Kirchliches Arbeitsrecht in Europa. Florian Scholz
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Der darauffolgende staatskirchenrechtliche Teil beginnt zunächst mit einer Darstellung der historischen Entwicklung des jeweiligen nationalen Verhältnisses von Staat und Kirche hin zum status quo. Dieser historische Prolog mag insbesondere aus der Perspektive des Juristen entbehrlich erscheinen, ist zum Verständnis der Materie aber unverzichtbar. Erst das Wissen um die jahrhundertealten Konflikte und Verwerfungen zwischen weltlicher und geistlicher Sphäre ermöglicht eine fundierte Bewertung der gegenwärtigen rechtlichen Regelungen. Daher soll erst auf dieser Grundlage eine Untersuchung der staatskirchlichen Grundelemente einschließlich des Staatskirchensystems erfolgen. Im Zentrum steht dabei sodann die Darstellung, ob und inwieweit den Kirchen als Ausdruck institutionell gewährter Glaubensfreiheit eine Autonomie zur Durchführung ihrer Angelegenheiten gewährt wird.
Der sich daran anschließende zentrale zweite Teil zum kirchlichen Arbeitsrecht beleuchtet die für die Kirchen geltenden Besonderheiten bei der Beschäftigung ihrer Arbeitnehmer und gliedert sich in einen individualrechtlichen und in einen kollektivrechtlichen Abschnitt. Dabei wird die Darstellung der ausländischen Rechtsordnungen zunächst von einer kurzen Erörterung der allgemeinen Grundlagen des Arbeitsrechts eingeleitet. Innerhalb der sich daran anschließenden individualrechtlichen Untersuchung wird die Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten und das Kündigungsrecht einen Schwerpunkt bilden, daneben ist aber auch die kirchlichen Arbeitgebern gewährte Freiheit und deren etwaige Begrenzung bei der Personalauswahl zu behandeln. Auch in diesem Zusammenhang ist die nationale Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG, insbesondere einschließlich ihres Art. 4 Abs. 2, von besonderem Interesse. Der kollektivrechtliche Abschnitt wird in Abhängigkeit von der Existenz nationaler Besonderheiten in Bezug auf die Kirchen unterschiedlich lang ausfallen. Er befasst sich mit der Ausgestaltung der arbeitnehmerseitigen Interessenvertretung bei kirchlichen Arbeitgebern sowie insbesondere der Zulässigkeit eines Streikrechts kirchlicher Arbeitnehmer und des modus operandi zur kollektiven Festlegung von Arbeitsbedingungen.
III. Einwirkungen des europäischen Rechts auf das nationale kirchliche Arbeitsrecht
Eine eingehende Untersuchung des Europäischen kirchlichen Arbeitsrechts – also der Gesamtheit der Rechtsregeln der EU, die einen kirchenarbeitsrechtlichen Bezug aufweisen – ist nicht Gegenstand dieser Arbeit;64 vielmehr soll die Thematik vorrangig aus der nationalen Perspektive der einzelstaatlichen Rechtsordnungen beleuchtet werden. Prima facie mag eine solche Herangehensweise in Anbetracht der stetig wachsenden Relevanz des supranationalen Rechts anachronistisch erscheinen.65 Dabei darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass das kirchliche Arbeitsrecht in erster Linie – vor allen Dingen aufgrund seiner staatskirchenrechtlichen Fundierung – maßgeblich durch die nationalen Rechtsordnungen geprägt ist.66 Ohnehin gilt freilich auch in diesem Zusammenhang das allgemeine Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 EUV, das einer umfassenden Rechtsgestaltung der Europäischen Union entgegensteht. Danach darf sie nur dort tätig werden, wo ihr eine entsprechende Kompetenz durch die Mitgliedstaaten innerhalb der Verträge67 eingeräumt ist. Dementsprechend kommt der EU auch keine umfassende Zuständigkeit auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zu, wenngleich ihre zumeist auf der zentralen Kompetenzgrundlage des Art. 153 Abs. 1 AEUV basierenden Rechtsakte eine ganz erhebliche Bedeutung für das nationale Arbeitsrecht entfalten.68 Zur unmittelbaren Regelung staatskirchenrechtlicher Aspekte besitzt die Europäische Union hingegen keine Kompetenz.69 Dies berücksichtigt den Umstand, dass die grundlegende Regelung des Verhältnisses von Staat und den Kirchen als essentieller Teil der nationalen Identität einer vereinheitlichenden europäischen Regelung nicht zugänglich ist.70
Doch trotz dieser Prämissen sieht sich das kirchliche Arbeitsrecht seit einigen Jahren zunehmend „europarechtlichen Herausforderungen“71 ausgesetzt. Denn die Rechtsetzung der EU im Bereich des Arbeitsrechts – insbesondere in Gestalt des Antidiskriminierungsrechts – ist geeignet, das nationale Staatskirchenrecht mittelbar zu beeinflussen, ohne dass es dazu einer ausdrücklichen Kompetenzübertragung für die Regelung staatskirchenrechtlicher Fragen bedürfte.72 Insofern können gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen, die (auch)73 die Kirchen in ihrer Funktion als Arbeitgeber betreffen, Konsequenzen für die nationale Ausgestaltung kirchlicher Selbstbestimmung entfalten. Gleiches kann durch Arbeitnehmergrundrechte induziert werden, die durch die EMRK sowie durch die von dieser inspirierten, neu geschaffenen Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) garantiert werden. Ein gänzlich autonomes einzelstaatliches kirchliches Arbeitsrecht ist angesichts eines derartigen Einflusses durch Europarecht und Völkerrecht somit nicht mehr denkbar. Dabei wird die Bedeutung des Gemeinschaftsrechts durch die Rechtsprechung des EuGH74 und des BVerfG75 untermauert, wonach diesem normenhierarchisch der Vorrang gegenüber nationalem Recht – einschließlich des Verfassungsrechts – zugesprochen wird.
