Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt Praxis der Strafverteidigung

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Allerdings lässt sich der Vorwurf, nicht hinreichend Sorge getragen zu haben, im Nachhinein leicht formulieren, weshalb eine wesentliche Aufgabe der Verteidigung darin besteht, einem solchen Hindsight Bias (Rückschaufehler) entgegenzutreten. Dies gilt umso mehr, als der Vorschrift eine gewisse Verschleifungstendenz zu eigen ist, indem aus dem Eintritt einer Bestandsgefährdung auf einen Pflichtenverstoß geschlossen werden kann (und umgekehrt).[210]

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      Der Gefährdungserfolg besteht darin, dass eine Bestandsgefährdung des Instituts, des übergeordneten Unternehmens oder eines gruppenangehörigen Instituts eintreten muss. Nach der Legaldefinition des § 48b Abs. 1 S. 1 KWG ist hierunter die Gefahr eines insolvenzbedingten Zusammenbruchs für den Fall des Unterbleibens korrigierender Maßnahmen zu verstehen (vgl. ferner § 48o KWG).[211] Die Bestandsgefährdung ist nicht erst bei unmittelbar bevorstehender Überschuldung oder Zahlungsausfall gegeben, sondern bereits dann, wenn ohne korrigierende Maßnahmen der Eintritt von Insolvenzgründen absehbar ist.[212] In keinem Falle kann im strafrechtlichen Kontext auf die Vermutungsregeln in § 48b Abs. 1 S. 2 KWG zurückgegriffen werden – anderenfalls käme es innerhalb des Strafverfahrens zu einer Umkehr der Beweislast, was gegen die Unschuldsvermutung verstieße.[213]

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      Die Bestandsgefährdung muss gerade auf der Verletzung der Sorgetragungspflicht basieren. Unter Kausalitätsgesichtspunkten ist maßgeblich, dass das unterlassene Sorgetragen zu der Bestandsgefährdung führt: Bei einem Hinzudenken der Handlung müsste der Gefährdungserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben sein (sog. Quasi-Kausalität; siehe Rn. 46 ff., 74 ff.). Über den bloßen Kausalzusammenhang hinaus ist ein normativer Zusammenhang zu fordern, was sich bereits aus der Formulierung „und hierdurch“ (vgl. § 54a Abs. 1 KWG) ergibt.[214] Daran kann es fehlen, wenn der Erfolg auch bei Einhaltung der geforderten Pflichten eingetreten wäre, so dass ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen muss.[215]

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      § 54a KWG stellt eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination dar, wobei als Referenzmaßstab auf die Figur eines sorgfaltsgemäß handelnden Geschäftsleiters abzustellen ist. Während im Hinblick auf das Tatverhalten des Nicht-dafür-Sorge-Tragens Vorsatz erforderlich ist, genügt in Bezug auf das Merkmal der Bestandsgefährdung Fahrlässigkeit (§ 54a Abs. 2 KWG).

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      Erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde § 54a Abs. 3 KWG eingefügt, der – entgegen der gesetzgeberischen Einordnung als Strafausschließungsgrund –[216] eine objektive Bedingung der Strafbarkeit darstellt.[217] Nach § 54a Abs. 3 KWG ist die Tat nur strafbar, wenn die Bundesanstalt dem Täter durch Anordnung nach § 25c Abs. 4c KWG die Beseitigung des Verstoßes gegen § 25c Abs. 4a oder § 25c Abs. 4b S. 2 KWG aufgegeben hat, der Täter dieser vollziehbaren Anordnung zuwiderhandelt und hierdurch die Bestandsgefährdung eintritt. Somit sind allein Pflichtverstöße relevant, bei denen zuvor eine entsprechende BaFin-Anordnung erlassen wurde.[218] Trotz der damit einhergehenden Verringerung der Strafbarkeitsrisiken wirft der Umstand Fragen auf, dass nunmehr die BaFin als Aufsichtsbehörde über den Inhalt der materiellrechtlichen Verbotszone bestimmt, obwohl hierfür nach Art. 103 Abs. 2 GG primär der parlamentarische Gesetzgeber zuständig ist.[219]

