Ius Publicum Europaeum. Martin Loughlin
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Dies erklärt die zahlreichen Zuständigkeitskonflikte zwischen den traditionellen Gerichten und den intendants. Diese Gerichte warfen den intendants ihre allzu große Abhängigkeit vom König vor und beschuldigten sie, willkürliche Entscheidungen zu treffen. Demgegenüber rügten die intendants, dass keine Vorschriften für das Verfahren vor den traditionellen Gerichten erlassen worden waren; ferner machten sie den traditionellen Gerichten ihre Langsamkeit und Kostspieligkeit sowie die unzureichende Berücksichtigung des Allgemeinwohls in ihrer Rechtsprechung zum Vorwurf. Offene Zuständigkeitskonflikte wurden durch den Conseil du roi gelöst; formal traf allerdings der König nach Anhörung des Rates die Entscheidung, da das Prinzip der „justice retenue“, wonach dem König die Gerichtsgewalt zukam, er diese an die Gerichte delegiert, aber sich zugleich das Recht vorbehalten hatte, jederzeit in gerichtliche Verfahren zu intervenieren und die Entscheidungen der Gerichte aufzuheben, bis zum Ende des Ancien Régime beibehalten wurde. In der Regel, wenn auch nicht immer, wurde zugunsten der intendants entschieden, was letztlich dazu führte, dass gegenüber dem königlichen Rat eine Kritik geäußert wurde, die derjenigen, welche die intendants erfuhren, ähnelte.[6]
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Gravierendere Auswirkungen hatte es, dass die Parlements und die Cours des aides königlichen Reformunternehmungen Widerstand leisteten, indem sie der Krone Vorhaltungen machten, wenn ihnen ein Edikt zwecks Registrierung zugestellt wurde. Auf diese Weise gelang es ihnen, innovative Reformen, wie die Abschaffung des Frondienstes für den Bau und die Instandsetzung von Straßen, sowie Steuerreformen, die eine gerechtere Verteilung der direkten Steuerlast bewirken sollten, aufzuhalten. Sie verhinderten darüber hinaus Reformen, die von physiokratischen Ideen inspiriert waren und auf eine Liberalisierung der Wirtschaft sowie auf eine Modernisierung und Vereinheitlichung der Verwaltungsorganisation auf der Ebene der Kommunen und Provinzen abzielten. Die Situation der königlichen Finanzen entwickelte sich infolge der Ausgaben, die durch den Krieg gegen England an der Seite der amerikanischen Aufständischen verursacht wurden, kritisch, und Ludwig XVI. sah sich gezwungen, die Etats Généraux einzuberufen, die sich aus den Abgeordneten der drei Stände, welche die Gesellschaft des Ancien Régime bildeten, zusammensetzten: Klerus, Adel und Dritter Stand.
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Ungeachtet einiger Misserfolge kam es seit Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem Wandel in der königlichen Verwaltung. Gleich zu Beginn seiner Herrschaft begrenzte Ludwig XIV. die Rolle des Kanzlers zugunsten derjenigen des Generalinspektors der Finanzen (contrôleur général des finances), dem die Befugnisse eines echten Ministers für Finanzen und Wirtschaft zuerkannt wurden. Inhaber des Amtes des contrôleur général des finances wurde Jean-Baptiste Colbert, der mit Nachdruck merkantile Ideen vertrat. Die Regierungsämter (bureaux du gouvernement), die mit kompetenten und von ihren Vorgesetzten abhängigen Angestellten besetzt waren, entfalteten Aktivitäten in solch einem Ausmaß, dass eine zunehmende „burocratie“ beklagt wurde. Korps von Technikern wurden gebildet, die rekrutiert wurden, um ihre Arbeitskraft gegen Zahlung von Arbeitslohn zur Verfügung zu stellen, wie diejenigen der Ingenieure für den Bau von Festungsanlagen, von Brücken und von Straßen sowie diejenigen der Beauftragten der Marine. Die Ecole des Ponts et Chaussées wurde 1747 gegründet. Im Jahre 1751 wurden zehn collèges militaires und die Ecole militaire eingerichtet. An dieser Ecole wurde auch ein Kurs im öffentlichen Recht angeboten, wobei der erste Lehrauftrag einem Hessen erteilt wurde: Georg Adam Junker (dies stellte eine Innovation dar, denn zu dem damaligen Zeitpunkt wurde das öffentliche Recht in Frankreich nur sehr selten gelehrt; zahlreiche Autoren beklagten diesen Zustand und verwiesen auf die deutschen Hochschulen, an denen das Fach ausführlich behandelt wurde). Die intendants wurden sowohl von Subdelegierten als auch von Angestellten unterstützt, die sorgfältig ausgewählt wurden und von ihnen abhängig waren. Es erfolgte ein Paradigmenwechsel von den traditionellen Kollegialorganen, die sich aus unabsetzbaren Beamten zusammensetzten, und von gerichtsähnlichen Verfahren hin zu einem neuen Modell, bei dem Ämter durch eine auf Effizienz bedachte übergeordnete Verwaltungsinstanz gesteuert und Probleme auf der Grundlage von Briefen und Berichten angegangen wurden.[7]
