Himmel (schon wieder). Andrea Ross
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Momentan war ihm nicht nach seichten Späßchen zumute. Soeben hatte er anhand eines charakteristischen Schwapp-Geräusches festgestellt, dass das Motorrad aufgetankt werden musste. Na schön! Das wäre dann gleich eine passende Gelegenheit, die Existenz einer gewissen Tankstelle zu überprüfen. Jener Tankstelle, die nicht weit vom Grundstück Pilars entfernt lag. Der Tanke mit dem Besitzer Fernando, die ihm einige Ersatzteile für »El Burro« geliefert hatte. Sehr gut! Vielleicht musste er dann gar nicht mehr weiter nachsehen, wenn schon dieser Ort nur im Traum existent gewesen wäre. Schon von weitem sprang ihm das Flachdach der Tankstelle ins Auge. »Was zum Teufel …!« Es klang dumpf unter dem Helm und Stephen brach der kalte Schweiß aus. Besonders als er Fernando gewahrte, den es somit ebenfalls in Wirklichkeit gab. Der sang unbekümmert in seiner Werkstatt vor sich hin, während er einem Fahrzeug Öl nachfüllte, welches hier zu Lande, wie Stephen neuerdings wusste, »aceite« hieß. Nachdem er geistesabwesend die Tankrechnung beglichen hatte, fuhr er sich nervös durch die blonde Strubbel-Frisur, setzte den Helm wieder auf und fuhr, wie von Teufeln gehetzt, vom Gelände.
»Wenn der Rest dieses Albtraums auch noch in Wirklichkeit
existent ist, dann müsste … jaaaaaaa, JETZT Pilars Grundstück sichtbar sein!«
Schon wieder sprach Stephen mit sich selbst, um sich abzuregen. Das klang erneut recht seltsam unter dem Helm und seine vor Aufregung beschleunigte Atmung hinterließ einen feuchten Film auf dem Visier. Doch die Beruhigung seiner Nerven wollte ihm nach Lage der Dinge nicht gelingen. Was er insgeheim befürchtet, jedoch eigentlich instinktiv schon geahnt hatte, das war nun auch unverrückbar in seinem Verstand etabliert. Seine erstaunten Augen vermeldeten nämlich, dass Pilars Haus genauso vorhanden war wie ihre Zitronenplantage.
Doch EIN Detail erschien ihm trotzdem seltsam. Als er das Grundstück während seines »Horrortrips« zum ersten Mal gesehen hatte, war es in einem verlotterten Zustand gewesen. Aus Dankbarkeit für seine Rettung und Pflege nach dem Motorradunfall hatte Stephen es für Pilar hergerichtet, und in exakt diesem Zustand befand es sich jetzt. Wie konnte das möglich sein? Wenn er den Unfall doch gar nicht erlitten hatte, dann hätte Pilar ihn nicht gepflegt, ihn nicht einmal gekannt. In diesem Fall aber hätte er dort natürlich auch gar nichts reparieren können … Über solch abstrusen Gedanken konnte man wahrlich verrückt werden. Ja klar – Stephen erinnerte sich. Hier drüben befand sich der Bewässerungsgraben, aus welchem man ihn nach dem Unfall geborgen hatte. Dort, neben der Werkstatt, standen große Körbe, die zur Zitronenernte verwendet wurden, genau wie in seiner Erinnerung. Mit dem einzigen Unterschied, dass einer davon eben NICHT die Trümmer seiner zerstörten Harley enthielt, welche Pilar in seiner Erinnerung penibel aufgeklaubt hatte.
Er musste hier weg, bekam es mit einer unheimlichen Angst zu tun. Wollte nur noch nach Hause, sich hinlegen und am nächsten Morgen wieder einen klaren Kopf bekommen, über sich selber lachen, über seine vielfältigen Einbildungen.
Er wurde einfach den Gedanken nicht los, dass das Mädchen Lena, welches er von der Party kannte, irgendwie den Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels bereithielt. Doch weshalb, das wusste er nicht zu sagen. In seiner Erinnerung war sie ein liebenswertes, zartes Geschöpf gewesen, schließlich, nach turbulenten Erlebnissen eines Tages, seine Frau geworden.
Warum war die Lena von heute so komplett anders? Wie eine verwöhnte Zicke hatte sie auf ihn gewirkt, lasterhaft und egoistisch. Auf der Party gestern hatte sie sich ihm förmlich an den Hals geworfen, niemals hätte er dergleichen bei seiner sanften Traum-Lena erlebt.
So schön es sich anfühlte, dass die Harley doch nicht an einem Möbellaster zerschellt war – in Bezug auf Lena hätte er etwas darum gegeben, wenn DIES hier der Traum gewesen wäre und im Gegenzug der »Horrortrip« die Wirklichkeit. Wenn man vom Ende dieser Geschichte einmal absah, welche weiß Gott nicht witzig ausgegangen war. Stephen McLaman als Lehr-Erzengel, Himmel noch mal!
