Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland. Johannes Hempel
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1. Der kirchengerichtliche Rechtsschutz in mitarbeitervertretungsrechtlichen Angelegenheiten wird in §§ 56 ff.MVG.EKD geregelt. Für die Durchführung des kirchengerichtlichen Verfahrens gelten eigene kirchengesetzliche Regelungen (§§ 61 – 63 MVG.EKD). Nur „im Übrigen“ finden die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren und der jeweils geltenden Fassung Anwendung (§ 62 S. 1 MVG.EKD). Allerdings sind dessen Vorschriften über Zwangsmaßnahmen nicht anwendbar (§ 62 S. 2 MVG.EKD). Dies bedeutet zumindest den Ausschluss von § 85 I ArbGG und damit – aufgrund der dortigen Verweisung – der Maßnahmen des 8. Buches der Zivilprozessordnung1. Damit ist der kirchliche Rechtsschutz auf das kirchengerichtliche Erkenntnisverfahren beschränkt, sieht man einmal von den „innerkirchlichen Durchsetzungsmitteln“ ab2.
Dies unterscheidet das mitarbeitervertretungsrechtliche Kirchengerichtsverfahren von den Verfahren vor den staatlichen Gerichten. Dort führt zwar nicht jedes Erkenntnisverfahren zur Zwangsvollstreckung, aber es besteht die Möglichkeit, die vom Gericht zuerkannte Rechtsposition zwangsweise durchzusetzen, sofern sie einen vollstreckbaren Inhalt hat3.
Vollstreckbar sind gerichtliche Entscheidungen, wenn sie den, der in Anspruch genommen wird, zu einer Leistung verpflichten, sei es, dass er eine Handlung vornehmen, unterlassen oder dulden, eine Sache herausgeben oder eine Zahlung leisten muss. Über Art und Umfang der Verpflichtung und den Verpflichteten darf dabei im Zwangsvollstreckungsverfahren kein Zweifel bestehen4.
Nicht vollstreckbar sind hingegen gerichtliche Feststellungen5 sowie Gestaltungsbeschlüsse, deren Wirkung ohne Vollstreckung unmittelbar mit Rechtskraft des Beschlusses eintritt6.
2. Der Ausschluss der Zwangsvollstreckung ist in § 62 S. 2 MVG.EKD spezialgesetzlich geregelt, gilt aber gem. § 24 KiGG.EKD, wonach Vorschriften über staatliche Zwangsmaßnahmen nicht anwendbar sind, allgemein für das kirchengerichtliche Verfahren7. Eine zwangsweise Durchsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen – so wird vertreten – sei auch meistens nicht erforderlich. Denn zumindest von den kirchenrechtlich verfassten Organen, die zu einer Leistung verurteilt würden, könne die selbstverständliche Befolgung der sie bindenden Gerichtsentscheidung erwartet werden8.
In den Fällen, in denen die Kirche Gläubigerin eines Leistungsanspruchs sei, sei eine Vollstreckung ebenfalls meistens nicht erforderlich. So könne z. B. die einem Pfarrer oder Kirchenbeamten auferlegte Geldbuße schlicht dadurch vollzogen werden, dass die Bezugsstelle den geschuldeten Betrag von den Bezügen einbehalte; in gleicher Weise ließen sich auch alle sonstigen auf eine Geldleistung aus dem Dienstverhältnis, etwa auf Rückzahlung überzahlter Bezüge oder auf Schadensersatz, gerichteten Leistungsurteile durchsetzen9.
Im Übrigen wird insbesondere für das Mitarbeitervertretungsrecht hinsichtlich von gegen die Dienststellen gerichteten Leistungsansprüchen der Mitarbeitervertretung auf die Mittel der kirchlichen Aufsicht verwiesen10.
3. Gerade für das Mitarbeitervertretungsrecht besteht allerdings eine besondere rechtliche Situation; denn in den Verfahren vor den Kirchengerichten sind nicht nur Stellen der öffentlich-rechtlich organisierten Kirche, sondern aufgrund des sachlichen Geltungsbereichs des MVG.EKD auch die Einrichtungen der Diakonie (vgl. § 1 II MVG.EKD) Beteiligte, d. h. Antragsteller oder Antragsgegner. Eine „selbstverständliche Befolgung“ kirchengerichtlicher Entscheidungen kann in diesen häufig privatrechtlich organisierten Einrichtungen nicht ohne weiteres erwartet werden, wie die Praxis zeigt11.
