lag eine leise Andeutung, daß er diese unsere Gesetze nicht billige, »ist eine Ehescheidung, wie Ihnen bekannt sein wird, in folgenden Fällen möglich ... Warten!« rief er dem Schreiber zu, der den Kopf durch die Tür hereinsteckte, stand aber trotzdem auf, sagte ein paar Worte zu ihm und setzte sich dann wieder hin. »In folgenden Fällen: körperliche Mängel der Ehegatten, ferner fünfjährige Abwesenheit ohne Benachrichtigung«, sagte er und bog einen seiner kurzen, mit Haaren bewachsenen Finger ein, »ferner Ehebruch« (dieses Wort sprach er mit sichtlichem Vergnügen aus). »Die Unterabteilungen sind folgende (er fuhr fort, seine dicken Finger einzubiegen, obgleich die Fälle offenbar nicht mit ihren Unterabteilungen wie Bestandteile derselben Klasse zusammengezählt werden konnten): körperliche Mängel des Mannes oder körperliche Mängel der Frau, ferner Ehebruch des Mannes oder Ehebruch der Frau.« Da er nun alle Finger verbraucht hatte, so bog er sie alle wieder gerade und fuhr fort: »Das ist die theoretische Anschauung; aber ich nehme an, daß Sie mir die Ehre, sich an mich zu wenden, deswegen erwiesen haben, um die praktische Anwendung kennenzulernen. Und daher muß ich Ihnen auf Grund meiner Kenntnis früherer Prozesse mitteilen, daß alle Fälle von Ehescheidungen auf folgende Vorbedingungen zurückzuführen sind: – körperliche Mängel kommen ja doch, soweit ich verstanden habe, nicht in Frage? Und ebensowenig Abwesenheit ohne Benachrichtigung?«
Alexei Alexandrowitsch neigte bestätigend den Kopf.
»... auf folgende Vorbedingungen zurückzuführen sind: Ehebruch eines der Gatten und Überführung des schuldigen Teiles auf Grund beiderseitiger Übereinkunft und zweitens in Ermangelung einer solchen Übereinkunft die zwangsweise Überführung. Ich muß dazu bemerken, daß dieser Fall in der Praxis nur selten vorkommt«, sagte der Rechtsanwalt, warf einen flüchtigen Blick auf Alexei Alexandrowitsch und schwieg dann, wie ein Pistolenhändler, der die Vorzüge der einen und der anderen Waffe auseinandergesetzt hat und nun abwartet, welche der Käufer wählen wird. Aber Alexei Alexandrowitsch schwieg, und daher fuhr der Rechtsanwalt fort: »Das Gewöhnlichste, Einfachste und Vernünftigste ist nach meinem Urteile Ehebruch auf Grund beiderseitiger Übereinkunft. Ich würde mir nicht erlauben, mich in dieser Weise auszudrücken, wenn ich mit einem Mann von geringer geistiger Entwickelung spräche; aber ich nehme an, daß Ihnen das Gesagte verständlich ist.«
Alexei Alexandrowitsch war jedoch derart verstört, daß er die Vernünftigkeit des Ehebruchs auf Grund beiderseitiger Übereinkunft nicht sogleich zu verstehen vermochte, und diese Verständnislosigkeit gab sich in seinem Blicke zu erkennen; aber der Rechtsanwalt kam ihm sofort zu Hilfe:
»Die betreffenden Ehegatten können nicht mehr miteinander leben; das ist die zugrunde liegende Tatsache. Und wenn über diese Tatsache beide einverstanden sind, werden die Einzelheiten und Formfragen gleichgültig. Zugleich ist dies das einfachste und zuverlässigste Mittel.«
Alexei Alexandrowitsch hatte die Sache jetzt völlig verstanden. Aber er hatte gewisse religiöse Bedenken, die ihm die Anwendung dieses Mittels unmöglich machten.
»Das kommt im vorliegenden Falle nicht in Frage«, erwiderte er. »Hier ist nur eine Möglichkeit: die zwangsweise Überführung mit Hilfe der in meinen Händen befindlichen Briefe.«
Bei der Erwähnung der Briefe preßte der Rechtsanwalt die Lippen zusammen und ließ einen dünnen, hohen Ton vernehmen, der Mitleid und Geringschätzung ausdrückte.
