Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland. Johannes Hempel
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Im Hinblick auf den einstweiligen Rechtsschutz verblieb es bei der Vorschrift des § 61 X, in der nunmehr – wegen § 62 S. 1 MVG.EKD 2003 folgerichtig – „einstweilige Anordnungen“ durch „einstweilige Verfügungen“ ersetzt wurde. Über den Regelungszweck und Regelungsbereich besteht jedoch Unklarheit104. Im Übrigen fragt sich, ob und gegebenenfalls wie diese einstweiligen Verfügungen vollzogen werden können.
Eine Änderung ergab sich auch insofern, als nunmehr gegen Entscheidungen, mit denen die Kammer oder der/die Vorsitzende des Kirchengerichts den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung stattgegeben hat, nicht mehr wie noch nach dem MVG.EKD 1996 die Beschwerde zum (damals) VerwG.EKD stattfindet, sondern der Widerspruch zum Kirchengericht. Gegen dessen Beschluss im Widerspruchsverfahren ist die Beschwerde (§ 63 VII MVG.EKD) zum KGH.EKD gegeben105. Dieses gilt auch bei Entscheidungen des Kirchengerichts nach mündlicher Verhandlung106.
§ 63 V MVG.EKD 2003 regelt einen eigenen Zugang im Wege der einstweiligen Verfügung zur zweiten Instanz. Voraussetzung ist allerdings, dass dort das Hauptsacheverfahren aufgrund einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Kirchengerichts anhängig ist. Diese Regelung wird damit begründet, dass sich aus der Verfahrensdauer die Notwendigkeit ergeben könne, lange nach Einleitung des Verfahrens einstweilige Regelungen zu treffen107.
Die Entscheidungen der zweiten Instanz sind endgültig (§ 63 VI MVG.EKD). Ob diese Vorschrift nur deklaratorischen Charakter hat, weil eine weitere Zuständigkeit etwa des Verfassungsgerichtshofs der EKD nicht normiert ist108 oder ob der kirchliche Gesetzgeber damit auch für sich in Anspruch nimmt, dass andere staatliche Stellen nicht mehr zur Entscheidung berufen sind109, ist umstritten. Der kirchliche Gesetzgeber wird aber kaum über die Reichweite des staatlichen Justizgewähranspruchs verfügen und ihn damit ausschließen können und wollen110.
VII. Das Zweite Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der EKD – MVG.EKD 2013111
Auch durch das MVG.EKD 2003 wurde das Bestreben, einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren offenbar noch nicht befriedigt. Bereits kurz nach dem Inkrafttreten gab es Überlegungen, wie die Sanktionsmöglichkeiten für die Rechte der Mitarbeitervertretungen verbessert werden könnten112. Insbesondere wurde auch darauf verwiesen, dass bei groben Pflichtverletzungen zwar die Auflösung der Mitarbeitervertretung und der Ausschluss von Mitgliedern vorgesehen sei (§ 17 MVG.EKD 2003), bei vergleichbaren Verstößen der für den Dienstgeber handelnden Personen aufgrund der bestehenden Rechtslage aber allenfalls die gerichtliche Feststellung erwirkt werden könne, dass ein Handeln oder Unterlassen grob den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 33 MVG.EKD verletze. Die fehlenden Sanktionen für Dienstgebervertreter bestätigten damit die Notwendigkeit von Vollstreckungsmöglichkeiten113. Der Rechtsschutz wurde trotz seiner ständigen Fortentwicklung weiterhin als ineffektiv kritisiert. So resümiert Schliemann als Präsident des KGH.EKD noch im Jahre 2012: „Störend ist indessen, dass es in beiden Kirchen keine hinreichenden Mittel der zwangsweisen Durchsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen gibt. Die zur Verfügung stehenden Durchsetzungsmittel sind schlicht nur solche der Rechtsaufsicht, zuweilen angereichert mit einem Zwangsgeld in sehr überschaubarer Höhe“114. Damit nimmt er Bezug auf die mit „Vollstreckungsmaßnahmen“ überschriebene Vorschrift des § 53 III KAGO, nach der bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Geldbuße bis zu 2500,00 Euro verhängt werden kann. Obwohl auch diese Regelung bereits durchaus kritisch gesehen wurde115, entschloss sich der kirchliche Gesetzgeber, den Rechtsschutz im MVG.EKD 2013 nach dem katholischen Vorbild zu „ergänzen“, weil sich diese Regelung nach Bewertung der Katholischen Kirche und der Caritas bewährt habe116. Nach § 63 a I MVG. EKD 2013 kann das Kirchengericht angerufen werden, wenn ein Beteiligter, der zu einer Leistung oder Unterlassung verpflichtet wurde, nicht innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses die Verpflichtungen erfüllt hat. Stellt das Kirchengericht auf Antrag eines Beteiligten fest, dass die Verpflichtungen nach Absatz 1 nicht erfüllt sind, kann es ein Ordnungsgeld bis zu 5000 Euro verhängen (63 a II MVG.EKD 2013).
