Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben. Lisa Lamp
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Читать онлайн книгу Wenn die Nacht stirbt und dunkle Mächte sich erheben - Lisa Lamp страница 6
»Read? Alles in Ordnung?«, fragte Regan unsicher, als sie meinen abwesenden Blick bemerkte. Nein, es war gar nichts in Ordnung.
»Wie waren sie so?«, fragte ich schniefend und die Ältere lachte erleichtert.
»Sie waren wie du. Besonders Retta. Dein Vater war immer der Bequemere von beiden, aber dafür war er der loyalste Freund, den du dir nur vorstellen kannst. Deine Mutter hingegen war wie ein durchfahrender Zug. Laut, schnell und unbezwingbar von außen. Sie überrollte alles und jeden, der sich ihr in den Weg stellte, um zu beschützen, was ihr am wichtigsten war. Du warst ihr am wichtigsten Read. Vom ersten Augenblick an. Obwohl dein Vater den Kinderwunsch geäußert hatte, war deine Mutter gleich Feuer und Flamme«, erzählte Regan und ihr Gesicht strahlte vor Glück. Jedoch war es für mich schwer, mir das blutende Mädchen mit dem Baby aus der Geschichte meiner Ziehmutter vorzustellen, wie sie Kindergewand kaufte und eine Wiege aussuchte.
»Sie haben dich so unendlich geliebt«, flüsterte die Hexe und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht. »Glaub niemals etwas anderes, klar?«
Auch in ihren Augen schimmerten Tränen und sie schniefte leise.
Ich nickte und fühlte mich meinem Gegenüber komplett ausgeliefert. In mir schrillten alle Alarmglocken, dass ich mich vor einer möglichen Feindin nicht schwach verhalten sollte, doch was hätte ich sonst tun sollen? Aus dem Raum stürmen, damit sie mich nicht weinen sah? Du hättest gewusst, was zu tun war, Mel. Du hast es immer gewusst. Und jetzt, wo ich Dich brauchte, warst Du nicht da, um mir den Weg zu zeigen.
»Was wollen Sie?«, hauchte ich fragend und nahm dankbar ein Taschentuch entgegen, dass mir Regan vor die Nase hielt, während sie sich selbst übers Gesicht wischte, um sich zu beruhigen.
»Die bessere Frage wäre, was du willst, Read«, behauptete sie und lehnte sich gegen den Lehrertisch, der aufgrund ihres Gewichts ein Stück verrutschte und ein Quietschen von sich gab.
»Wir beide wissen, dass du bei der Verhandlung gelogen hast und wir kennen die Wahrheit. Die Frage ist, was wir nun mit diesem Wissen anfangen«, sagte die Hexe mysteriös und wirkte plötzlich unendlich müde, als hätte sie wochenlang nicht geschlafen. Sie fuhr sich über die Stirn und rieb dann mit ihren Fingern ihre Augen. Die Geste ließ das Ratsmitglied um Jahre älter aussehen und ich verspürte einen seltsamen Stich in meiner Brust, als Regan das Strahlen, das sie sonst versprühte, verlor und ihre Tränen über ihre erhitzten Wangen liefen.
»Was soll ich tun?«, fragte ich verzweifelt und Regans Mimik erstarrte.
»Rabiana ist ein eiskaltes, manipulatives Miststück ohne Gewissen, bereit alles für ihren Erfolg zu opfern. Wenn nötig auch das Leben von mehreren tausend Hexen. Was möchtest du mit diesem Wissen tun?«, stellte sie mir eine Gegenfrage. Ihre Tränen versiegten. Ein kaltes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie zog ihre Augenbrauen zusammen, sodass sich eine Falte zwischen ihren Augen bildete. Zum ersten Mal dachte ich wirklich darüber nach, was ich wollte. Diesmal war es nicht wichtig, was meine Ziehmutter wollte oder was ich tun musste, um meinen Bruder zu beschützen. Auch war es unwichtig, ob meine Entscheidung anderen Menschen gefiel oder nicht. Ich war die Königin. Sicher, ich war noch ein Kind und noch lange nicht so weit, da Herrscherinnen erst nach Abschluss ihrer Schullaufbahn den Thron bestiegen, aber ich würde irgendwann tun und lassen können, was ich wollte. Vorausgesetzt Rabiana brachte mich nicht vorher um. Aber wollte ich überhaupt herrschen? Wollte ich wirklich für das Leben so vieler magischer Menschen verantwortlich sein und mein Leben für den Thron riskieren, nur damit Rabiana nicht Königin wird? Ja. Genau das wollte ich. Die Antwort war einfach, obwohl sie über mein ganzes Dasein entschied. Ich wollte noch viel mehr als das. Es war mir wichtig, die »wahre Königin« bluten zu lassen. Für all die Kinder, die durch ihre Taten leiden mussten. Für all die Jugendlichen, die wegen ihr niemals erwachsen geworden sind. Für Dich, Mel. Und für Regan, die in mir bereits die rechtmäßige Königin zu sehen schien. Sie nahm mich ernst und legte Wert auf meine Meinung.
