Juristische Methodenlehre. Mike Wienbracke
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Beispiel[81]
Nachdem die zuständige Behörde im „Eckkneipen-Fall“ (Rn. 2) von wiederholten Verstößen des A gegen das Nichtraucherschutzgesetz erfahren hatte, hob sie die diesem gegenüber zunächst nach § 2 Abs. 1 S. 1 GastG erteilte Gaststättenerlaubnis mit Bescheid vom 23. Mai wieder auf. Gegen diesen noch am selben Tag zur Post gegebenen und dem A bereits am 24. Mai zugegangenen Aufhebungsbescheid erhebt dieser am 25. Juni desselben Jahres Anfechtungsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Ist die insoweit einschlägige Frist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO („die Klage [muss] innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden“) gewahrt, wenn der 26. Juni des Jahres weder ein Samstag, Sonntag noch ein Feiertag ist und § 41 Abs. 2 S. 1 L-VwVfG lautet: „Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben“?
Ja, A hat die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO gewahrt, die nach dieser Vorschrift mit der „Bekanntgabe des Verwaltungsakts“, d.h. hier des Aufhebungsbescheids vom 23. Mai, begann. Unabhängig vom tatsächlichen Zugangszeitpunkt (vorliegend: 24. Mai) „gilt“ ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, nach § 41 Abs. 2 S. 1 L-VwVfG „am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben“ (ein Ausnahmefall des § 41 Abs. 2 S. 3 L-VwVfG liegt hier nicht vor). Der Aufhebungsbescheid vom 23. Mai wurde an diesem Tag zur Post gegeben. Der dritte hierauf folgende Tag ist der 26. Mai. Noch bevor die Klagefrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat später, d.h. am 26. Juni, endete (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 f. BGB), hat A am 25. Juni Klage erhoben.
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Hinweis
Aufgrund des Zusammenspiels von Antwort-, Hilfs- und Gegennormen lässt sich namentlich die Frage, ob einer bestimmten Person (z.B. Verkäufer) ein Recht (z.B. Anspruch auf Kaufpreiszahlung) gegen eine andere (z.B. Käufer) zusteht, regelmäßig nicht durch Anwendung von nur einer Rechtsvorschrift beantworten (z.B. § 433 Abs. 2 BGB, der einen Kaufvertrag voraussetzt; Rn. 31). Vielmehr kann die endgültige Antwort hierauf erst nach Prüfung sämtlicher insoweit einschlägiger (Hilfs- und Gegen-)Normen gegeben werden (z.B. kein Erlöschen des Anspruchs infolge Aufrechnung, § 389 BGB).[82]
Zusammenfassung
Rechtsnormen sind typischerweise nach einem Konditionalprogramm aufgebaut: Die in ihnen jeweils enthaltene Rechtsfolge tritt im konkreten Fall dann ein, wenn in diesem der Tatbestand der betreffenden Rechtsnorm erfüllt ist. Mitunter wird diese Struktur allerdings erst nach entsprechender Aufbereitung (Umstellung, Umformulierung) der jeweiligen Vorschrift sichtbar.
Neben geschriebenen gibt es auch ungeschriebene (positive wie negative) Tatbestandsmerkmale, die sich ggf. auch erst aus anderen Vorschriften ergeben und sowohl kumulativ („und“) als auch alternativ („oder“) miteinander verbunden sein können. Ferner kann zwischen bestimmten und unbestimmten sowie zwischen deskriptiven (beschreibenden) und normativen (wertungsabhängigen) Tatbestandsmerkmalen unterschieden werden und knüpfen diese teilweise an äußere und teilweise an innere Tatsachen an.
Ergeben sich aus einer Rechtsnorm selbstständige (z.B. Leistungs-)Rechte bzw. Pflichten, so handelt es sich bei ihr um eine Primärnorm. Demgegenüber werden Antwortnormen, welche die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Primärnormen regeln (z.B. Schadensersatzpflicht), als Sekundärnormen bezeichnet. Mitunter tritt die in einer Rechtsnorm enthaltene Rechtsfolge jedoch trotz Vorliegens der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht zwingend ein (so aber im Fall einer gebundenen Entscheidung), sondern verfügt der Normanwender (z.B. Behörde) über ein dahingehendes Ermessen, „ob“ er im konkreten Fall überhaupt eine der nach dem Gesetz in Betracht kommenden Rechtsfolgen setzt (Entschließungsermessen) und bejahendenfalls, „wie“ diese genau ausgestaltet ist (Auswahlermessen).
Die von einer Antwortnorm grundsätzlich angeordnete Rechtsfolge tritt im konkreten Fall allerdings dann nicht ein, wenn in diesem eine Gegennorm einschlägig ist (z.B. rechtsverhindernde, -vernichtende oder -hemmende Einwendung bzw. Einrede).
Normen, die bei der Anwendung einer anderen Rechtsnorm helfen, sind zum einen Legaldefinitionen, mit denen der Gesetzgeber die Bedeutung des in einer anderen Vorschrift verwendeten Begriffs verbindlich festlegt (z.B. § 194 Abs. 1 BGB: „Anspruch“).
Zum anderen gehören auch Verweisungsnormen zu den sog. Hilfsnormen: Soll die Rechtsfolge von § Z, auf den § X verweist, nur dann eintreten, wenn zusätzlich zum Tatbestand von § X auch noch derjenige von § Z verwirklicht ist, so handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung. Demgegenüber tritt die in § Z enthaltende Rechtsfolge im Fall einer Rechtsfolgenverweisung bereits dann ein, wenn allein der Tatbestand der hierauf verweisenden Rechtsnorm (§ Y) erfüllt ist. Verweist eine Vorschrift auf eine andere in einer ganz bestimmten zeitlichen Fassung, so spricht man von einer statischen Verweisung. Hingegen wird im Fall einer dynamischen Verweisung auf die im Zeitpunkt der jeweiligen Rechtsanwendung geltende (aktuelle) Fassung der verwiesenen Vorschrift Bezug genommen (inkl. etwaiger zwischenzeitlicher Änderungen).
Eine weitere Art von Hilfsnormen sind schließlich gesetzliche Vermutungen, mit denen der Gesetzgeber Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung begegnet. Entspricht die bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen eintretende gesetzliche Vermutung nicht den wirklichen Tatsachen, so ist nur bei einer widerleglichen Vermutung der Beweis des Gegenteils zulässig, nicht dagegen im Fall einer unwiderleglichen Vermutung. Während bei der Letztgenannten der vermutete Tatbestand möglicherweise auch tatsächlich gegeben ist, liegt dieser im Fall einer gesetzlichen Fiktion mit Sicherheit nicht vor.
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