Das Problem der fehlenden Vollstreckbarkeit verliert nicht deshalb an Schärfe, weil alle Verstöße gegen Beteiligungsrechte oder Entscheidungen des Kirchengerichts, die sich in auf Angelegenheiten beziehen, in denen es um die Rechte einzelner Mitarbeiter geht (vgl. § 42 und § 43 MVG.EKD, § 46 lit. b), c), d) MVG.EKD), sich in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht nachteilig für den Dienstgeber auswirken12. Dies gilt nämlich nicht bei Verstößen gegen Mitbestimmungsrechte in organisatorischen und sozialen Angelegenheiten (§ 40 MVG.EKD). Ferner stellt sich die Frage, wie die Mitarbeitervertretung ihr Recht auf Information (§ 34 MVG.EKD), etwaige Herausgabeansprüche oder Kostenübernahmepflichten des Dienstgebers nach § 30 MVG. EKD durchsetzen kann13, wenn dieser sich weigert, einer ihn diesbezüglich verpflichtenden Entscheidung des Kirchengerichts nachzukommen.
Umgekehrt kann aber auch die Dienststelle Gläubigerin eines Leistungsanspruchs gegenüber der Mitarbeitervertretung bzw. eines ihrer Mitglieder sein, z. B. auf Herausgabe von gem. § 30 MVG.EKD überlassenen Sachen oder Unterlassung von Handlungen, die im Widerspruch zu den gesetzlichen Verpflichtungen stehen.
4. Die Durchsetzbarkeit kirchengerichtlicher Entscheidungen im Mitarbeitervertretungsrecht war noch im ausgehenden 20. Jahrhundert kaum Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. So wird diese Thematik anlässlich der „Essener Gespräche“ im Jahr 1984, zu denen sich damals im Staatskirchenrecht und kirchlichen Arbeitsrecht führende Wissenschaftler, aber auch Theologen trafen, um über das „Arbeitsrecht in der Kirche“ zu diskutieren14, weder in dem zur Aussprache gestellten Fachvortrag „Aktuelle kollektivrechtliche Fragen des kirchlichen Dienstes“15 noch in der sich anschließenden Diskussion16 selbst angesprochen.
Anders verhält es sich gut zwanzig Jahre später bei der 8. Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht in Eichstätt 2005 zum Thema „Effektive Arbeitsgerichtsbarkeit im Mitarbeitervertretungsrecht und im Dritten Weg“17. Von einigen Referenten wird die Effektivität kirchlichen Rechtsschutzes wegen der mangelnden Durchsetzbarkeit kirchengerichtlicher Entscheidungen in Frage gestellt18. Seitdem ist die Forderung nach einem effektiven Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht, der auch die notfalls zwangsweise Durchsetzung der vom Kirchengericht dem Gegner verbindlich auferlegten Leistungspflicht umfassen soll, nicht verstummt19. Auch der KGH.EKD spricht von der „Unvollkommenheit“ des kirchlichen Rechtsschutzes aufgrund der fehlenden Vollstreckbarkeit20.
Von daher stellt sich die Frage, ob diese „Unvollkommenheit“ aus kirchenrechtlichen oder staatskirchenrechtlichen Gründen von den Betroffenen hingenommen und damit auf einen substantiellen Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht letztlich verzichtet werden muss21.
5. Ein substantiellen Rechtsschutz zählt zu den rechtsstaatlichen Erfordernissen. Er umfasst nicht nur ein gerichtliches Erkenntnisverfahren; vielmehr müssen ein Vollstreckungsverfahren und die Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes hinzukommen22, d. h. die Rechtsdurchsetzung muss in letzter Konsequenz unter Anwendung auch physischer Gewalt sichergestellt werden können23.
Damit ergeben sich im Hinblick auf einen substantiellen Rechtsschutz im Verfahren vor den für das Mitarbeitervertretungsrecht zuständigen Kirchengerichten zwei grundsätzliche Fragen:
Ist die Anwendung von in letzter Konsequenz physischem Zwang, um Rechtsdurchsetzung innerhalb der Kirche sicherzustellen, mit dem christlichen Selbstverständnis vereinbar24?
Und: Kann durch den Staat im Mitarbeitervertretungsrecht – sollte die Kirche Rechtspositionen in diesem Bereich weder zwangsweise durchsetzen wollen noch durchsetzen können – die notfalls zwangsweise Rechtsdurchsetzung sichergestellt werden, ohne dabei das verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirche (§ 140 GG i. V. m § 137 III WRV) zu beeinträchtigen25?
1Bohnenkamp, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, § 62 Rn. 4; Fey/Rehren, MVG.EKD, § 62 Rn. 7.
2Baumann-Czichon/Gathmann, Kirchliche Mitbestimmung im Vergleich, S. 51.
3So werden arbeitsgerichtliche Urteile und Beschlüsse nach den Vorschriften