»Ich will…«, setzte ich an und biss mir auf die Lippe.
»Ja?«
Kurz überlegte ich, ob ich ihre Frage beantworten sollte, da ich meinen Wunsch, wenn ich ihn äußerte, nicht mehr zurücknehmen konnte. Aber dann entschied ich mich, einfach ins kalte Wasser zu springen. Was hätte Regan auch davon gehabt, wenn sie mich an Rabiana verraten hätte? Und war es überhaupt von Bedeutung, ob Rabiana von meiner Entscheidung wusste? So oder so würde sie versuchen, mich aus dem Weg zu räumen.
»Ich will die Vorsitzende des Hexenrats für ihre Machenschaften bezahlen lassen«, meinte ich mit Nachdruck und sah, wie das Ratsmitglied ihre Lippen zu einem Strich verengte. »Rache?«, hinterfragte sie missbilligend.
»Nein. Gerechtigkeit«, erklärte ich und ein Lächeln machte sich in Regans Gesicht breit.
»Sehr gut. Dann brauchen wir nur noch einen Plan«, erklärte die Hexe und setzte sich auf die Tischplatte. Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand ein schweres Gewicht von meinen Schultern genommen, als sie mich aus ehrlichen Augen ansah und lauthals zu lachen begann.
»Was? Dachtest du wirklich, ich würde die verrückte Krähe unterstützen?«, wollte sie wissen und ich musste schmunzeln. Eigentlich schon. Aber das würde ich ihr nicht auf die Nase binden.
Kopfschüttelnd verneinte ich. Regan war auf unserer Seite und vielleicht würde uns das helfen Rabiana zu stürzen oder sie wenigstens wieder aus der Schule zu ekeln. Es war nur eine Frage der Zeit. Doch das war gleichzeitig unser erstes Problem: Zeit. Das Gespräch war schneller beendet als erwartet, als ein Schüler an die Tür klopfte und mich holte, da Professorin Shila sich beschwert hatte, wo ich denn blieb. Wenigstens bekam ich keine Strafarbeit aufgebrummt, da ich dank Regan eine perfekte Ausrede hatte.
In den Tagen danach ergab sich keine freie Minute für eine erneute Unterhaltung, was die erste Freude über unsere neue Verbündete ein wenig dämpfte. Trotzdem blieb ich zuversichtlich und erzählte den anderen beim Mittagessen von den Erkenntnissen, als Hunter mich besorgt auf das Gespräch ansprach: »Worüber habt ihr geredet? Du warst eine halbe Ewigkeit bei ihr.«
An dieser Stelle hätte ich erwähnen sollen, dass es mir nicht so lange vorgekommen war, aber ich war auch zu beschäftigt gewesen, zu weinen und meinen Eltern nachzutrauern.
»Sie will uns helfen«, sagte ich schlicht und lächelte in meine Tasse.
»Moment, bist du dir sicher?«, fragte Tara und sah mich zweifelnd an.
»Sie klang absolut ehrlich«, wisperte ich, damit die Schüler am Nebentisch nichts mitbekamen, die mich hin und wieder argwöhnisch musterten.
»Warum glaubst du das?«, wandte Jonathan ein und steckte sich einen Löffel voll Suppe in den Mund, an dem er sich prompt die Zunge verbrannte.
»Erstens kannte