Damian - Falsche Hoffnung. Madlen Schaffhauser
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Augenblicklich lockert er seinen Griff, lässt mich aber nicht los. Von einer Sekunde auf die andere fühlen sich seine Finger nicht mehr wie Klauen an, die sich in meinen Arm bohren, sondern wie eine lautlose, tröstende Liebkosung. Mein Blick schweift von seinen Augen zu seiner Hand auf meinem Arm und wieder zurück. Lese ich etwa Mitgefühl in seinem Ausdruck?
Warum verspüre ich plötzlich das Bedürfnis von diesem Mann, den ich kaum kenne, beschützt zu werden?
Soeben noch wollte ich vor ihm fliehen, weil mich beinahe eine Panikattacke erfasste und nun wünsche ich mir nichts sehnlicher als von ihm gehalten zu werden, in seinen Armen zu liegen und meinen Kopf an seinen muskulösen Körper zu legen. Voller Hoffnung starre ich in seine wunderschönen Augen und male mir aus, wie es ist, von ihm umarmt zu werden, nur um im nächsten Moment bitter in die Realität zurückzukehren. Seine Finger streifen über meinen Handrücken und lassen mich schliesslich ganz los. Wo gerade noch seine Hand lag, fühlt es sich nun unbehaglich kalt und verlassen an. Unbegreiflich blicke ich ihn an.
Verlegen, wie mir scheint, fährt er durch seine kurzen, dunkelblonden Haare. „Ich werde Sie nicht länger belästigen und Sie Ihre Arbeit machen lassen. Aber tun Sie mir einen Gefallen, ja?“
Ich muss mich räuspern, um einen Ton herauszubekommen. „Welchen?“
„Machen Sie irgendwann Feierabend. Morgen ist auch noch ein Tag.“
„Werde ich, Mr. Meyer.“ Ich warte ab, bis er den Raum verlassen hat und sinke erleichtert auf meinen Stuhl hinab.
Müde, aber nicht erschöpft, reibe ich über meine Augen. Ich habe gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist. Mehr als vier Stunden bin ich an meinem Platz gesessen und habe ein Dokument nach dem anderen bearbeitet ohne eine Pause zu machen. Nur ein einziges Mal bin ich den Flur entlanggegangen und habe mir etwas zu trinken aus dem Automaten geholt, um gleich wieder an meinen Computer zurückzukehren.
Bedauerlicherweise meldet sich jetzt mein Magen, den ich nicht ignorieren kann. Also entschliesse ich für heute die Arbeit zu beenden, um irgendwo in einem gemütlichen Café einen kleinen Sack einzunehmen.
Gerne hätte ich mich noch länger mit den Rechnungen beschäftigt, die unverarbeitet auf meinem Pult liegen, denn mein Job macht mir richtig viel Spass, auch wenn es ganz einfache Aufgaben sind. Sie erfüllen ihren Zweck, weil sich mich daran hindern, an meine Vergangenheit zu denken und das ist momentan das Wichtigste was zählt.
Nur ab und zu wurde meine Aufmerksamkeit auf die Zahlen unterbrochen. In jenen Augenblicken schweiften meine Gedanken stets zur gleichen Person. Die attraktiven braunen Augen, die sich in mein Inneres bohrten und die angenehme Wärme, die sich auf meinem Arm ausbreitete, als er mich für wenige Sekunden mit seiner Hand hielt, liessen meine Erinnerungen an jenen Moment nicht mehr los. Auch jetzt schleicht mein Chef im Kopf umher.
Ich getraue mich nicht die aufkommenden Gefühle zu ergründen, die in mir emporsteigen und meinen ganzen Körper fesseln, wenn meine Gedanken zu meinem überaus charmanten Boss wandern. Aber sie lassen mich wieder etwas fühlen. Etwas was ich schon seit sehr langer Zeit nicht mehr empfunden habe. Hoffnung. Hoffnung auf bessere Zeiten.
Während ich darauf warte, bis mein Computer heruntergefahren ist, hole ich meinen Mantel, lege ihn um und knöpfe ihn zu. Danach ziehe ich meinen Schal über den Kopf, wobei mein Blick für eine Sekunde in der Dunkelheit verschwindet. Als ich meine Augen wieder öffne, kann ich einen angsterfüllten Schrei nicht unterdrücken. „Wow, haben Sie mich erschreckt.“ und halte eine Hand auf mein bebendes Herz.
