Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben. Lisa Lamp

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Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben - Lisa Lamp

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Ich stellte ein Bein vor das andere, aber durch die Verletzungen, die meinen Körper schwächten, schaffte ich es nur langsam, mich fortzubewegen.

       »Gib nicht auf«, murmelte ich, als mein Fuß umknickte und ein ekelhaftes Knacken zu hören war. Ohne stehen zu bleiben, ging ich auf die Männer in schwarzer Kleidung zu. Alle trugen sie die rabenförmige Brosche über der linken Brust, die sie als Rabianas Anhänger auszeichnete. In den vergangenen Wochen hatte ich gelernt, diesen Anstecker selbst unter Stofflagen zu erspähen und alle Träger sofort inbrünstig zu hassen. Nie wieder würde ich die Zeichen übersehen und einem von IHNEN in die Hände spielen.

       »Hör einfach auf, Read. Mach es dir doch nicht so schwer«, brüllte Nathalia, die hinter der herrschsüchtigen Königin stand und sich auf der Lehne des Stuhls abstützte. In ihren Augen leuchtete der Wahnsinn und ich bereute es, dass ich nicht aufmerksamer gewesen war. Wie hatte mir dieses Schimmern in ihren Iriden nicht auffallen können? Wie hatte ich mich so können täuschen lassen?

       Sie trug keine Brosche, aber dafür eine schwarze Spange mit dem Motiv des Raben in ihrem dichten Haar. Die Hochsteckfrisur passte wunderbar zu dem roten Kleid, das bis zum Boden reichte und ihren Rücken ausließ. In einem anderen Leben hätte sie für mich wunderschön ausgesehen, doch durch die schwarzen Pechfäden, die um sie herum waberten, hatte ihr Erscheinungsbild, trotz der Glitzersteine am Saum des Kleides und der hohen Schuhe, etwas Beängstigendes. Hunter schien anderer Meinung zu sein. Er stand nur wenige Meter von der vollbusigen Schönheit entfernt und himmelte sie an, während er ihre Hand hielt, als wären ihre Finger aus kostbarem Glas. Seine Augen glänzten und ein dümmliches Lächeln lag auf seinen Lippen. Ob er gleich anfing, wie ein Hund zu sabbern?

       Ein Stich zog sich durch meine Magengegend und ich wünschte, in mir würde nicht ein grünes Monster vor Eifersucht wüten. Aber die Wahrheit war: Ich wäre lieber gestorben, als die beiden dabei zu beobachten, wie MEIN Gemahl dem Gesicht von Nathalia immer näherkam. Wie er die Lippen spitzte und sie ein überlegenes Lächeln aufsetzte, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte. Kurz schien Hunter zu überlegen und sich zu fragen, was er tat, doch einer der schwarzen Fäden schlängelte sich um sein Bein und zog ihn zu der Schönheit hin, sodass er fast auf den zierlichen Körper von Nathalia fiel. Keine Sekunde später drückte er seine Lippen auf ihre und seine Zunge schlüpfte in ihren Mund. Fest biss ich die Zähne zusammen, um mich auf etwas anderes als die beiden zu konzentrieren. Doch der leichte Schmerz, der sich durch meinen Kiefer zog, half nicht. Tränen traten in meine Augen und ich wollte mir am liebsten die Pupillen ausstechen, um den Anblick nicht ertragen zu müssen. Es tat weh. Es tat verdammt weh. Weder das Taschenmesser in meinem Rücken noch die Scherbe in meinem Oberschenkel fühlten sich so schmerzhaft an wie dieser Kuss. Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand in meinen Brustkorb gegriffen, mein Herz herausgerissen und wäre darauf herumgetrampelt, bis es aufgehört hatte zu bluten. War das die Strafe dafür, dass ich Hunters Liebe nicht sofort erwidern konnte?

       Nathalia stöhnte und drückte sich an den Körper des Schwarzhaarigen, der prompt die Arme um sie schlang und erregt keuchte. Seine Hände fuhren über ihren wohlgeformten Hintern, während sie mit ihren roten Fingernägeln über seine Wangen strich. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel, als sie den Kopf zurückwarf und Hunter ihre Kehle küsste. Vor nicht mehr als zwei Wochen hatte er dasselbe bei meinem Hals getan, dachte ich niedergeschlagen und versuchte erfolglos, mich nicht von meinen Gefühlen übermannen zu lassen. Aber all der Schmerz bahnte sich einen Weg durch meinen Körper und fraß sich durch meine Eingeweide, um an mein verletzliches Herz zu gelangen.

       »Töte sie für mich«, stöhnte Nathalia und spielte an einer Haarsträhne, die ihr ins Gesicht fiel. Die Geste hatte etwas Kindliches. Sie wirkte fast unschuldig. Bei jedem anderen hätte ich es süß gefunden, aber ich wusste, dass Nathalia berechnend war. Alles was sie tat, hatte einen Grund. Auch wenn es nur dazu diente, mir zu zeigen, dass sie Hunter genauso leicht um den Finger wickeln konnte wie eine Haarsträhne.

