Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG. Lisa Maria Völkerding
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Zwischen der Religionsfreiheit i.S.v. Art. 4 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV bestehe nach Auffassung des BVerfG ein solch enger „organischer“ Zusammenhang, dass die Schutzgehalte des Art. 137 Abs. 3 WRV durch eine auf Art. 4 GG gestützte Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden könnten.161 Diese betrachtet das Verfassungsgericht umfassend, d.h. auch unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV.162 Soweit sich der Schutzbereich von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV und der korporativen Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG decke, finde Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zwar aufgrund der speziellen Schrankenbestimmung vorrangig Anwendung.163 Den schrankenlosen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG werde jedoch im Abwägungsprozess dadurch Rechnung getragen, dass dem Selbstbestimmungsrecht in der Abwägung mit konkurrierenden Rechten ein „besonderes Gewicht“ beizumessen sei.164
b) Institutionelle Freiheitsgarantie
Nach einer an die historischen Weimarer Wurzeln des Selbstbestimmungsrecht anknüpfenden Betrachtung wird Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV eine institutionelle Dimension beigemessen, die unabhängig von dem durch Art. 4 GG gewährleisteten Freiheitsgrundrecht zu betrachten sei.165 Diese Ansicht wird teilweise dahingehend modifiziert, dass eine gemeinsame Betrachtung von institutionellem Recht und Freiheitsrecht zu erfolgen habe.166
c) Auffangfunktion
Demgegenüber vertritt ein großer Teil der aktuelleren Literatur die Auffassung, dass sich die Schutzbereiche beider Normen weitgehend decken würden und im Nebeneinander beider Normen der schutzintensivere Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG regelmäßig vorrangig anzuwenden sei, wobei im Falle des Handelns von Religionsgemeinschaften die spezielle Schranke des Art. 137 Abs. 3 WRV greife.167 Das Religionsverfassungsrecht wird insoweit aus der Perspektive des Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG betrachtet.168 Lediglich im Rahmen von organisationsrechtlichen Fragen der Struktur und Mitgliedschaft verbleibe Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV eine eigenständige Bedeutung.169
Hieran wird kritisiert, dass nicht alle über Art. 140 GG inkorporierten Rechte lediglich von Art. 4 GG ableitbar seien, auch wenn Art. 4 GG als „zentrale Grundentscheidung“170 oder sogar „religionsrechtliche Grundnorm“171 betrachtet werden könne. Soweit sich die Regelungen von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV nicht direkt aus Art. 4 GG ableiten ließen, handle es sich um „spezifische Ausprägungen der Schutzpflichtendimension der Religionsfreiheit“ für das deutsche Religionsverfassungsrecht.172
d) Kollisionsfunktion
Die eigenständige Bedeutung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV soll auch nach Auffassung eines Teils der Literatur in dessen besonderer Funktion liegen. Die Vorschrift diene der Auflösung der Kollision einer sich gegenseitig ausschließenden staatlichen wie kirchlichen Rechtsetzung in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand.173 Mithilfe von Art. 137 Abs. 3 WRV könne in den seltenen Fällen, in denen sich die gleichzeitige Anwendbarkeit von kirchlichem und staatlichem Recht ausschließe, bestimmt werden, welche Regelung Anwendung finde.174 Der Staat akzeptiere insoweit die Regelungszuständigkeit der Kirche im Rahmen der Schrankenregelung.175
Die Einordnung der Religionsgemeinschaft als eine dem Staat ebenbürtige Inhaberin von Rechtsgewalt begegnet in der Literatur heftigem Widerspruch. Sie lasse sich mit dem heutigen Verständnis der Unterordnung der Kirche unter das Grundgesetz176, dem Prinzip staatlicher Souveränität177 sowie der Übertragung der Gemeinwohlverantwortung auf den Staat178, nicht vereinbaren. Dem halten die Vertreter der Kollisionsfunktion entgegen, der Staat erkenne die Kirche als „societas perfecta“ an, „[…] die nicht nach seinem, sondern nach eigenem Recht lebt […]“.179