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      Eine Anordnung liegt vor, wenn die Maßnahme Verwaltungsaktsqualität i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG hat.[220] Sie muss gegenüber dem Täter selbst ergehen, um ihre Warnfunktion zu erfüllen; nicht ausreichend ist, wenn sie gegenüber anderen Geschäftsleitern oder dem Institut erfolgt.[221] Ob die Anordnung rechtmäßig oder rechtswidrig ist, ist unerheblich, da es allein auf ihre Vollziehbarkeit i.S.d. § 49 KWG ankommt.[222] Der Täter muss der Anordnung zuwiderhandeln; teilweises Zuwiderhandeln genügt.[223]

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      Da sich Abs. 3 von Abs. 1 eigentlich nur darin unterscheidet, dass die BaFin die zu ergreifenden Maßnahmen gegenüber dem Anordnungsadressaten noch einmal konkretisiert hat, ist maßgeblich, ob die Nichtbefolgung der Anordnung kausal und unter dem Blickwinkel des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zurechenbar zu einer Bestandsgefährdung führt.[224] Die Verpflichtung lastet auf allen Geschäftsleitern. Ungeachtet der Gesamtverantwortung ist aus Verteidigungssicht auch in diesem Zusammenhang an das Ressortprinzip zu erinnern, das nicht über den Hinweis auf eine Krisen- und Ausnahmesituation allzu leicht um seinen Anwendungsbereich gebracht werden darf, was der Idee der Arbeitsteilung widerspräche.[225] Überdies wird wegen § 54a Abs. 3 KWG allein dem Adressaten die Verantwortung für die Befolgung jener Anordnung auferlegt.[226] Dies stellt jedoch keine Haftungsbeschränkung dar, wenn sie von vornherein an alle Geschäftsleiter gerichtet ist. Erneut kommt es aus Verteidigungssicht darauf an, einer pauschalierten Zurechnung entgegenzuwirken, indem eine ressortmäßige Aufgabenverteilung dargelegt und die mit Blick auf das Schuldprinzip erforderliche Individualisierung der Zurechnung durchgesetzt wird.

(3) Ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung über § 130 OWiG

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      Die zentrale Vorschrift zur Sanktionierung unterlassenen Risikomanagements stellt § 130 OWiG dar, deren besondere Brisanz sich daraus ergibt, dass die Verletzung von Aufsichtspflichten eine Anknüpfungstat für § 30 OWiG bildet und dann die Sanktionierung von Verbänden trägt (siehe Rn. 303 f., 314 ff.).[227] Compliance kann eines der Instrumente sein, um jene den Inhaber treffenden Aufsichtspflichten zu erfüllen, die sich aus der notwendigen Delegation von Pflichten ergeben (siehe Rn. 101 ff.).[228] Es liegt dabei nicht von vornherein neben der Sache, das Unterlassen von Risikomanagement über § 130 OWiG zu sanktionieren, zumal die Norm nicht unspezifisch Normkonformität sichert, sondern konkreten Gefahren für Rechtsgüter entgegenwirken soll (siehe Rn. 101 ff.).[229] Allerdings bildet abermals nicht die eigentliche Rechtsgutsverletzung, sondern das Unterlassen diesbezüglicher Vorkehrungen den Anlass für die Sanktion, womit es zu jener denkwürdigen Umformung des Tatvorwurfs kommt (siehe auch Rn. 74 ff. bzw. Rn. 115 ff.).

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      Die praktische Relevanz von § 130 OWiG ergibt sich auch im Compliance-Zusammenhang zu einem guten Teil daraus, dass der Nachweis einer vorsätzlichen Aktivbeteiligung der Unternehmensleitung an Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nur schwer gelingt (siehe Rn. 101 ff.). Demgegenüber verlangt der Bußgeldtatbestand allein die Verletzung einer Aufsichtspflicht, die ihren Ausdruck in fehlender oder unzureichender Compliance findet.[230]

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      Compliance spielt im Rahmen des § 130 OWiG nicht nur auf Ebene der Rechtsfolgen, sondern auch bereits auf Ebene der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Rolle, was Ansatzpunkte für Verteidigungsstrategien

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