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Diese Veränderungen und die mit ihnen einhergehenden Konflikte veranlassten die traditionellen Kräfte dazu, eine Trennung der Verwaltung von der Gerichtsbarkeit zu verlangen. Dass die intendants, die Minister und die Mitglieder des Conseil du roi die Befugnis besaßen, Verwaltungsangelegenheiten wahrzunehmen, und gleichzeitig anstelle der traditionellen Gerichte über Verwaltungsstreitigkeiten urteilen konnten, wurde in Übereinstimmung mit Charles-Louis Secondat Baron de Montesquieus L’Esprit des lois als Quelle des Despotismus angesehen. In den Beschwerdeheften von 1789 war häufig die Forderung zu finden, Verwaltung und Justiz voneinander zu trennen.
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Die zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung aufgewerteten Etats Généraux nahmen eine radikale Revolution der Verwaltung in Angriff, die an den Verzicht auf sämtliche persönlichen und territorialen Privilegien anknüpfte, der im Enthusiasmus der Nacht des 4. August 1789 beschlossen worden war. Die traditionellen Institutionen wurden teils abgeschafft, teils grundlegend umgestaltet. Die örtlichen Verwaltungen waren als erste davon betroffen. Die Provinzen wurden aufgelöst. Die Kommunalverwaltungen wurden reorganisiert: Die Amtsträger wurden nunmehr durch Zensuswahl bestimmt. Die Ämter der königlichen Bediensteten, von denjenigen der prévôts bis hin zu denjenigen der intendants, wurden abgeschafft. Der Conseil du roi verschwand. Die zentralen Dienste wurden neu organisiert und neu geschaffenen Ministerien zugeordnet.
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Was die neue territoriale Gliederung anbelangte, legte die verfassunggebende Versammlung ein wesentliches Augenmerk auf die Gleichheit. Um diese zu gewährleisten, baute sie auf völlige Uniformität. Sie ersetzte die Provinzen durch 83 neue Bezirke, die Departements, welche wiederum in Distrikte unterteilt waren. Alle Departements und Distrikte wurden mit den gleichen Organen ausgestattet, deren Mitglieder nach dem Zensuswahlsystem gewählt und deren Aufgabenbereiche identisch waren, nicht anders als dies bei den kommunalen Amtsträgern der Fall war. Das traditionelle System der Ämtervergabe wurde vollständig beseitigt. Die Hilfskräfte der gewählten Personen und der Minister besaßen lediglich einen Angestelltenstatus. Der König, der Inhaber der vollziehenden Gewalt, aber nicht mehr der Souverän war, blieb der „Leiter der allgemeinen Verwaltung des Reiches (chef de l’administration générale du royaume)“. Seine Rolle bestand insofern allerdings darin zu veranlassen, dass die von der gesetzgebenden Versammlung beschlossenen Gesetze durch die Minister angewendet wurden. Seine eigenen Handlungsmöglichkeiten waren begrenzt: Er hatte keine Autorität über die Generalanwälte (procureurs), welche die Anwendung der Gesetze durch das örtliche Verwaltungspersonal zu überwachen hatten; er ernannte sie nicht einmal.
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Es kann an dieser Stelle nicht näher auf die administrativen Umstrukturierungen eingegangen werden, die im Verlauf der zehn Revolutionsjahre stattgefunden haben. Wichtig ist nur festzuhalten, dass die von der verfassunggebenden Versammlung vorgegebene Einheitlichkeit zu einem Charakteristikum der territorialen Verwaltung in Frankreich geworden ist. Die Gliederung in Departements ist bis heute erhalten geblieben. Hingegen herrschten infolge der Schaffung der neuen Institutionen quasi anarchische Verhältnisse in der Verwaltung, zugegebenermaßen in einem dramatischen politischen Kontext. Die Regierenden haben die zentralistischen Strukturen wiederhergestellt,