Die Begleitbeistandschaft. Daniel Rosch
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Anknüpfungspunkt des Sozialrechts waren in der Vergangenheit vielfach soziale Spannungen in der Bevölkerung, so insbesondere im Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht. Es ging darum, die damit verbundenen persönlichen und gesellschaftlichen Risiken gerade für unterprivilegierte Bevölkerungsschichten abzufedern. Später kamen Massnahmen hinzu, die unabhängig von einer Schichtzugehörigkeit bestanden, wie Mieterschutz, Opferhilfe Konsumentenschutz. Die dafür ursächlichen sozialen Problemlagen konnte der Einzelne nicht ohne die Mithilfe des Staates verändern respektive verbessern.[5] Sozialrechtliche Massnahmen beinhalten solche zur Gewährleistung «der als notwendig erachteten Lebensbedürfnisse der Daseinsfürsorge und –vorsorge gerade dort, wo sie aufgrund der tatsächlichen Situation (z. B. Wohnungsmarkt) nicht mehr gewährleistet sind. Was zu diesen Lebensbedürfnissen gehört, ergibt sich aufgrund einer gesellschaftlich wandelbaren Wertung. Sozialrecht ist somit Ausdruck des verfassungsmässig verankerten Sozialstaatlichkeitsprinzips (z. B. Art. 12, 19, 29 Abs. 3, 41, 111 f. BV)».[6] Sozialrecht versteht sich nach dieser Auffassung als Querschnittsmaterie zwischen öffentlichem und Privatrecht und umfasst sämtliche rechtlichen Normen, «welche die für die Lebensbewältigung notwendige Teilhabe ermöglichen sollen und zugleich Ausdruck einer besonderen sozialstaatlichen Zielsetzung sind, also auf soziale Absicherung, sozialen Ausgleich, Schutz, Teilhabe und Chancengleichheit ausgerichtet sind.»[7]
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Gemäss dieser Definition gehören zum Sozialrecht neben den klassischen Bereichen Sozialhilfe–, Sozialversicherungs– und Eingriffssozialrecht auch das Bildungs- und Gesundheitsrecht. Damit ergibt sich eine Ausweitung der Begrifflichkeit von sozialpolitischen auf sozialstaatliche Massnahmen. Diese erscheint angezeigt, weil sich das Gesundheits- und Bildungsrecht häufig mit den klassischen Bereichen des Sozialrechts überschneiden. So beinhaltet das Sozialversicherungsrecht auch gesundheitsrechtliche Fragestellungen, das Kindesschutzrecht findet sich auch im Bildungsrecht etc. Gleiches gilt auch für das revidierte Erwachsenenschutzrecht, in dem diverse Bestimmungen zum Gesundheitsrecht zu finden sind.[8]
3. Erwachsenenschutzrecht als Eingriffssozialrecht
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Eingriffssozialrecht bezieht sich auf zwei Aspekte: zunächst als Eingriff in die verfassungsmässig geschützten Grundrechte im Bereich des Sozialrechts. Daneben rekurriert der Begriff auch auf Eingriffe im Sinne einer Verwaltungstätigkeit, nämlich auf die Eingriffsverwaltung. Dieser letztere Aspekt wird weiter unten ausgeführt.[9]
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Zivilrechtlicher Erwachsenenschutz ist nach schweizerischem Rechtsverständnis nicht nur Sozialrecht, sondern – insbesondere bei den behördlichen Massnahmen gemäss Art. 388 ff. ZGB – auch Eingriffssozialrecht. Anknüpfungspunkt des behördlichen Erwachsenenschutzrechtes ist die Handlungsfähigkeit, die faktisch oder rechtlich beschränkt werden kann.[10] Die einzelne Person ist vor Eingriffen in die Rechtsstellung insbesondere durch das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) geschützt.[11] Dieses bewahrt das Individuum vor Eingriffen des Staates – insbesondere in die körperliche Integrität, in die Bewegungsfreiheit und in die geistige Unversehrtheit.[12] Daneben können weitere Grundrechte tangiert sein. Aufgrund der sich potenziell überschneidenden Schutzbereiche des Grundrechtsrechts auf Privatsphäre nach Art. 13 BV und der geistigen Unversehrtheit als Teil des Grundrechts auf persönliche Freiheit greift Erwachsenenschutz je nach Konzeption des Verhältnisses dieser Grundrechte zueinander mehr oder minder – auch überschneidend – in das Grundrecht auf Privatsphäre ein.[13] Zusätzlich werden auch das Grundrecht auf Menschenwürde (Art. 7 BV) und das Recht auf Ehe (Art. 14 BV) genannt.[14]
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Dieser grundrechtliche Schutz gilt nicht allumfassend. Gemäss Art. 36 BV können Grundrechte eingeschränkt werden, sofern eine gesetzliche Grundlage besteht, der Eingriff durch ein öffentliches Interesse bzw. durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig ist,[15] das heisst geeignet sowie erforderlich und in einem angemessenen Verhältnis von Eingriffszweck und Eingriffswirkung steht. Zudem ist der Kerngehalt der jeweiligen Grundrechte unantastbar und darf nicht verletzt werden.[16]