Vor dem Einschlafen versuchte sich eben dieser verwirrte Stephen McLaman nun krampfhaft einzureden, dass er Pilars Haus und die Tankstelle einfach nur irgendwann beim Vorbeifahren gesehen haben musste, aus dem Augenwinkel registriert. Der Rest war demnach bestimmt Einbildung.
Was Lena betraf, so hatte er sich für dieses Mädchen, das in einem dermaßen attraktiven Körper steckte, wahrscheinlich einfach einen anderen Charakter herbeigewünscht, war gestern mit solchen Gedanken in den Drogenrausch hinübergedämmert. Sein zugedröhntes Gehirn musste dann wüst herumphantasiert haben. Nur so ließ sich das alles mit Hängen und Würgen erklären.
In der nächsten Zeit würde er sich penibel von allen Joints dieser Welt fern halten, garantiert.
* * *
Die schwarzgelockte Yoli warf sich energisch die Jacke über die Schulter und zwängte sich in ihre hochhackigen Pumps. »Lena, bist du endlich fertig? Ich muss gehen, in einer Viertelstunde muss ich auf der Arbeit sein! Komm, wir fahren!«
»Ja gleich, warte mal! Ich hab da etwas gefunden; ich glaube, das gehört diesem Stephen. Seine Referenzen, aus denen gestern so viel zitiert wurde. Hast du eine Ahnung, wo der wohnt?« Yolanda Nuñez Hernandez hatte keine blasse Ahnung. Ihre Finger trommelten seit endlosen Minuten einen nervösen Marsch auf die Türklinke. Wenn Lena jetzt nicht bald kam, dann wäre sie, die Kellnerin Yoli, in argen Erklärungsnöten. Ihr Chef schätzte es so gar nicht, wenn sie zu spät an ihrem Arbeitsplatz erschien. Dabei hatte sie schon gestern krankgefeiert, damit sie das Catering für diese Party übernehmen konnte. Für ein hübsches Sümmchen, versteht sich. Kellnerinnen waren ersetzbar, daher konnte sie es sich unmöglich leisten, heute auch noch zu spät zu kommen. Wenigstens sah sie total übernächtigt aus und hatte Augenringe, die sie an diesem Abend absichtlich nicht überschminkte. Daher würde ihr Chef sicherlich den Schwindel mit der Krankmeldung nicht durchschauen.
Endlich bog Lena mit wehendem Haar um die Ecke. »Ich glaube, ich nehme das Zeugs einfach mit! Vielleicht rufe ich dort im Hotel Eden Roc an, die könnten es ihm irgendwann aushändigen. Vielleicht mach ich das auch nicht, denn als er aufwachte, war er doch ein ziemlicher Idiot!« Lena seufzte. Männer! Warum hatte sie gestern Abend nicht bereits bemerkt, dass der ach so charmante und eloquente Steve nicht alle Tassen im Schrank hatte?
Yoli war sich sicher: sie hatte sämtliche nur denkbaren Verkehrsregeln übertreten, als sie Lena nach nur 10 Minuten vor ihrem Hotel absetzte. Sie besaß nun einmal ein ausgeprägtes Samariter-Gen, welches ihr strengstens verbot, Lena einfach ihrem Schicksal zu überlassen, so dass diese dann selbst sehen müsste, wie sie zurück zum Hotel kam. Obwohl die beiden eigentlich nichts weiter verband, als eine kaum zweiwöchige Bekanntschaft.
Lena war eines Abends in der Tapas-Bar aufgetaucht, in welcher Yoli bediente. Die beiden hatten sich etwas angefreundet, gemeinsam über alles Mögliche gelästert. Na ja, eigentlich hatte Lena sich an Yolis Fersen geheftet, weil sie hier in Spanien niemanden kannte und schnell feststellte, dass sich in Yolis Nähe attraktive Jungs aller Nationen aufhielten. Dann hatte Yoli Lena unvorsichtigerweise von der Party erzählt, bei der sie für Speis und Trank sorgen wollte. Sofort war Lena darauf eingestiegen und hatte sich quasi selbst eingeladen.
Mit quietschenden Reifen legte Yoli die letzten Meter zur TapasBar zurück. Wenn sie nun nicht doch noch von der Guardia Civil erwischt wurde, dann würde sie es gerade rechtzeitig schaffen, registrierte sie, nicht ohne Stolz.
* * *
Am nächsten Morgen, als Steve frisch und munter erwachte, hatte er einen festen Vorsatz gefasst: er würde den komischen Traum, oder was immer das gewesen war, einfach abhaken und vergessen. Er würde im Hier und Jetzt leben, zu dem großen Hotel hinüberfahren, das ihn vorgestern