Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland. Johannes Hempel
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland - Johannes Hempel страница 8
Die historische Entwicklung der Rechtsschutzgewährung im Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche und der mitarbeitervertretungsrechtliche Rechtsschutz im System des Arbeitnehmervertretungsrechts
A. Die historische Entwicklung der Rechtsschutzgewährung im Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche
Die Geschichte eines eigenständigen Mitarbeitervertretungsrechts in der evangelischen Kirche beginnt mit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, dem Bestreben der Landeskirchen, ein eigenständiges, d. h. vom staatlichen Recht getrenntes Recht für die Vertretungen der im kirchlichen Dienst Beschäftigten zu schaffen und schließlich der Freistellung der Religionsgemeinschaften vom Geltungsbereich der staatlichen Gesetze, also des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsgesetzes. Vor dieser Zeit, d. h. seit Ende des Ersten Weltkrieges, wurden die Kirchen wie selbstverständlich in die staatliche Gesetzgebung miteinbezogen32, obwohl aufgrund der Weimarer Reichsverfassung eine andere Entwicklung zu erwarten gewesen wäre. Der thematischen Ausrichtung der vorliegenden Arbeit entsprechend soll in der nachfolgenden Darstellung der Schwerpunkt auf die Entwicklung des Rechtsschutzes im Mitarbeitervertretungsrecht, insbesondere der Rechtsdurchsetzung, gelegt werden33.
I. Das Betriebsrätegesetz vom 4.2.1920 (BRG)34
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges partizipierte die Kirche trotz Art. 137 III WRV, wonach die Religionsgemeinschaften „ihre eigenen Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ ordnen und verwalten durften, an der Institutionalisierung der Mitbestimmung im Betriebsrätegesetz v. 4.2.1920 (BRG)35; denn gem. § 9 BRG wurden alle Betriebe, Geschäfte und Verwaltungen des öffentlichen und privaten Rechts erfasst, also auch die Religionsgemeinschaften, die als „konfessionelle Betriebe“ in § 67 BRG den Status von Tendenzbetrieben erhielten, auf die die Vorschriften über die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§ 66 Nr. 1 und 2 BRG) keine Anwendung fanden. Das Verhältnis zwischen der gesetzlichen Betriebsverfassung und der Kirchenautonomie wurde damals nicht aktuell, weil das BRG im kirchlichen Bereich keine Beachtung fand36. Ob dies darauf zurückzuführen war, dass das Gesetz nur eine Repräsentation für Arbeitnehmer vorsah, deren Beschäftigung im kirchlichen Bereich damals eine untergeordnete Rolle spielte, weil die maßgeblichen Funktionen in der kirchlichen Verwaltung den Priestern, Geistlichen oder Kirchenbeamten anvertraut waren37, erscheint allerdings fraglich; denn nach §§1, 2 BRG bestand – anders als im heutigen Betriebsverfassungsrecht – eine gesetzliche Verpflichtung, Betriebsräte zu errichten und Betriebsobmänner zu wählen, falls die Mindestanzahl von 20 Arbeitnehmern nicht erreicht wurde38. Wenn dies dennoch in den kirchlichen Verwaltungen unterblieb, kann hierfür die Furcht vor den potentiellen Arbeitnehmervertretungen nicht Grund gewesen sein; denn dem Betriebsrat oblagen nach dem BRG im Wesentlichen befriedende, den Unternehmer unterstützende und weniger an der Führung des Betriebes partizipierende Funktionen39. Während einerseits der Unternehmer die Auflösung des Betriebsrats bei „gröblicher Verletzung“ der gesetzlichen Pflichten beim Bezirkswirtschaftsrat bzw. beim Schlichtungsausschuss40 beantragen konnte (§41 BRG), waren andererseits Eingriffe in die Betriebsleitung nicht erlaubt (§ 69 BRG), d. h. die Ausführungskompetenz lag allein beim Arbeitgeber, sodass deshalb auch der Betriebsrat von ihm nicht die Vornahme, Duldung oder Unterlassung von Maßnahmen im Hinblick auf bestehende Mitbestimmungsrechte verlangen konnte. In personellen Angelegenheiten blieb dem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber das Letztentscheidungsrecht erhalten41.
