Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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»Nein«, versetzte Kitty errötend; aber sie sah ihn nur um so fester mit ihren ehrlichen Augen an, »manches Mädchen ist so gestellt, daß es nicht ohne Demütigung in eine andere Familie eintreten kann, und doch kann das Mädchen selbst ...«
Er verstand aus dem bloßen Anfange des Satzes, was sie meinte.
»O ja«, rief er, »ja, ja, ja, Sie haben recht, Sie haben recht!«
Alles, was Peszow bei Tische für die Gleichberechtigung der Frauen vorgebracht hatte, verstand Ljewin jetzt auf einmal, und zwar lediglich infolgedessen, weil er in Kittys Herzen die Furcht vor der Altjungfernschaft und einer solchen Demütigung wahrnahm; und da er sie liebte, fühlte er diese Furcht und diese Demütigung mit und warf sofort alle seine Beweisgründe über Bord.
Es trat ein Stillschweigen ein; sie zeichnete immer noch mit der Kreide auf dem Tische. Ihre Augen leuchteten in stillem Glanze. Ihre Stimmung hatte sich ihm mitgeteilt, und er fühlte in seinem ganzen Wesen die sich immer mehr steigernde Spannung der Glücksempfindung.
»Ach, ich habe den ganzen Tisch vollgemalt!« sagte sie, legte die Kreide hin und machte eine Bewegung, als ob sie aufstehen wollte.
›Wie kann ich denn hier allein bleiben, ohne sie?‹ dachte er erschrocken und griff nach der Kreide. »Bitte, bleiben Sie noch ein Augenblickchen!« sagte er, indem er sich an den Tisch setzte. »Ich wollte Sie schon lange etwas fragen.«
Er blickte ihr gerade in die freundlichen, wiewohl erschrockenen Augen.
»Fragen Sie, bitte!«
»Bitte, sehen Sie her«, sagte er und schrieb folgende Anfangsbuchstaben hin: A, S, m, a: E, k, n, s, b, d, n, o, n, d? Diese Buchstaben bedeuteten: »Als Sie mir antworteten: ›Es kann nicht sein‹, bedeutete das niemals oder nur damals?« Es war höchst unwahrscheinlich, daß sie diesen langen Satz sollte verstehen können; aber er blickte sie mit so ängstlicher Spannung an, als hinge sein Leben davon ab, ob sie diese Worte verstehen werde oder nicht.
Sie sah ihn ernst an; dann stützte sie die gerunzelte Stirn auf die Hand und begann zu lesen. Bisweilen schaute sie ihn dabei an und fragte gleichsam mit dem Blicke: ›Bedeutet es das, was ich denke?‹
»Ich habe es verstanden«, sagte sie endlich errötend.
»Was ist das für ein Wort?« fragte er und zeigte auf das n, das »niemals« bedeutete.
»Dieses Wort heißt ›niemals‹«, antwortete sie. »Aber dieses Wort sagt nicht die Wahrheit.«
Er wischte das Geschriebene schnell weg, reichte ihr die Kreide hin und stand auf. Sie schrieb: D, k, i, n, a, a.
Dolly fühlte sich über den Kummer, den ihr das Gespräch mit Alexei Alexandrowitsch bereitet hatte, völlig hinweggetröstet, als sie diese beiden Gestalten nebeneinander sah: Kitty, die, die Kreide in der Hand, mit einem schüchternen, glückseligen Lächeln zu Ljewin in die Höhe blickte, und seine hübsche Gestalt, die sich über den Tisch beugte, mit den leuchtenden Augen, die sich bald auf den Tisch, bald auf sie richteten. Plötzlich strahlte er über das ganze Gesicht: er hatte verstanden. Es bedeutete: »Damals konnte ich nicht anders antworten.«
Er blickte sie zaghaft fragend an.
»Nur damals?«
»Ja«, antwortete ihr Lächeln.
»Und jetzt ... und jetzt?« fragte er.
