Kartellrecht und Ökonomie. Daniel Zimmer
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Größere Investitionen in F&E werden von einem Unternehmen aufgrund der höchst unsicheren Erträge im Allgemeinen nur dann getätigt, wenn sichergestellt ist, dass es auf seine Investitionen zumindest den am Markt erzielbaren durchschnittlichen Ertrag erhält. Wenn aber andere Unternehmen, die selbst keine derartigen Investitionen getätigt haben, sich die Forschungsergebnisse kostenlos aneignen könnten, wären die Anreize, in F&E zu investieren, deutlich reduziert. Eine Geheimhaltung der Forschungsergebnisse ist in vielen Fällen nicht möglich, da sich das Forschungsresultat in einem Produkt manifestiert hat, das von anderen Unternehmen imitiert werden kann. Aus diesen Gründen ist zur Sicherstellung ausreichender Investitionen in F&E ein Anreizsystem, wie z.B. der Patentschutz, nötig, das es den Unternehmen erlaubt, sich die Erträge ihrer Investitionen anzueignen. Ein „ewiges Patent“ ist jedoch aus gesellschaftlicher Sicht nicht sinnvoll, da es wünschenswert ist, die neuentwickelte Technologie auch anderen zugänglich zu machen. Ein vernünftiges Anreizsystem, das zum Erreichen eines dynamisch effizienten Wirtschaftsprozesses beiträgt, wird also einen Kompromiss finden müssen zwischen den Anreizen für Unternehmen, in F&E zu investieren, und der Verbreitung der Forschungsergebnisses in der Gesellschaft, d.h. einen Patentschutz für einen begrenzten Zeitraum.
Von den genannten ökonomischen Zielen der Wettbewerbspolitik, der Allokations-, der Produktions- und der dynamischen Effizienz ist letztere aufgrund ihres Zukunftsbezuges das am schwierigsten zu erfassende Kriterium.8 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass zwischen den beiden statischen Konzepten der Allokations- und Produktionseffizienz einerseits und der dynamischen Effizienz andererseits im Allgemeinen keine Harmonie besteht, sondern Zielkonflikte auftreten. So kann z.B. eine effiziente Allokation dazu führen, dass Unternehmen keine Gewinne realisieren und daher keine ausreichenden Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigen können, sodass die Wirtschaftsentwicklung sich nicht in dynamisch effizienter Weise vollzieht.
IV. Der relevante Wohlfahrtsstandard
Diese Überlegungen stehen in direktem Zusammenhang mit der Diskussion über den in der Wettbewerbspolitik zu verwendenden Wohlfahrtsstandard, wie z.B. bei der Beurteilung von Effizienzgewinnen in der Fusionskontrolle. Dabei werden zumeist zwei alternative Beurteilungsmaßstäbe diskutiert: Der Gesamtwohlfahrtsstandard (Total Welfare Standard) und der Konsumentenwohlfahrtsstandard (Consumer Welfare Standard). Der erste entspricht der Vorstellung, die Wettbewerbspolitik sollte darauf hinwirken, die Gesamtwohlfahrt als Summe von Konsumenten- und Produzentenrente zu maximieren. Die Aufteilung der volkswirtschaftlichen Rente auf Konsumenten- und Produzentenrente ist unerheblich, es kommt lediglich darauf an, sie so groß wie möglich zu machen. Aus ökonomischer Sicht ist der Gesamtwohlfahrtsstandard gleichbedeutend mit der Realisierung einer effizienten Allokation und wird daher von vielen Ökonomen präferiert.9 Der Konsumentenwohlfahrtsstandard hingegen orientiert sich ausschließlich an der Konsumentenrente.10 Wettbewerbspolitische Maßnahmen sollten hiernach darauf abzielen, sie zu erhöhen oder zumindest eine Verringerung zu verhindern.11 Änderungen der Produzentenrente sind dabei unbeachtlich. Beim Konsumentenwohlfahrtsstandard ist entscheidend, wie sich die Konsumentenrente verändert. Bei gleichbleibenden Leistungen steigt die Konsumentenrente genau dann, wenn die Preise fallen. Der Unterschied zwischen den beiden Wohlfahrtsstandards kann an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Falls eine Fusion zum einen zu mehr Marktmacht und damit zu höheren Preisen führt, zum anderen aber auch mit Kosteneinsparungen verbunden ist (produktive Effizienz), so würde beim Gesamtwohlfahrtsstandard nur berücksichtigt, ob die allokativen Effizienzverluste, die aufgrund der Marktmacht entstehen, größer oder kleiner sind als die aufgrund der fusionsbedingten Kosteneinsparungen erzielten Gewinne an produktiver Effizienz. Je nachdem, welcher Effekt überwiegt, sollte die Fusion genehmigt oder untersagt werden. Hierbei handelt es sich um den