       »Töte sie, damit sie uns nicht mehr in die Quere kommen kann«, befahl Nathalia nachdrücklich und drückte ihre Lippen wieder auf den Mund des jüngeren Morgan-Bruders. Kurz erstarrte Hunter in der Bewegung, doch sobald die Anhängerin von Rabiana ihre Zunge zum Einsatz brachte, erstarb sein Widerstand. Danach ging alles rasend schnell. Nathalia drückte ihm ein Messer in die Hand, löste den Kuss und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Schwarzhaarige drehte die Waffe einige Male in der Hand und verbeugte sich vor der Ratsvorsitzenden, die dem Schauspiel von ihrem Platz auf dem Thron gespannt gefolgt war. Wie in Zeitlupe erhob sich Hunter aus der Verbeugung und trat aus dem Kreis der Krieger, bevor er mit schweren Schritten auf mich zuging.

       »Hunter«, wimmerte ich ängstlich, aber ich blieb stehen. Was hätte mir weglaufen auch gebracht? Er war auch ohne meine Verletzungen schneller als ich. Selbst wenn ich in Lebensgefahr sein würde, was ich offensichtlich war, würde ich es durch den Blutverlust nicht schaffen, vor ihm wegzulaufen. Früher hätte ich behauptet, dass er mir nie etwas zuleide tun könnte. Heute wusste ich es besser. Heute wusste ich, dass Hunter zu allem fähig war, auch wenn es mich verletzen würde. Der Schwarzhaarige war einfach nicht mehr er selbst. Es war, als wären alle Eigenschaften, die ich an ihm geliebt hatte, von Rabiana und Nathalia ausgelöscht worden.

       »Hunter bitte«, flehte ich ihn an und versuchte an den Mann, der für mich alles getan hätte, zu appellieren. Aber seine Mimik blieb starr. Egal, wie viel ich bettelte. Als er nur noch wenige Meter entfernt war, ließ ich mich auf den Boden fallen und senkte den Kopf. Wenn ich schon sterben musste, wollte ich es wenigstens nicht kommen sehen. Mein Herz raste und drohte mir aus dem Brustkorb zu springen. Ich fühlte eine alles verzehrende Leere in mir und ich schwitze stark. Mein T-Shirt klebte unangenehm an meinem Rücken und meine Hände fühlten sich feucht an. Oder lag das an dem Blut, das auf mir verteilt war?

       Es war wie ein Alptraum, dem ich nicht entrinnen konnte, und unentwegt dachte ich daran, dass alles anders gekommen wäre, wenn Du bei mir gewesen wärst. Aber Du warst tot und plötzlich war ich wieder an dem Punkt vor meiner Erwählung. Ich war mutterseelenallein gegen den Rest der Welt. Ich hatte keine Freunde und keine Familie. Das Einzige, was mir blieb, waren die Erinnerungen an Dich und an die lebenden Menschen, die sich nacheinander, dank Rabiana und meinen Entscheidungen, von mir abgewandt hatten. Ich war selbst schuld. Ich hatte der Wahnsinnigen genau in die Hände gespielt und nun würde ich den Preis für meine Naivität zahlen. Hunter, die Liebe meines Lebens, würde mir die Klinge durchs Herz rammen und mich einsam verbluten lassen. Ohne letzte Worte oder der Chance, das Blatt noch mal zu wenden. Ob Tara und Jona mich vermissen würden? Oder werden sie sich immer mit Groll an mich erinnern?

       Wenigstens würde ich Dich bald wiedersehen, wo auch immer wir hingehen, wenn wir sterben. Gefällt es Dir an diesem Ort oder bereust Du bereits, Dein Leben für mich geopfert zu haben, weil ich meine Existenz leichtfertig aufs Spiel setzte?

       Ich sah die Spitzen seiner schwarzen Lackschuhe, die das Gras zerdrückten, als Hunter genau vor mir stehen blieb und innerlich verabschiedete ich mich von dieser Welt. Ich konnte das Lachen von Rabiana und Nathalia hören, als er den Arm hob und ich spürte den Luftzug in meinem Gesicht, als das Messer durch die Luft sauste. Vielleicht war das mein Schicksal. Was gäbe es Besseres, als durch jemanden zu sterben, den man über alles liebte? Wenn ihn das glücklich machte – wenn Nathalia in ihrem perfekten Kleid und der makellosen Fassade, ihn glücklich machte – wie konnte es dann falsch sein?

       Irgendwo vernahm ich das Krächzen eines Raben, aber ich achtete nicht darauf. Ich konzentrierte mich auf den Moment, in dem das Lachen der beiden Hexen verstummte und ich sah, wie sich die Erde mit Blut tränkte. Nicht das bisschen, das ich durch die Einstiche verloren hatte, sondern viel mehr. Es sah fast so aus, als hätte jemand einen Kübel roter Farbe über die Wiese geleert. Zäh rann die Flüssigkeit durch die Grashalme und färbte die Erde rot. Plötzlich roch es nach

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