Kirchliches Arbeitsrecht in Europa. Florian Scholz

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Kirchliches Arbeitsrecht in Europa - Florian Scholz Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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zu bestimmen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert, was spezifisch kirchliche Aufgaben sind, was Nähe zu ihnen bedeutet, welches die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre sind und was als – gegebenenfalls schwerer – Verstoß gegen diese anzusehen ist“.516 Die staatlichen Gerichte müssen insoweit den kirchlichen Freiraum der Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten akzeptieren und dürfen sich kein eigenes Urteil über die angesprochenen Fragen anmaßen. Dies ist auch Folge des staatskirchenrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes.

      Staatlichen Institutionen fehlt ohnehin zur Beantwortung derartiger Fragen die theologische Kompetenz, sie haben kein ekklesiologisches Mandat.517 Sollte in Einzelfällen unklar sein, ob das Verhalten eines Arbeitnehmers einen Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre begründet, bedarf es bei einem etwaigen Rechtsstreit einer klärenden Anfrage des Gerichts bei der jeweiligen Amtskirche bzw. der zuständigen Kirchenbehörde.518 Da das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV unmittelbar nur den verfassten Kirchen zusteht, bestimmt sich ausschließlich nach den von ihnen anerkannten Maßstäben der Inhalt und die Reichweite der Loyalitätsobliegenheiten.519 Die Auffassung einer einzelnen kirchlichen Einrichtung ist dabei irrelevant, da diese von der Kirchenautonomie nur derivativ Gebrauch machen kann.

      Grundsätzlich dürfen sich die staatlichen Gerichte nicht über die kirchlichen Vorgaben hinwegsetzen und können allenfalls im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle überprüfen, ob die Anforderungen und Wertungen des kirchlichen Arbeitgebers dem kirchlichen Selbstverständnis entsprechen.520 Eine Angemessenheitskontrolle der vertraglichen Regelungen – etwa auf Grundlage von § 307 Abs. 1 BGB – findet nicht statt.

      Eine Grenze kann ausschließlich durch den Art. 137 Abs. 3 WRV immanenten Vorbehalt des „für alle geltenden Gesetzes“ gezogen werden. Dieser wird vom Bundesverfassungsgericht im Kontext der Festlegung von Loyalitätsobliegenheiten durch eine Trias der Grundprinzipien der Rechtsordnung, namentlich dem allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), sowie dem Begriff der guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) und des ordre public (Art. 6 EGBGB), präzisiert.521 Damit wird den Kirchen ein weiter Gestaltungsspielraum überlassen.

      Dieser Vorbehalt gleicht demjenigen der Anwendung ausländischen Rechts im Internationalen Privatrecht;522 er legt als Kontrollmaßstab nur den Kernbestand des staatlichen Rechts zugrunde. Friktionen mit diesen Grundsätzen werden regelmäßig nicht auftreten, wenn von Arbeitnehmern die Einhaltung der christlichen Glaubens- und Sittenlehre verlangt wird, da diese nicht im Widerspruch zu den essentiellen Grundprinzipien des Verfassungsstaats stehen.523 Dass auf diese Weise strengere Anforderungen begründet werden, als vom weltlichen Arbeitsrecht vorgesehen, bedeutet freilich noch keinen Verstoß gegen die tragenden Grundprinzipien; entscheidend ist nur, dass keine wertordnungsfeindlichen Loyalitätsobliegenheiten konstituiert werden.

      Durch die Festlegung jener Begrenzungen steht auch zugleich fest, dass eine Abwägung mit den Grundrechten der Arbeitnehmer auf der Prüfungsebene der Wirksamkeit einer Auferlegung von Verhaltenspflichten nicht vorzunehmen ist. Zwar ist das Meinungsbild im Schrifttum524 zu dieser Frage geteilt und überdies hatten zwischenzeitlich zwei Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts525 diesbezüglich Zweifel aufkommen lassen. In der Entscheidung des 2. Senats vom 22. Oktober 2014 wurden die bestehenden Grundsätze aus BVerfGE 70, 138 aber ausdrücklich bestätigt.526 Damit wird der dogmatischen Einordnung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als institutioneller Garantie Rechnung getragen, die nicht als gewöhnliches grundrechtliches Freiheitsrecht zu verstehen ist und daher auch nicht per se im Wege der praktischen Konkordanz mit Arbeitnehmergrundrechten abzuwägen ist.527 Maßgeblich ist allein der besondere Schrankenvorbehalt des „für alle geltenden Gesetzes“, der im vorliegenden Zusammenhang durch das Bundesverfassungsgericht auf die Grundprinzipien der Rechtsordnung begrenzt wird.

