Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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Arkadjewitsch trat schnell zu Alexei Alexandrowitsch heran und bot ihm zu rauchen an.

      »Nein, danke, ich rauche nicht«, erwiderte Alexei Alexandrowitsch ruhig, und als wollte er geflissentlich zeigen, daß er dieses Thema nicht scheue, wandte er sich wieder mit kaltem Lächeln zu Peszow.

      »Ich meine, die Gründe einer derartigen Anschauung liegen in der Natur der Dinge selbst«, sagte er und wollte nach dem Salon gehen; aber nun ergriff plötzlich und unerwartet Turowzün das Wort und wandte sich dabei unmittelbar an Alexei Alexandrowitsch.

      »Haben Sie schon von Prjatschnikow gehört?« fragte Turowzün. Er hatte längere Zeit nichts gesagt und nun, durch den genossenen Champagner belebt, schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, das ihn bedrückende Schweigen aufzugeben. »Wasili Prjatschnikow«, fuhr er mit dem ihm eigenen gutmütigen Lächeln um die feuchten, roten Lippen fort, indem er sich vorzugsweise an die bedeutendste Persönlichkeit unter den Gästen, an Alexei Alexandrowitsch, wandte, »Wasili Prjatschnikow hat sich, wie mir heute erzählt wurde, in Twer mit Kwitski duelliert und ihn erschossen.«

      Wie es einem immer so vorkommt, als stoße man sich wie ausgesucht stets gerade an die schmerzhafte Stelle, so hatte jetzt Stepan Arkadjewitsch die Empfindung, daß das Gespräch heute unglücklicherweise jeden Augenblick Alexei Alexandrowitschs wunden Punkt berührte. Er wollte wieder seinen Schwager beiseite führen; aber Alexei Alexandrowitsch fragte selbst neugierig:

      »Weshalb hat sich Prjatschnikow denn duelliert?«

      »Wegen seiner Frau. Er hat sich wacker und schneidig benommen. Er hat ihn gefordert und erschossen!«

      »Ah!« machte Alexei Alexandrowitsch gleichmütig und verließ, die Augenbrauen in die Höhe ziehend, den Speisesaal, um nach dem Salon zu gehen. Im Zwischenzimmer traf er Dolly.

      »Wie freue ich mich, daß Sie gekommen sind«, redete sie ihn mit einem furchtsamen Lächeln an. »Ich habe dringend mit Ihnen zu reden. Wir können ja hier Platz nehmen.«

      Alexei Alexandrowitsch setzte sich mit einem Ausdruck von Gleichgültigkeit, den die hinaufgezogenen Augenbrauen seinem Gesichte verliehen, neben Darja Alexandrowna und lächelte gezwungen.

      »Es ist mir dies um so erwünschter«, versetzte er, »da ich Sie um Entschuldigung bitten und mich sogleich empfehlen wollte. Ich muß morgen abreisen.«

      Darja Alexandrowna war von Annas Unschuld fest überzeugt und fühlte, wie sie blaß wurde und ihr die Lippen zitterten vor Zorn über diesen kalten, gefühllosen Menschen, der sich mit solcher Ruhe daranmachte, ihre unglückliche Freundin zugrunde zu richten.

      »Alexei Alexandrowitsch«, sagte sie und blickte ihm mit der Entschlossenheit der Verzweiflung in die Augen, »ich habe Sie gestern nach Anna gefragt, und Sie haben mir nicht geantwortet. Wie geht es ihr?«

      »Ich glaube, sie ist gesund, Darja Alexandrowna«, antwortete Alexei Alexandrowitsch, ohne sie anzusehen.

      »Alexei Alexandrowitsch, verzeihen Sie mir, ich habe ja eigentlich kein Recht ... aber ich liebe und achte Anna wie eine Schwester; ich bitte, ich flehe Sie an, sagen Sie mir, was ist zwischen Ihnen beiden vorgefallen? Was werfen Sie ihr vor?«

      Alexei Alexandrowitsch runzelte die Stirn, schloß die Augen fast ganz und ließ den Kopf hängen.

      »Ich setze voraus, daß Ihr Gatte Ihnen die Gründe mitgeteilt hat, die es mir notwendig erscheinen lassen, mein bisheriges Verhältnis zu Anna Arkadjewna zu ändern«, antwortete er, ohne ihr in die Augen zu sehen; unzufrieden blickte er sich nach dem jungen Schtscherbazki um, der durch das Zimmer ging.