Aufgrund jener europarechtlichen Ingerenzen soll nachfolgend – den Länderberichten vorangestellt – eine kursorische Darstellung der insofern bedeutendsten Rechtsquellen vorgenommen werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund des Gebots der unionsrechtskonformen Auslegung76 nationalen Rechts erforderlich. Eine vertiefte Erörterung wird dabei nicht stattfinden, denn sofern jene Einwirkungen im Rahmen von spezifischen Rechtsfragen innerhalb der einzelnen nationalen Rechtsordnungen Relevanz entfalten, werden sie an entsprechender Stelle im jeweiligen Länderbericht aufgegriffen. Intendiert ist vielmehr eine kurze Einführung, die den Grundstein für ein Bewusstsein der supranationalen Einflüsse für das nationale kirchliche Arbeitsrecht schaffen soll. Die maßgeblichen Regelungen sind vielfältig und auf verschiedene Rechtsnormen unterschiedlichen Ranges verstreut.77 Von hervorgehobener Bedeutung sind dabei die als Völkerrecht etablierte EMRK sowie diverse Rechtsquellen des europäischen Primär- und Sekundärrechts.
1. Die EMRK und ihr Einfluss auf die nationalen Rechtsordnungen
Rechtlich konstituiert ist die am 4. November 1950 von den Mitgliedern des Europarats unterzeichnete Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag. Nach Art. 1 EMRK werden die Vertragsstaaten verpflichtet, allen unter ihrer Hoheitsgewalt stehenden Personen die von der Konvention gewährleisteten Rechte und Freiheiten zuzusichern. Dabei sind die Individuen nicht nur Objekt, sondern Subjekt der Regelungen.78 Denn mit der Erhebung einer Individualbeschwerde79 nach Art. 34 EMRK beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kann jede natürliche Person nach Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs die Verletzung eines ihr gewährleisteten Konventionsrechts durch einen Vertragsstaat rügen. Dem EGMR kommt dabei nach Art. 32 Abs. 1 EMRK ein Auslegungsmonopol hinsichtlich des Umfangs der in der Konvention enthaltenen Rechtspositionen zu. In Anbetracht dessen wird deutlich, dass die EMRK auch im Rahmen des kirchlichen Arbeitsrechts virulent werden kann, dem in seinen verschiedenen Teilbereichen ein Konfliktpotential zwischen den Grundrechten der kirchlichen Arbeitgeber und ihrer Arbeitnehmer inhärent ist. Entsprechend sind vom EGMR bereits drei Urteile zur Zulässigkeit von Kündigungen wegen der Verletzung von Loyalitätsobliegenheiten im Zusammenhang des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts erlassen worden, die an entsprechender Stelle darzustellen sein werden.80
Infolge ihrer Genese als durch den Europarat geschaffenes Völkerrecht ist die EMRK aber kein Gemeinschaftsrecht im „engeren Sinne“ und unterliegt infolgedessen einer grundlegend abweichenden dogmatischen Einordnung in die nationalen Rechtsgefüge.81 Dabei überlässt es die EMRK der Ausgestaltungsfreiheit der einzelnen Konventionsstaaten, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Befolgung der Konventionsvorschriften nachkommen.82 Dies hat eine Vielfalt unterschiedlicher Umsetzungsmodi zur Folge, die sich in drei Gruppen schematisieren lassen.83 Österreich ist dabei der Gruppe von Staaten zuzuordnen, in denen die EMRK Verfassungsrang genießt.84 Frankreich nimmt eine mittlere Stellung ein, indem die Konvention dort in einen Rang zwischen der Verfassung und