bekannten Williamson-Trade-off zwischen den negativen Auswirkungen einer Fusion aufgrund steigender Marktmacht auf die allokative Effizienz und deren positive Auswirkungen auf die produktive Effizienz.12 Die gleichzeitig stattfindende Umverteilung der volkswirtschaftlichen Rente von den Nachfragern zu den Anbietern infolge des höheren Preises aufgrund zusätzlicher Marktmacht würde nicht in die Beurteilung eingehen. Beim Konsumentenwohlfahrtsstandard würde diese Umverteilung hingegen berücksichtigt, weil es hier nur auf die Auswirkungen auf die Konsumentenrente ankommt. Wären hierbei die Effizienzvorteile durch die Fusion so groß, dass es trotz erhöhter Marktmacht zu fallenden Preisen und damit zu einer erhöhten Konsumentenrente kommt, dann würde einer Genehmigung dieser Fusion nichts im Wege stehen. Beim Konsumentenwohlfahrtsstandard ist folglich keine Saldierung der Wohlfahrtsverluste für die Konsumenten mit den Wohlfahrtsgewinnen für die Produzenten möglich, wie dies beim Gesamtwohlfahrtsstandard der Fall ist. Wohlfahrtsökonomisch entspricht damit der Gesamtwohlfahrtsstandard dem so genannten Kaldor-Hicks-Kriterium, das – aufgrund der theoretisch möglichen Kompensationsmöglichkeit der Konsumenten durch die Produzenten – eine Saldierung erlaubt, während der Konsumentenwohlfahrtsstandard darauf beharrt, dass wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen sich nie so auswirken dürfen, dass die Konsumenten schlechter gestellt werden.13
Zumeist werden für den Gesamtwohlfahrtsstandard die folgenden Argumente angeführt: Die Berücksichtigung sowohl der Konsumenten- als auch der Produzentenrente sorge dafür, dass eine größere Zahl effizienzerhöhender Entwicklungen ermöglicht werde als bei einer Beschränkung auf die Betrachtung der Konsumentenrente. Viele Unternehmen gehörten Aktionären, die gleichzeitig Konsumenten seien, sodass eine Erhöhung der Produzentenrente letztlich auch den Konsumenten zugute komme. Weiterhin wird argumentiert, dass eine Erhöhung der Produzentenrente die Unternehmen in die Lage versetze, einen größeren Betrag in Forschung und Entwicklung zu investieren, von der mittel- und langfristig auch wieder die Konsumenten profitierten.14
Für die Konzentration auf die Konsumentenrente als Beurteilungskriterium hingegen spreche die Tatsache, dass es im Unterschied zu den Unternehmen den Konsumenten im Allgemeinen nicht möglich sei, ihre Interessen zu bündeln, um im politischen Prozess hinreichend Berücksichtigung zu finden. Daher müssten die Interessen der Konsumenten bereits institutionell, im Rahmen des Wettbewerbsrechts bzw. der Wettbewerbspolitik Beachtung finden, was durch den Konsumentenwohlfahrtsstandard gewährleistet sei. Auch können bei Anwendung dieses Standards Unternehmen mögliche Informationsvorteile gegenüber den Wettbewerbsbehörden nicht mehr ausnutzen. Ein weiteres, pragmatisches Argument für diesen Standard ist, dass er einfacher anzuwenden sei, da wettbewerbsrechtliche bzw. -politische Maßnahmen bereits anhand einer zu erwartenden Preisänderung beurteilt werden könnten und Änderungen der Produzentenrente nicht berücksichtigt werden müssten. Ein weiteres Argument, das für den Konsumentenwohlfahrtsstandard angeführt wird, ist, dass das Ziel der Gesamtwohlfahrt besser erreicht wird, wenn die Wettbewerbsbehörden sich am Konsumentenwohlfahrtsstandard orientieren. So wurde gezeigt, dass eine Ankündigung der Wettbewerbsbehörden, sich am Konsumentenwohlfahrtsstandard zu orientieren, dazu führt, dass vor allem solche Zusammenschlüsse stattfinden werden, die die Gesamtwohlfahrt erhöhen.15 Wenn Unternehmen durch Lobbying das Ergebnis eine Fusionsentscheidung beeinflussen können, dann führt ein gewichteter Durchschnitt von Produzenten- und Konsumentenrente mit einem größeren Gewicht für letztere zu einem Ausgleich des Einflusses der Unternehmen auf die Wettbewerbsbehörden.16
Die Entscheidung über den Standard zur Beurteilung wettbewerbsrechtlicher bzw. -politischer Maßnahmen ist letztlich normativer Natur.17 Die meisten Wirtschaftswissenschaftler neigen dem Gesamtwohlfahrtsstandard zu, da sie sich in aller Regel an der gesamten Wohlfahrt orientieren und Verteilungsfragen anderen Politikbereichen zuweisen.18 Der Gesamtwohlfahrtsstandard lässt die Verteilung der volkswirtschaftlichen Rente zwischen Produzenten- und Konsumentenrente