      »Ich glaube es nicht, ich glaube es nicht, ich kann es nicht glauben!« versetzte Dolly und preßte mit einer energischen Gebärde ihre knochigen Hände vor ihrer Brust zusammen. Sie stand rasch auf und legte ihre Hand auf Alexei Alexandrowitschs Arm: »Wir werden hier gestört; bitte, kommen Sie dorthin.«

      Dollys Aufregung machte Alexei Alexandrowitsch nachgiebig. Er stand auf und folgte ihr gehorsam in das Unterrichtszimmer der Kinder. Sie nahmen an einem Tische Platz, dessen Wachstuchüberzug vielfach von Federmessern zerschnitten war.

      »Ich glaube es nicht, ich glaube es nicht!« sagte Dolly noch einmal und gab sich Mühe, seinen Blick, der den ihrigen vermied, zu fangen.

      »Den vorliegenden Tatsachen kann man nicht umhin Glauben zu schenken«, versetzte er und legte dabei einen besonderen Nachdruck auf das Wort »Tatsachen«.

      »Aber was hat sie denn getan?« fragte Darja Alexandrowna. »Was ist es denn eigentlich, was sie getan hat?«

      »Sie hat ihre Pflicht verletzt und ihren Mann betrogen. Das ist's, was sie getan hat«, antwortete er.

      »Nein, nein, das ist nicht möglich! Nein, ich beschwöre Sie, Sie haben sich geirrt!« rief Dolly; sie griff sich mit den Händen an die Schläfen und schloß die Augen.

      Alexei Alexandrowitsch lächelte kalt, nur mit den Lippen, in der Absicht, ihr und sich selbst die Festigkeit seiner Überzeugung zu zeigen; diese eifrige Verteidigung konnte ihn zwar nicht wankend machen, hatte aber die Wirkung, seine Wunde wieder aufzureißen. Er erwiderte mit größerer Lebhaftigkeit:

      »Ein Irrtum ist wohl so gut wie ausgeschlossen, wenn die Frau selbst dem Manne die betreffende Mitteilung macht, ihm mitteilt, daß acht Jahre gemeinsamen Lebens und das Kind, daß das alles ein Irrtum war und daß sie noch einmal ganz von vorn zu leben anfangen will«, sagte er zornig, indem er hörbar den Atem durch die Nase einzog und ausstieß.

      »Anna und die Sünde – das kann ich nicht vereinigen, das kann ich nicht glauben.«

      »Darja Alexandrowna!« begann er; er blickte ihr jetzt gerade in das herzensgute, aufgeregte Gesicht und fühlte, daß seine Zunge sich unwillkürlich freier bewegte. »Ich würde viel darum geben, wenn noch ein Zweifel möglich wäre. Damals, als ich noch zweifelte, war mir schwer ums Herz, aber doch immerhin leichter als jetzt. Damals, als ich noch zweifelte, war doch noch nicht alle Hoffnung geschwunden; aber jetzt ist keine Hoffnung mehr, und doch zweifle ich an allem. Ich zweifle derart an allem, daß ich meinen Sohn hasse und zuweilen nicht glaube, daß er mein Sohn ist. Ich bin sehr unglücklich.«

      Er hätte das nicht zu sagen brauchen. Darja Alexandrowna hatte das erkannt, sobald er ihr ins Gesicht geblickt hatte; Mitleid mit ihm ergriff sie, und der Glaube an die Schuldlosigkeit ihrer Freundin geriet in ihrem Herzen ins Wanken.

      »Ach, das ist furchtbar, furchtbar! Aber ist es denn wirklich wahr, daß Sie sich zur Scheidung entschlossen haben?«

      »Ich habe mich zu dieser äußersten Maßregel entschlossen. Es blieb mir nichts anderes übrig.«

      »Nichts anderes übrig, nichts anderes übrig ...«, wiederholte sie mit Tränen in den Augen. »Nein, sagen Sie nicht, daß Ihnen nichts anderes übrigbliebe!« rief sie.

      »Das ist eben das Furchtbare bei einem Leide dieser Art, daß man nicht wie bei jedem andern Leide, bei einem Verluste, bei einem Todesfalle, sich darauf beschränken kann, sein Kreuz zu tragen, sondern daß man hier selbst handeln muß«, sagte er, wie wenn er ihre Gedanken erraten hätte. »Man muß aus der demütigenden Lage, in die man hineingeraten ist, herauszukommen suchen; zu dreien kann man nicht leben.«

      »Ich begreife das, ich begreife das vollkommen«, erwiderte Dolly und ließ den Kopf sinken. Sie schwieg ein Weilchen und dachte an sich und ihren eigenen

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