Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG. Lisa Maria Völkerding
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![Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG - Lisa Maria Völkerding Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG - Lisa Maria Völkerding Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht](/cover_pre1171087.jpg)
I. Transzendenzschutz statt Tendenzschutz
In der Literatur wird darüber gestritten, ob die für sog. „Tendenzbetriebe“194 geltenden arbeitsrechtlichen Grundsätze auf Religionsgemeinschaften übertragen werden können oder ob es mit Blick auf ihre spezielle verfassungsrechtliche Stellung besonderer Regeln bedarf.
Ein Teil der Literatur verneint einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Religionsgemeinschaften und Tendenzträgern mit dem Argument, dass ein „gewisser Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ auch in der kirchlichen Dienstgemeinschaft nicht geleugnet werden könne.195 Es sei kein gravierender Unterschied zwischen Grundrechten und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht festzustellen, zumal das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zunehmend in einem Funktionszusammenhang mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit gesehen werde.196 Auch sei die Unterscheidung zwischen Religionsgemeinschaft und Tendenzbetrieb wegen des staatlichen Neutralitätsgebots sowie des Gleichheitssatzes problematisch.197 Dem gegenüber vertritt ein großer Teil der Literatur den Standpunkt, die Religionsgemeinschaft sei bereits dem Grunde nach nicht mit einem Tendenzbetrieb zu vergleichen und unterliege daher gänzlich anderen Regeln.198
Die letztere Auffassung verdient Zustimmung. Zwar kann es zu Interessenkonflikten zwischen kirchlichem Arbeitgebern und Arbeitnehmern kommen.199 Der Unterschied zu einem Tendenzarbeitsverhältnis liegt aber darin, dass sich der umfassende religiöse Sendungsauftrag auf sämtliche Lebensbereiche und nicht nur auf Teilaspekte hiervon erstreckt.200 Die Unterscheidung berührt daher nicht das Gleichbehandlungsgebot.201 In einer gerichtlichen Auseinandersetzung würde sich das Gericht bei der Übertragung der Grundsätze für Tendenzbetriebe kirchliche Arbeitsverhältnisse sogar vielmehr in die Gefahr begeben, wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln. Das staatliche Neutralitätsgebot ist nicht mit einer Pflicht zur „kritischen Distanz“ verbunden202, sondern erfordert Toleranz und Offenheit für sämtliche religiöse oder weltanschauliche Ansichten203. Insofern verstößt die Berücksichtigung der Besonderheiten der Religionsgemeinschaft nicht gegen das Neutralitätsgebot, sondern sichert dieses erst ab. Dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV im Kündigungsschutzprozess Transzendenz- statt Tendenzschutz voraussetzen, bekräftigte das BVerfG im Übrigen in seinen Leitentscheidungen Stern und Chefarzt.204
II. Die Dienstgemeinschaft als Grundlage kirchlicher Arbeitsverhältnisse
Als „Dienstgemeinschaft“205 wird im kirchlichen Arbeitsrecht die besondere Beziehung zwischen der Kirche und den Personen, die sich zur Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrages arbeitsteilig zusammenschließen, bezeichnet.206 Sie bildet eine „Brücke“ zwischen weltlichem (Arbeits-)Recht und theologischem Glaubensauftrag.207 Der Begriff der „Dienstgemeinschaft“ als solcher ist mit Blick auf seine erstmalige Verwendung im „Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben“ vom 23. März 1934208 von seinem theologischen Fundament zu unterscheiden. Die Begrifflichkeit wurde von der Kirche 1936 unter Bezugnahme auf die NS-Regelung erstmalig aufgegriffen209 und in den 50er Jahren in kirchenrechtlichen Regelungen beider Kirchen normativ verankert210. Der historisch problematische Hintergrund des Wortes „Dienstgemeinschaft“ ist Quelle beständiger Kritik an dessen Verwendung.211 Es kann dahingestellt bleiben, inwiefern eine alternative Begriffsform wünschenswert wäre. Das hinter dem Begriff der „Dienstgemeinschaft“ liegende Konzept der „Gemeinschaft des Dienstes“ (siehe 2 Kor 8, 4) weist nach kirchlichem Verständnis jedenfalls keinerlei Bezug zum nationalsozialistischen Gefolgschaftssystem auf.212