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Die behördlichen Massnahmen des Erwachsenenschutzes bieten eine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in die obgenannten Grundrechte. Sie sind angesichts des Eingriffs ausreichend bestimmt und in einem Gesetz im formellen Sinne verfasst.[17] Das öffentliche Interesse ist sozialpolitischer Natur und hat Wohl und Schutz der betroffenen Person zum Inhalte.[18] Mit einer Interessenabwägung im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung kann das Spannungsverhältnis zwischen angeordneter Betreuung und Freiheit bzw. Selbst- und Fremdbestimmung austariert werden.[19]
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Demgegenüber wird in der deutschen Literatur die These vertreten, dass die Betreuungen (d. h. die Beistandschaften des deutschen Rechts) weitgehend kein Eingriffssozialrecht darstellen würden. Wenn man davon ausgehen könne, dass Sinn und Zweck der Massnahmen auf die altruistisch geprägte Teilhabe am Geschäftsverkehr bzw. am gesellschaftlichen Leben abzielen würden, dann werde mit der Massnahme nicht in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen, sondern diese würden verwirklicht. Die Betreuung ermögliche die gleichberechtigte Teilhabe. So sei es auch Aufgabe der Betreuungsperson, die betreute Person vor unangemessenen staatlichen Eingriffen zu schützen. Nur dort, wo die eigenverantwortliche Entscheidung des Grundrechtsträgers missachtet würde, gehe es um grundrechtlich relevante Eingriffe. Damit würde aber die Betreuungsperson – zumindest nach deutschem Recht – seine Kompetenzen überschreiten.[20] Dementsprechend seien weder die Betreuung noch die einzelnen Handlungen der Betreuungsperson grundrechtlich relevant.[21] Trotzdem bestehe latent die Gefahr, dass die Betreuungsperson im Einzelfall potenziell in die Grundrechte eingreife – insbesondere dort, wo es um irreversible Eingriffe im Bereich der Tathandlungen gehe. Deshalb hätten die materiellen und verfahrensrechtlichen Regeln freiheitssichernde Funktion, und die Betreuungsperson tue gut daran, ihr Verhalten an den grundrechtlichen Voraussetzungen auszurichten.[22] Daraus kann geschlossen werden, dass selbst hier die Anordnung der Massnahme und auch die Handlungen der Betreuungsperson grundrechtsähnlich im Sinne eines «vorbeugenden Grundrechtsschutzes»[23] erfolgen sollten.
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Für die schweizerische Rechtsordnung erscheint diese Auffassung nur bedingt zutreffend. Zwar ermöglicht die altruistisch geprägte Beistandschaft die Teilhabe an der Gesellschaft bzw. am Rechtsverkehr. Daneben besteht aber die Aufgabe des Beistandes auch darin, die betroffene Person vor selbstschädigenden Handlungen zu schützen.[24] Damit verbunden sind im Einzelfall mehr oder minder starke Kontrolle bzw. auch Fremdbestimmung. Im Unterschied zum deutschen Recht kann bzw. muss der Beistand durchaus auch gegen den Willen einer urteilsfähigen Person entscheiden. So können nach schweizerischem Recht auch Beistandschaften gegenüber urteilsfähigen Personen angeordnet werden. Bei der Begleit- oder Mitwirkungsbeistandschaft ist die Urteilsfähigkeit sogar Voraussetzung der Massnahmeerrichtung, und trotzdem rechtfertigt der Schutz diesen Eingriff.[25] Folglich handelt es sich beim behördlichen Erwachsenenschutz potenziell massgeblich um Fremdbestimmung,[26] und die schweizerische Lehre und Rechtsprechung gehen von einem Grundrechtseingriff bei Beistandschaften aus.[27] Hinzu kommt die faktische und rechtliche Nähe des Erwachsenenschutzes zum Verwaltungsrecht und dort die Zuordnung zur Eingriffsverwaltung.[28]
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Im Rahmen des revidierten Erwachsenenschutzrechtes gehören primär die behördlichen Massnahmen zum Eingriffssozialrecht. Daneben finden sich aber auch weitere Bereiche des revidierten Rechts, die dem Eingriffssozialrecht zuzuordnen sind, wie z. B. das Einschreiten der Erwachsenenschutzbehörde beim Vorsorgeauftrag (Art. 368 ZGB) oder bei bewegungseinschränkenden Massnahmen (Art. 385 ZGB). Inwieweit die Begleitbeistandschaft aufgrund