„Tut mir leid. Das stand nicht in meinem Interesse.“
„Schon gut. Ich bin eben etwas schreckhaft.“
„Das habe ich mittlerweile auch bemerkt. Vielleicht mögen Sie mir irgendwann den Grund dazu anvertrauen.“
Ich beisse auf meine Unterlippe, um nicht gleich meinen ganzen Ballast von der Seele zu reden, den ich schon seit Monaten mit mir herumtrage und der mich mit seinem Gewicht zu erdrücken droht. „Da gibt es nichts zu erzählen.“ gebe ich schliesslich von mir und nehme meine restlichen Sachen, um endlich aus diesem Raum zu kommen. Denn obwohl ich seine Anwesenheit auf irgend eine Weise geniesse, so habe ich doch Angst, dass er mir zu nahe treten könnte. Ich sehe nur einen Ausweg, um dem allem auszuweichen. Die Flucht. Weg von ihm, so schnell und weit wie möglich.
„Ich dachte ich sehe mal nach Ihnen. Allem Anschein nach haben Sie die gleichen Absichten, wie ich Ihnen vorschlagen wollte. Was halten Sie von einem gemeinsamen Essen?“
Mit offenem Mund starre ich ihn an. Als hätte ich ihn nicht richtig verstanden, frage ich ihn: „Wie bitte?“
„Wollen wir etwas essen gehen? Ich denke, Sie könnten genauso gut wie ich eine kleine Stärkung gebrauchen.“
„Halten Sie das für eine gute Idee?“
„Warum nicht?“
„Sie sind Schliesslich mein Boss.“
„Was sollte daran falsch sein, wenn zwei Mitarbeiter miteinander essen gehen?“ fragend sieht er mich an, aber bevor ich etwas darauf erwidern kann, spricht er weiter. „Waren Sie nie mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten essen?“
Ich hatte stets ein hervorragendes Verhältnis zu Philipp, es wäre mir aber zu keinem Zeitpunkt in den Sinn gekommen, mit ihm alleine in ein Restaurant zu gehen. Meine Augen sind fest auf den Mann vor mir gerichtet. „Nein, war ich nie.“
„Dann wird das heute Ihr erstes Mal sein.“ Eine geringe Andeutung eines Lächelns bildet sich um seine Mundwinkel und seine Iris leuchtet verdächtig hell auf. War das eine kleine Anspielung oder interpretiere ich zu viel in seine Bemerkung? Ein schwaches, aber intensives Kribbeln breitet sich in meiner Magengrube aus. Und weg sind meine guten Vorsätze von hier zu verschwinden, um mich in meiner Einsamkeit zu verkriechen. Obwohl mich meine innere Stimme warnt mit ihm zu gehen, siegt das Kribbeln in meinem Körper.
Was auch immer er mit seinem ersten Mal andeuten wollte, es ist nicht von Bedeutung. Denn es ist seine unbefangene Art, die mich fasziniert und die mich zu dieser Entscheidung führt.
„Ich könnte wirklich einen Imbiss gebrauchen.“ Wie zur Bestärkung knurrt mein Magen. Verlegen lege ich meine Hand auf meinen Bauch.
„Dann lassen Sie uns gehen. Ich kenne ein ausgezeichnetes Restaurant.“
Ich gehe neben meinem Chef auf den Fahrstuhl zu. Als die Türen aufgleiten, treten wir ein und er drückt den Knopf für das Erdgeschoss. Vor dem Gebäude steuere ich gleich den Zebrastreifen an. Doch bevor ich noch einen weiteren Schritt in diese Richtung machen kann, spüre ich plötzlich eine Hand auf meinem Arm, die mich mit leichtem Druck festhält und mich zwingt umzudrehen.
„Mein Fahrer wartet bereits.“ Mr. Meyer deutet auf eine schwarze Limousine. Davor steht ein hochgewachsener, stämmiger Mann mittleren Alters. Sein Haar ist kurz, ziemlich kurz und ebenso dunkel wie sein Anzug und das Auto hinter ihm, jedoch trägt er keine Mütze, so wie man es von Chauffeuren kennt.
„Wir gehen