Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi
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Sein Bruder meinte, er werde wohl etwas Geld aufnehmen müssen, da er doch viele Ausgaben haben werde, für Geschenke ...
»Ah, also Geschenke sind erforderlich?« Und er hatte es eilig, zum Bankier Fulde hinzukommen.
Und sowohl beim Konditor wie auch bei Fomin und bei Fulde sah er, daß die Leute ihn erwartet hatten und sich über sein Kommen freuten und an seinem Glücke teilnahmen, ganz so wie alle, mit denen er in dieser Zeit zu tun hatte. Es erschien ihm merkwürdig, daß ihn nicht nur alle Leute gern hatten, sondern sogar alle die Menschen, die ihm früher unleidlich gewesen waren und sich gegen ihn kühl und gleichgültig benommen hatten, nun von ihm entzückt waren, sich ihm in allen Dingen gefällig zeigten, seinem Gefühle gegenüber ein zartes, taktvolles Benehmen beobachteten und seine Überzeugung teilten, daß er der glücklichste Mensch der Welt sei, da seine Braut den Gipfel aller Vollkommenheit darstelle. Ganz dieselbe Empfindung hatte auch Kitty. Als die Gräfin Northstone sich erlaubte, eine Andeutung zu machen, daß sie eigentlich doch für Kitty noch etwas Besseres gewünscht habe, da wurde Kitty so heftig und bewies mit so überzeugenden Gründen, daß es einen besseren Gatten als Ljewin überhaupt auf der ganzen Welt nicht geben könne, daß die Gräfin Northstone dies zugeben mußte und von da an, sobald Kitty zugegen war, für Ljewin immer ein Lächeln des Entzückens bereit hatte.
Das Geständnis, das er seiner Braut versprochen hatte, war das einzige schmerzliche Ereignis in dieser ganzen Zeit. Er fragte darüber den alten Fürsten um Rat und übergab mit dessen Genehmigung Kitty sein Tagebuch, in dem das, was ihn so quälte, geschrieben stand. Auch hatte er dieses Tagebuch bereits damals, als er es anlegte, im Hinblick auf seine zukünftige Braut geschrieben. Ihn peinigten zwei Dinge: seine Unreinheit und sein Unglaube. Das Geständnis seines Unglaubens nahm Kitty ohne Erregung hin. Sie war religiös gesinnt und hatte nie an der Wahrheit der Religion gezweifelt; aber sein äußerlicher Unglaube machte überhaupt keinen Eindruck auf sie. Vermöge ihrer Liebe kannte sie seine ganze Seele, und was sie in seiner Seele sah, das schien ihr gut; daß aber ein solcher Seelenzustand als Unglaube bezeichnet wird, das war ihr völlig gleichgültig. Über das andere Geständnis hingegen vergoß sie bittere Tränen.
Ljewin hatte ihr sein Tagebuch nicht ohne inneren Kampf übergeben. Er wußte, daß es zwischen ihm und ihr keine Geheimnisse geben könne und dürfe, und war daher zu der bestimmten Überzeugung gelangt, daß es seine Pflicht sei, dies zu tun; aber er war sich nicht darüber klargeworden, wie dies wirken könne, und hatte sich nicht in ihre Seele hineinversetzt. Erst als er an dem betreffenden Abend vor der Theatervorstellung zu Schtscherbazkis kam, in Kittys Zimmer trat und ihr verweintes, trauriges, liebes Gesichtchen erblickte, das infolge des von ihm verschuldeten, nie wiedergutzumachenden Kummers so tief unglücklich aussah: erst da begriff er ganz, durch welch eine Kluft seine schmähliche Vergangenheit von ihrer Taubenreinheit getrennt war, und erschrak tief über das, was er getan hatte.
»Nehmen Sie diese schrecklichen Bücher weg, nehmen Sie sie weg!« rief sie und stieß die Hefte, die vor ihr auf dem Tische lagen, von sich. »Warum haben Sie sie mir gegeben? ... Aber nein, es war doch besser so«, fügte sie, von Mitleid über seine verzweifelte Miene ergriffen, hinzu. »Aber es ist entsetzlich, entsetzlich!«
Er ließ den Kopf sinken und schwieg. Er war nicht imstande, etwas zu sagen.
»Sie werden es mir nicht verzeihen«, flüsterte er.
»Verziehen habe ich es, ja. Aber es ist entsetzlich!«
Aber sein Glück war so groß, daß selbst dieses Geständnis es nicht störte, sondern ihm nur eine neue Schattierung verlieh. Sie hatte ihm verziehen. Aber seitdem achtete er sich ihrer noch weniger für würdig, beugte sich moralisch noch tiefer vor ihr und schätzte sein unverdientes Glück noch höher.