Auch geht die Rechtsprechung davon aus, der Verfassungsgeber habe durch die Inkorporation des Selbstbestimmungsrechts zum Ausdruck gebracht, dass die Religionsgemeinschaften „ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten“.180 Ferner sei eine den aktuellen staatlichen Präferenzen ggf. widersprechende, wesentliche Grundentscheidung zu Gunsten der Stellung der Kirche getroffen worden.181 Die gesonderte Verankerung des Selbstbestimmungsrechts diene dazu, die Anerkennung des Verhältnisses von Religionsgemeinschaft und Staat festzuschreiben.182
2. Stellungnahme
Das Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV steht unstreitig in engstem Zusammenhang mit der Religionsfreiheit und ist demnach im Lichte der Religionsfreiheit auszulegen.183 Einzelne Aspekte des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bedingen nach hier vertretener Auffassung die Freiheit der kollektiven Religionsausübung der Gläubigen und ergeben sich demgemäß bereits aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG.184 Insofern tritt Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV hinter den schutzintensiveren Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG zurück.185 Mit Blick auf die Subsumtion von Sachverhalten unter die Rechtsvorschrift ist demnach zu differenzieren, inwiefern die Angelegenheit lediglich einen administrativen Charakter hat oder einen Bezug zur Religionsfreiheit aufweist.186
Eine eigenständige Bedeutung bei gleichzeitiger Anerkennung der Verknüpfung beider Artikel liegt nach überzeugender Ansicht ferner in der Kollisionsfunktion des verfassungsrechtlich gesondert verankerten Selbstbestimmungsrechts. Eingewendet wird, der vorstehende Ansatz biete keine Vorgaben für die Auflösung des Kollisionsverhältnisses, da das Vorrangverhältnis nicht festgelegt werde.187 Die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts und damit einhergehend der Anwendungsvorrang können aber auf der Ebene des Schutzbereichs sowie insbesondere der Schrankenbestimmung hinlänglich konkretisiert werden. Art. 140 GG i.V.m. Art 137 Abs. 3 WRV gibt diesbezüglich einen hinreichend ausdifferenzierten „Ausgleichsmechanismus“188 vor.189
Ein die Bedeutung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV in das Deklaratorische verschiebender Ansatz vermag nicht zu überzeugen. Verfassungsrechtliche Normierungen weisen im Zweifelsfall eine eigenständige Bedeutung auf und sind dementsprechend auszulegen.190 Richtigerweise muss die Durchsetzung jeglichen Rechts in weltlichen Angelegenheiten dem staatlichen Gewaltmonopol obliegen und der Staat selbst hat die kirchlichen Normen mit unmittelbarem Geltungsrang auszustatten, soweit Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV dies gebietet. Dies stellt die Annahme einer Kollisionsfunktion aber nicht infrage. Im Falle einer vorrangigen Anwendung kirchlicher Regelungen in weltlichen Angelegenheiten hat der Staat diesem Anwendungsvorrang gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zur Geltung zu verhelfen und ggf. den erforderlichen Rahmen für die insoweit gelebte Religionsfreiheit zu schaffen191. Dieses Durchsetzungsgebot ermächtigt den Staat indes nicht zu einer inhaltlichen Kontrolle kirchlicher Regelungen und ist nicht auf deren Genehmigung ausgelegt.192 Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben eine der staatlichen Säkularisierungstendenz gegenüber „witterungsbeständige“ Entscheidung zugunsten einer Sonderrolle der Religionsgemeinschaft im verfassungsrechtlichen Gefüge gefällt.193
B. Die Kündigung von Arbeitsverhältnissen als „eigene Angelegenheiten“ der Kirchen
Nachdem geklärt wurde, unter welchen Voraussetzungen das Grundgesetz das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten sichert, soll nunmehr der verfassungsrechtliche Schutz des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen näher betrachtet werden. Hierfür ist zunächst ein Grundverständnis vom Wesen des kirchlichen Dienstes