»Ziehen Sie, bitte, folgendes in Erwägung«, begann er. »Derartige Prozesse werden, wie Ihnen bekannt sein wird, von der geistlichen Behörde entschieden; die verehrlichen Protopopen legen aber in solchen Dingen mit einer besonderen Liebhaberei Wert auf die kleinlichsten Einzelheiten.« Er sagte das mit einem Lächeln, das zeigte, daß er diesen Geschmack der Protopopen teilte. »Briefe können ja ohne Zweifel bis zu einem gewissen Grade als Bestätigung dienen; aber die Beweise müssen auf geradem Wege erbracht werden, das heißt durch Zeugen. Überhaupt aber, wenn Sie mir die Ehre erweisen, mich Ihres Vertrauens zu würdigen, so überlassen Sie, bitte, es mir, die anzuwendenden Mittel auszuwählen. Wer den Erfolg will, muß sich auch die Mittel gefallen lassen.«
»Wenn es so ist ...«, begann Alexei Alexandrowitsch, der plötzlich ganz blaß geworden war; aber in diesem Augenblicke stand der Rechtsanwalt auf und ging wieder nach der Tür zu dem Schreiber hin, der von neuem das Gespräch unterbrochen hatte.
»Sagen Sie ihr, daß wir hier keine billige Schundware führen!« sagte er und kehrte wieder zu Alexei Alexandrowitsch zurück.
Während er sich wieder auf seinen Platz begab, fing er unvermerkt noch eine Motte. ›Mein Rips wird im Sommer gut aussehen!‹ dachte er stirnrunzelnd.
»Also Sie beliebten zu sagen ...«, wandte er sich fragend an seinen Klienten.
»Ich werde Ihnen meinen Entschluß brieflich mitteilen«, antwortete Alexei Alexandrowitsch, stand auf und faßte nach dem Tische. Nachdem er eine kleine Weile schweigend dagestanden hatte, sagte er: »Aus Ihren Worten kann ich somit schließen, daß es möglich ist, die Scheidung durchzusetzen. Ich möchte Sie bitten, mir auch noch mitzuteilen, welches Ihre Bedingungen sind.«
»Es ist durchaus möglich, wenn Sie mir volle Handlungsfreiheit lassen«, erwiderte der Rechtsanwalt, ohne auf die Frage zu antworten. »Wann kann ich darauf rechnen, von Ihnen Nachricht zu erhalten?« fragte er, indem er mit zur Tür kam; seine Augen glänzten nicht minder als seine Lackstiefel.
»In einer Woche. Und Sie werden dann die Güte haben, mir Ihre Antwort zukommen zu lassen, ob Sie meine Vertretung in dieser Angelegenheit übernehmen wollen und unter welchen Bedingungen.«
»Sehr wohl.«
Der Rechtsanwalt verbeugte sich achtungsvoll, ließ seinen Klienten aus der Tür und überließ sich dann, als er allein geblieben war, seiner freudigen Stimmung. Er war so vergnügt, daß er ganz gegen seine sonstigen Grundsätze der Dame, die von der Gebühr etwas abhandeln wollte, wirklich etwas abließ und keine Motten mehr fing, da er fest beschloß, im nächsten Winter seine Möbel mit Samt beziehen zu lassen, so wie es bei seinem Kollegen Sigonin war.
6
Alexei Alexandrowitsch hatte am 17. August in der Kommissionssitzung einen glänzenden Sieg davongetragen; aber die Folgen dieses Sieges wurden ihm sehr nachteilig. Die neue Kommission zur allseitigen Untersuchung des Zustandes der Fremdvölker war auf Alexei Alexandrowitschs Betreiben mit außerordentlicher Schnelligkeit und Energie gebildet und an Ort und Stelle abgeschickt worden. Nach drei Monaten ging der Bericht ein. Der Zustand der Fremdvölker war in politischer, administrativer, ökonomischer, ethnographischer, materieller und religiöser Hinsicht untersucht worden. Für alle Fragen lagen Antworten in vortrefflicher Ausarbeitung vor, und zwar Antworten, die keinem Zweifel unterlagen, weil sie eben nicht ein Ergebnis des stets dem Irrtum ausgesetzten menschlichen Denkens, sondern sämtlich ein Ergebnis dienstlicher Tätigkeit waren. Alle diese Antworten waren die Ergebnisse amtlicher Feststellungen, der Berichte der Gouverneure und Bischöfe, die auf den Berichten der Kreisbehörden und Pröpste beruhten, die ihrerseits sich wieder auf die Berichte der Gemeindevorsteher und Pfarrgeistlichen stützten, und daher konnte sich an all diese Antworten kein Zweifel heranwagen. Alle jene Fragen, zum Beispiel, weshalb mitunter Mißernten vorkommen, warum die Einwohner an ihren religiösen Überzeugungen festhalten, Fragen, die ohne die angenehme Beihilfe der amtlichen Maschine jahrhundertelang ungelöst geblieben waren und ohne diese Beihilfe überhaupt nicht gelöst werden konnten, diese Fragen erhielten hier eine