1. Katholische Kirche
In c. 211 CIC heißt es: „Alle Gläubigen haben die Pflicht und das Recht, dazu beizutragen, dass die göttliche Heilsbotschaft immer mehr zu allen Menschen aller Zeiten auf der ganzen Welt gelangt.“ Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche gehen von einem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen aus.213 Anders als die evangelische Kirche214 unterscheidet die katholische Kirche allerdings hinsichtlich der Stellung im kirchlichen Dienst zwischen Laien und Klerikern.215 Letztere übernehmen nehmen eine herausragende Rolle im kirchlichen Dienst ein (vgl. cc. 273 ff. CIC)216, wobei der Zweite Vatikanische Konzil die Differenzierung dahingehende relativierte, dass zwar „[…] in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung […]“ bestehe217. Unerheblich ist jedenfalls die Rechtsform des Anstellungsverhältnisses für die Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft.218 Obgleich die „Dienstgemeinschaft“ inzwischen als maßgebliche Argumentationsbasis für die Eigenart des kirchlichen Dienstes fungiert, verkompliziert die Überblendung des theologischen Fundaments mit der wirtschaftlichen Praxis die Bestimmung einer genauen Definition.219 Vor dem Hintergrund der Beschäftigung konfessionsverschiedener und konfessionsloser Mitarbeiter durch die Kirche kann die Dienstgemeinschaft schwerlich ausschließlich an das Selbstverständnis der Christen als zum Sendungsdient berufene Kinder Gottes i.S.d. cc. 204 ff. CIC anknüpfen.220 Eine Verengung des Begriffs auf einen Dienst, der ungeachtet der internen Motive faktisch der Erfüllung des Sendungsauftrages dient, wird zwar wiederum möglicherweise dem Prinzip des gemeinsamen Priesteramtes der Gläubigen nicht zur Gänze gerecht.221 Da die Dienstgemeinschaft jedoch selbst nicht als Form einer „soziologische[n] Gemeinschaft“ zu verstehen ist oder als Rechtsgrundlage für die erbrachten Leistungen dienen kann222, kann die Dienstgemeinschaft nur dasjenige sein, was die Kirche nach eigenem Selbstverständnis unter kirchlichem Dienst versteht. Die katholische Kirche hat nach ihrem allein maßgeblichen Selbstverständnis in Art. 1 S. 1 der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ von 1993223 eine Legaldefinition für den Rechtsbegriff der „Dienstgemeinschaft“ normiert, wonach diese durch den gemeinsamen Beitrag zur Erfüllung des Sendungsauftrags der Kirche gekennzeichnet sei.
2. Evangelische Kirche
Grundlegend für die evangelische Dienstgemeinschaft ist das Verständnis des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen.224 Das Amt der Kirche wurzelt dabei im Amt der Apostel und stellt ein einzigartiges, auf die Repräsentation Christi gerichtetes Amt dar, das im Wege der Ordination verliehen wird.225 Der Amtsträger steht dabei allerdings „in der Gemeinde“226, da die Dienstgemeinschaft trotz unterschiedlicher Aufträge durch die „[…] gemeinsame […] Verantwortung vor der allen geltenden Aufgabe […]“227 geprägt ist. Diese dienstliche Ordnung hat ihre theologische Grundlage im dreifachen Amt Christi, als Priester, Lehrer und Hirte.228
III. Überblick über Grundlagen und Ausformungen kündigungsrelevanter Loyalitätsobliegenheiten
1. Hintergrund der kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten
Die Kirchen unterliegen unter Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Sonderstellung bei der Ausgestaltung von kirchlichen Dienstverhältnissen geringeren Restriktionen als ein weltlicher Arbeitgeber.229 Neben den hier auszuklammernden Besonderheiten des kollektiven Arbeitsrechts230 betrifft dies insbesondere die Möglichkeiten kirchlicher Arbeitgeber, den