»Nun, dann sehen Sie, bitte, her und lesen Sie! Ich werde schreiben, was mein Wunsch ist, mein dringender Wunsch!« Sie schrieb folgende Anfangsbuchstaben: D, S, v, u, v, k, w, g, i. Das bedeutete: »Daß Sie vergeben und vergessen könnten, was geschehen ist.«
Er ergriff mit krampfhaft zitternden Fingern die Kreide und schrieb in solcher Erregung, daß er die Kreide dabei zerbrach, die Anfangsbuchstaben folgender Sätze hin: »Ich habe nichts zu vergeben und zu vergessen; ich liebe Sie noch unverändert.«
Sie sah ihn mit einem regungslosen Lächeln an.
»Ich habe verstanden«, flüsterte sie.
Er setzte sich hin und schrieb einen langen Satz. Sie verstand alles, und ohne zu fragen, ob sie auch alles richtig aufgefaßt habe, nahm sie die Kreide und antwortete sofort.
Er konnte das, was sie geschrieben hatte, trotz längerer Bemühung nicht verstehen und blickte ihr oft in die Augen. Er war von seinem Glücke ganz benommen und schlechterdings nicht imstande, für die Anfangsbuchstaben die Worte einzusetzen, die sie gemeint hatte; aber in ihren reizenden, glückstrahlenden Augen las er alles, was er zu wissen brauchte. Und nun schrieb er drei Buchstaben. Aber er hatte noch nicht zu Ende geschrieben, als sie schon das Geschriebene hinter seiner Hand las, es selbst zu Ende brachte und auch gleich die Antwort dazuschrieb: »Ja.«
»Ihr spielt wohl secrétaire?« fragte der alte Fürst, der zu ihnen herantrat. »Aber nun müssen wir fahren, wenn du noch zur rechten Zeit ins Theater kommen willst.«
Ljewin stand auf und begleitete Kitty bis zur Tür.
In ihrem Gespräche war alles Erforderliche gesagt worden; es war gesagt worden, daß sie ihn liebe und ihrem Vater und ihrer Mutter sagen wolle, daß er morgen vormittag hinkommen werde.
14
Als Kitty weggefahren und Ljewin allein geblieben war, empfand er fern von ihr eine solche Unruhe und wünschte mit einer solchen Ungeduld die Zeit vorüber bis zum nächsten Vormittag, wo er sie wiedersehen und sich für immer mit ihr verbinden sollte, daß er diese vierzehn Stunden, die er ohne Kitty würde zubringen müssen, wie den Tod fürchtete. Er mußte unbedingt mit jemand zusammen sein und reden, um nur nicht ganz allein zu sein und um sich über die Zeit hinwegzutäuschen. Stepan Arkadjewitsch wäre für ihn der angenehmste Gesellschafter gewesen; aber der fuhr weg, wie er sagte, zu einer Abendgesellschaft, in Wirklichkeit jedoch zum Ballett. Ljewin fand nur gerade noch Zeit, ihm zu sagen, daß er glücklich sei und ihn sehr gern habe und nie vergessen werde, was er für ihn getan habe. Aus Stepan Arkadjewitschs Blick und Lächeln konnte Ljewin abnehmen, daß jener dieses Gefühl gebührendermaßen zu würdigen wußte.
»Nun also, es ist doch wohl noch nicht Zeit zum Sterben?« fragte Stepan Arkadjewitsch und drückte ihm gerührt die Hand.
»Nein, nein«, erwiderte Ljewin.
Darja Alexandrowna wünschte ihm, als er sich ihr empfahl, gleichfalls gewissermaßen Glück, indem sie sagte: »Ich freue mich sehr, daß Sie Kitty wiedergetroffen haben; alte Freundschaften muß man in Ehren halten.« Alle diese Worte Darja Alexandrownas erregten bei Ljewin eine unangenehme Empfindung. Diese Frau hatte gar kein Verständnis dafür, wie unerreichbar hoch das alles über ihr stand, und hätte nicht wagen sollen, davon zu reden. Ljewin verabschiedete sich von den Wirten und Gästen; aber um nicht allein zu bleiben, hängte er sich an seinen Bruder.
»Wohin fährst du?«
»Ich fahre zu einer Stadtverordnetensitzung.«
»Na, dann komme ich mit. Darf ich?«
»Warum denn nicht? Komm nur!« versetzte Sergei Iwanowitsch lächelnd. »Was hast du nur heute?«