VIII. Zusammenfassung und Ausblick
In der Weimarer Republik waren die Kirchen trotz der ihnen durch Art. 137 III WRV eingeräumten weitgehenden Autonomie in Angelegenheiten der Selbstverwaltung ohne Einschränkung an das staatliche Betriebsverfassungsrecht gebunden. Damit standen im kirchlichen Bereich für etwaige Streitigkeiten zwischen kirchlichem Arbeitgeber und kirchlichem „Betriebsrat“ dieselben rechtlichen Instrumentarien zur Verfügung wie den Betriebsparteien in den säkularen Betrieben.
Der Nationalsozialismus beseitigte durch Aufhebung der Weimarer Reichsverfassung den Sonderstatus der Kirchen und eliminierte mit dem geltenden Betriebsrätegesetz jegliche Mitbestimmungsrechte. Diese Zeit führte in der Kirche zu der Erkenntnis, dass sie auf dem uneingeschränkten Recht bestehen müsse, den kirchlichen Dienst in freier, ihren Wesensgesetzen entsprechenden Selbstverantwortung zu regeln.
Diese Erkenntnis führte nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, das den Kirchen wieder den verfassungsrechtlichen Sonderstatus einräumte (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV), und ihrer Freistellung von der staatlichen Gesetzgebung im Bereich des Betriebsverfassungsrechts (vgl. § 118 BetrVG, § 112 BPersVG), zu einer wegen der föderalen Strukturen der evangelischen Kirche nur allmählichen Ausbildung eines autonomen Mitarbeitervertretungsrechts. Stand zunächst vor allem das Bestreben nach Vereinheitlichung im Vordergrund, so bildete ab Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts der Ausbau des gerichtlichen Rechtsschutzes immer mehr den Schwerpunkt. Der kirchliche Gesetzgeber suchte damit nicht nur einem Anliegen der eigenen Mitarbeiterschaft117, sondern auch Kritik von außen118 zu entsprechen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass im Mitarbeitervertretungsrecht ein Rechtsschutz gewährleistet sein muss, bei dem die Rechtsdurchsetzung keine „Nebensache“ sein darf119.
Es kann davon ausgegangen werden, dass hierzu die Einbeziehung der Einrichtungen der Diakonie in den Geltungsbereich des MVG.EKD wesentlich beigetragen hat120.
32So Joussen, ZMV-Sonderheft 2011, 20, 21; Richter, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 1.
33Allgemein zur Historie des Mitarbeitervertretungsrechts und insbesondere zur Entstehung des MVG. EKD: Fey/Rehren, MVG.EKD, Einl. Rn. 22-28.; Joussen, ZMV-Sonderheft 2011, 20, 21-23; Rech, Die Arbeitsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, S. 73-105; Richardi, Atbeitsrecht in der Kirche, § 19 Rn. 1-9; Richter, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 1-31.
34RGBl 1920, S. 147.
35Ob das geltende Betriebsverfassungsrecht damals als „Schranke des für alle geltenden Gesetzes“ angesehen wurde, wird in der ausführlichen Untersuchung von Bauersachs offengelassen (Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 13).
36Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 14; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rn. 4. Nach Schielke wurde in kirchlichen Einrichtungen niemals ein Betriebsrat errichtet (Das Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 62).