      Dementsprechend wäre das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auch verletzt, wenn man ihnen oktroyierte, ob und in welcher Weise sie die von ihnen geforderten Loyalitätsobliegenheiten im Verhältnis zur Verkündigungsnähe ihrer Arbeitnehmer abstufen. Dennoch ist dies immer wieder in der Literatur gefordert worden.528 Auch das BAG hatte noch bis zum Jahr 1985 vertreten, dass bspw. Verstöße einer Schreibkraft oder eines Betriebshandwerkers gegen die kirchliche Lehre wegen der untergeordneten Funktion jener Mitarbeiter nicht die Glaubwürdigkeit der Kirche berührten und entsprechende Loyalitätsobliegenheiten auch unter Berücksichtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts unbeachtlich seien.529 Dieser Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 4. Juni 1985 explizit widersprochen: Die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine „Abstufung“ der Loyalitätsobliegenheiten eingreifen soll, ist eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit.530

      Staatlichen Gerichten ist es daher verwehrt, anhand der Position und Funktion eines kirchlichen Arbeitnehmers die Reichweite von dessen Loyalitätsobliegenheiten zu prüfen und deren Verbindlichkeit ggf. einzuschränken. Verstöße gegen tragende Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre können nicht deshalb für arbeitsrechtlich unbeachtlich erklärt werden, weil der Mitarbeiter nach Ansicht eines Gerichts keine „Nähe zu spezifisch kirchlichen Aufgaben“ hat. Darin läge eine unzulässige Ingerenz des säkularen Staates in Gestalt seiner Judikative gegenüber dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht.

      Die erzwungene Abstufung von Verhaltensanforderungen würde die kirchliche Autonomie bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen auf einen reinen Tendenzschutz verkürzen. Kirchen und ihre Einrichtungen sind aber keine Tendenzbetriebe.531 Ihre Tätigkeit lässt sich nicht wie bei politisch, wissenschaftlich oder künstlerisch motivierten Unternehmungen auf ein spezifisches geistig-ideelles Ziel eingrenzen.532 Sie sprechen den Menschen in seiner Gesamtheit an und legen ihrem gesamten Handeln die umfassende Lehre christlicher Weltanschauung zugrunde. Verfassungsrechtlich gesprochen: Anders als bspw. ein Pressebetrieb seine Freiheiten als Tendenzunternehmen nur im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG – und daher bei spezifisch journalistischen Funktionen – begründen kann, garantiert das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV eine umfassende Freiheit vor staatlichen Eingriffen bei der Ordnung und Verwaltung des kirchlichen Dienstes. Die Art und Weise der Gewährleistung und Sicherstellung der religiösen Dimension ihres Wirkens ist allein den Kirchen überlassen, sofern die Grundprinzipien staatlicher Rechtsordnung dabei gewahrt bleiben. Sie allein können darüber entscheiden, ob und inwiefern eine Abstufung von Loyalitätsanforderungen mit der Integrität der Dienstgemeinschaft und der Glaubwürdigkeit kirchlichen Wirkens vereinbar ist.533 Sofern ein staatliches Gericht eine derartige Differenzierung anhand eigener Maßstäbe selbst vornähme begründete dies einen Verstoß gegen die im Kontext des staatskirchenrechtlichen Trennungsprinzips sowie des Neutralitätsgrundsatzes auszulegende Kirchenautonomie.

      Aus den vorangehenden Feststellungen folgt grundsätzlich noch keine Klerikalisierung der Rechtsstellung des kirchlichen Arbeitnehmers.534 Allerdings leitet das Bundesverfassungsgericht aus den Grundprinzipien der Rechtsordnung auch ab, dass kirchliche Einrichtungen in Einzelfällen keine „unannehmbaren Anforderungen“ an die Loyalität ihrer Arbeitnehmer stellen dürfen.535 Demzufolge dürften kirchliche Arbeitsverhältnisse keine Ersatzform für kirchliche Ordensgemeinschaften und Gesellschaften des apostolischen Lebens sein.536 Wann die Beurteilung einer Loyalitätsanforderung als unannehmbar ausfallen muss, wird freilich nicht immer trennscharf bestimmt werden können. Als unzulässig dürfte jedenfalls zu erachten sein, wenn der theologische Dogmenkanon und die religiösen Ge- und Verbote arbeitsrechtlich möglichst umfassend und detailgetreu abgebildet würden.537

      Dieser allgemeine Vorbehalt vermag jedoch nicht als Einfallstor für eine Aufweichung kirchlicher Selbstbestimmung bei der Auferlegung von Loyalitätsobliegenheiten zu dienen. Zwar mögen manche Teile einer sich säkularisierenden Gesellschaft bereits die wesentlichen Loyalitätsobliegenheiten als „unannehmbar“ empfinden, doch ist dies nicht der

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