17
Während Alexei Alexandrowitsch nach dem Hotel zurückfuhr, wo sein einsames Zimmer ihn erwartete, ließ er unwillkürlich in seinem Gedächtnisse die Eindrücke der bei und nach dem Essen geführten Gespräche noch einmal an sich vorüberziehen. Was Darja Alexandrowna vom Verzeihen gesagt, hatte ihn lediglich geärgert. Die Frage der Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit der christlichen Vorschrift auf seinen besonderen Fall war denn doch zu schwierig, als daß sie sich so obenhin erledigen ließe; auch hatte Alexei Alexandrowitsch diese Frage schon längst in verneinendem Sinne entschieden. Von allem, was heute bei Oblonskis gesagt worden war, hatten ihm die Worte des braven, einfältigen Turowzün den stärksten Eindruck gemacht: ›Er hat sich wacker und schneidig benommen; er hat ihn gefordert und erschossen.‹ Offenbar hatten alle dieses Verhalten gebilligt, wenn sie das auch aus Höflichkeit nicht ausgesprochen hatten.
›Übrigens ist diese Angelegenheit endgültig abgeschlossen, so daß es zwecklos wäre, noch weiter darüber nachzudenken‹, sagte sich Alexei Alexandrowitsch und war, als er sein Hotelzimmer betrat, mit seinen Gedanken nur noch bei seiner bevorstehenden Abreise und bei seiner Revisionsangelegenheit. Er fragte den Pförtner, der ihn nach seinem Zimmer begleitet hatte, wo sein Diener sei; der Pförtner erwiderte, der Diener sei diesen Augenblick weggegangen. Alexei Alexandrowitsch bestellte sich Tee, setzte sich an den Tisch, nahm das Kursbuch zur Hand und legte sich seine Bahnfahrt zurecht.
»Zwei Telegramme«, sagte der Diener, der zurückgekehrt war und ins Zimmer trat. »Verzeihen Euer Exzellenz, ich war den Augenblick vorher weggegangen.«
Alexei Alexandrowitsch nahm die Telegramme und öffnete das eine. Dieses meldete ihm die Ernennung Stremows für eben den Posten, den er, Karenin, für sich selbst gewünscht hatte. Alexei Alexandrowitsch warf das Telegramm auf den Tisch; er war ganz rot geworden, stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. »Quos deus perdere vult, dementat«, sagte er, wobei er unter quos die Persönlichkeiten verstand, die bei dieser Ernennung mitgewirkt hatten. Er ärgerte sich nicht darüber, daß er nicht diese Stelle erhalten und man ihn offensichtlich übergangen hatte; aber es war ihm erstaunlich und unbegreiflich, daß man höheren Ortes hatte dafür blind sein können, daß dieser Schwätzer und Phrasenheld Stremow weniger als jeder andere für diese Stelle taugte. Wie hatte es den Leuten entgehen können, daß sie mit dieser Ernennung sich selbst und ihr eigenes Ansehen auf das schwerste schädigten!
›Gewiß noch etwas von derselben Sorte‹, sagte er ingrimmig bei sich, während er das zweite Telegramm öffnete. Es war von seiner Frau. Die mit Blaustift geschriebene Unterschrift »Anna« war das erste, was ihm in die Augen fiel. »Ich sterbe; ich bitte, ich flehe Sie an herzukommen. Mit Ihrer Verzeihung werde ich ruhiger sterben«, las er. Er lächelte verächtlich und warf das Telegramm hin. Daß dies nur ein schlauer Täuschungsversuch war, daran konnte, wie es ihm im ersten Augenblicke schien, kein Zweifel sein.
›Es gibt keinen Betrug, vor dem sie zurückschräke. Sie sieht ihrer Entbindung entgegen. Möglicherweise besteht die Krankheit nur in der Entbindung. Aber was haben sie dabei für einen Zweck? Das Kind ehelich zu machen, mich bloßzustellen und die Scheidung zu verhindern?‹ überlegte er. »Aber hier heißt es doch: ›Ich sterbe ...‹« Er las das Telegramm noch einmal durch, und plötzlich fühlte er sich davon überrascht, wie echt und natürlich diese Worte klangen. ›Aber wenn es nun die Wahrheit ist?‹ fragte er sich. ›Wenn sie wirklich unter der Einwirkung schwerer Schmerzen und angesichts des nahen Todes aufrichtig bereut und ich das als Täuschungsversuch auffasse und mich weigere hinzukommen? Das würde nicht nur grausam sein und allgemein verurteilt werden, sondern es wäre auch von meiner Seite eine Dummheit.‹
»Peter, besorge mir einen Wagen! Ich reise nach Petersburg«, sagte er zu seinem Diener.
Alexei Alexandrowitsch hatte beschlossen, nach Petersburg zu fahren und seine Frau wiederzusehen. Er nahm sich dabei folgendes vor: sollte ihre Krankheit erdichtet sein,