Das eigentliche Problem bestand darin, dass das Gesetz die Kirchen nicht in ihrer Besonderheit als Kirche, sondern wie ein weltliches Unternehmen mit geistig-ideeller Bestimmung bewertete42. Damit aber waren auch die kirchlichen Arbeitgeber einem Regime von Sanktionen unterworfen, das die weltlichen Arbeitgeber anhalten sollte, ihren Verpflichtungen aus dem Gesetz nachzukommen (vgl. §§ 95 ff.BRG). Auch das heutige Betriebsverfassungsgesetz enthält Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften (vgl. §§ 119 ff. BetrVG), von denen aber die kirchlichen Arbeitgeber aufgrund der Exemtion nicht betroffen sind. Für die Nichtanwendung des BRG in den kirchlichen Verwaltungen war neben der geringen Anzahl der dort beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes oder deren Passivität hinsichtlich einer Betriebsratswahl43, auch das mangelnde Interesse der kirchlichen Arbeitgeber an der Errichtung von Arbeitnehmervertretungen verantwortlich44. Dies wurde vom Staat trotz der Vorschriften der §§ 23 II und III, 99 BRG45 toleriert.
Im Ergebnis lässt sich demnach feststellen, dass durch das BRG die verfahrensrechtlichen und prozessualen Durchsetzungsmittel der Mitbestimmungsrechte zwar nur schwach ausgebildet waren, jedoch auch im Bereich kirchlicher Einrichtungen Geltung beanspruchen konnten.
II. Die Zeit des Nationalsozialismus
Das durch das BRG auch den Arbeitnehmern in den kirchlichen Verwaltungen eingeräumte, aber von diesen kaum wahrgenommene Recht der Mitbestimmung wurde unter dem Nationalsozialismus aufgehoben (vgl. § 65 Nr. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG)46). Der Arbeitgeber, nunmehr „Führer des Betriebes“ (§ 2 AOG), entschied in allen betrieblichen Angelegenheiten, die Belegschaft wurde zur „Gefolgschaft“ (§ 2 AOG). Statt eines Betriebsrats wurde ein „Vertrauensrat“ berufen (nicht gewählt), vom Arbeitgeber geleitet (§ 5 AOG), mit marginalen Beratungsfunktionen versehen (§ 6 II AOG) und vom „Treuhänder der Arbeit“, einem Staatsbeamten, kontrolliert (§ 19 Nr. 1 AOG). Diese jegliche Mitbestimmung eliminierende Gesetzgebung galt auch für die kirchlichen Verwaltungen47, musste dort aber deshalb nicht angewandt werden, weil erst die dort in der Regel nicht erreichte Mindestzahl von 20 Arbeitnehmern zur Berufung eines Vertrauensrates verpflichtete48 und die Berufung eines „Vertrauensobmanns“ in zahlenmäßig darunter liegenden „Gefolgschaften“ gesetzlich nicht vorgesehen war. Verstöße gegen betriebliche Pflichten durch den Führer des Betriebes oder den Vertrauensrat konnten vor das „Soziale Ehrengericht“ (§§ 35 ff.AOG) gebracht werden.
Die Zeit des Nationalsozialismus blieb aber nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Denn die theologische Reaktion auf die Herrschaftsideologie des Staates wirkte fort49.
Die Barmer Theologische Erklärung stellt ein situatives Bekenntnis gegen die Fremdbestimmung der Kirche dar. Sie ist eine Reaktion auf die Pläne Hitlers, der die Evangelische Kirche als Deutsche Evangelische Reichskirche unter die Führung des ihm treu ergebenden Reichsbischofs (Ludwig Müller) gestellt hatte50. Sie bringt zum Ausdruck, dass die nationalsozialistische Herrschaftsbzw. Führerideologie mit dem Selbstverständnis der Kirche unvereinbar ist51. Was aber mit dem kirchlichen Selbstverständnis nicht vereinbar ist, dem kann in der Kirche kein Raum gewährt werden, d. h. eine Betriebsverfassung, die von nationalsozialistischer Herrschaftsideologie geprägt ist, kann und darf in der Kirche keine Anwendung finden. Für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts ist diese situative historische Erfahrung von grundsätzlicher Bedeutung. Sie besteht nicht nur in der kirchenpolitischen, sondern vor allem auch theologischen Erkenntnis, dass dieser Bereich eine innere Angelegenheit der Kirche darstellt, der zwar den Einflüssen staatlichen Rechts gegenüber durchaus offen sein, ihnen aber nicht ausgeliefert werden darf52.
Der Staat hat sich dieser Erkenntnis nicht verschlossen53 und der Kirche unter Rückbesinnung auf die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch Herausnahme aus dem Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht die Möglichkeit eröffnet, ein eigenes Mitarbeitervertretungsgesetz zu schaffen54. Dass von der Kirche für diese Herausnahme angeführte Argument der Andersartigkeit der kirchlichen Dienstleistungen gegenüber den Dienstleistungen eines wirtschaftlichen Betriebes manifestierte sich in der „Dienstgemeinschaft“55.
Als in theologischer