Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt Praxis der Strafverteidigung

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gegen die Erfolgsabwendungspflicht täterschaftsbegründend wirke.[103] Zwar werden hierdurch klare Abgrenzungen möglich, dies jedoch nur um den Preis, dass im Unterlassungsbereich jeglicher Unterschied zwischen den Beteiligungsformen eingeebnet wird.[104] Eine dritte Position differenziert nach der Art der Garantenstellung: Beschützergaranten seien Täter, Überwachergaranten seien Teilnehmer.[105] Abgesehen von den sich aufdrängenden Abgrenzungsproblemen – teilweise lassen sich die jeweiligen Garantenstellungen nur schwer voneinander abschichten bzw. es können mehrere Garantenstellungen gleichzeitig vorliegen – sind die Fragen nach der Art der Garantenstellung sowie der Art der Beteiligung auf verschiedenen Ebenen angesiedelt.[106]

      99

      Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, sich auf die allgemeinen Abgrenzungskriterien zurückziehen, was die Rechtsprechung veranlasst, die Abgrenzung subjektiv danach vorzunehmen, ob der Unterlassende mit Täter- oder Teilnehmerwillen untätig bleibt;[107] eine Abgrenzung, die im Bereich der Unterlassungsdelikte noch schwieriger als im Bereich der Begehungsdelikte zu treffen ist. Dementsprechend verwundert es nicht, wenn sie zusätzlich auf die Tatherrschaft bzw. den diesbezüglichen Willen als Kriterium für eine entsprechende subjektive Vorstellung abstellt. Die h.M. grenzt hingegen ebenso wie bei den Begehungsdelikten allein nach der Tatherrschaft ab, so dass es auf das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs ankommt.[108] Eine nur potentielle Tatherrschaft kann dabei nicht täterschaftsbegründend wirken,[109] denn die Tatherrschaft darf im Bereich der Unterlassungstaten nicht weniger aktuell sein als im Bereich der Begehungsdelikte. Sie ergibt sich insbesondere nicht schon aus der Möglichkeit des Eingreifens in einen Geschehensablauf, die für die Unterlassungshaftung ohnehin konstitutiv ist.[110] Es kommt vielmehr entsprechend allgemeinen Grundsätzen darauf an, ob der Unterlassende Zentral- und nicht nur bloße Randfigur des Geschehens ist. Dass der Geschäftsherr die Organisationsherrschaft über ein Unternehmen innehat, macht ihn nicht per se zur Zentralfigur für deliktisches Mitarbeiterhandeln, sondern die Tatherrschaft muss in Bezug auf den konkreten Rechtsverstoß des Mitarbeiters bestehen und einzeln begründbar sein. Derartige Gesichtspunkte sind aus Verteidigungssicht hervorzuheben.

      100

      Einen auf das Ordnungswidrigkeitenrecht bezogenen vertatbestandlichten Spezialfall der vertikalen Unterlassungshaftung regelt § 130 OWiG, bei dem es sich um einen eigenständigen Bußgeldtatbestand handelt (siehe auch Rn. 445 ff.).[111]

      101

      Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens die sie treffenden Aufgaben in eigener Person oftmals nicht vollständig erfüllen können und sie daher im Wege der Delegation auf Mitarbeiter übertragen (siehe Rn. 74 ff.).[112] Wenn Mitarbeiter in einem solchen Fall eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen, ist angesichts des Auseinanderklaffens von Verantwortung (des Inhabers) und Verhalten (des Mitarbeiters) die Gefahr einer Sanktionslücke gegeben. Dies gilt gerade dann, wenn der Handelnde nicht zu dem in § 14 StGB, § 9 OWiG benannten Personenkreis zählt.[113]

      102

      In diese Lücke stößt das echte Unterlassungsdelikt des § 130 OWiG, da die Verhängung einer Geldbuße gegen den Inhaber möglich wird, wenn er die ordnungsgemäße Erfüllung ihn selbst treffender Pflichten durch Mitarbeiter nicht sicherstellt und es deshalb zu einer Zuwiderhandlung kommt.[114] Die Norm ist deswegen von besonderer praktischer Relevanz, weil der Nachweis einer vorsätzlichen Aktivbeteiligung der Unternehmensleitung an Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten kaum jemals gelingt.[115] Eine Sanktionierung ist aus Sicht der Kontrollinstanzen oftmals nur über das mit spezifischen Nachweisschwierigkeiten behaftete (fahrlässige) Unterlassungsdelikt möglich.[116]

      103

      § 130 OWiG zielt nicht unspezifisch auf die Gewährleistung genereller Normkonformität,[117] vielmehr geht es um die Verhinderung konkreter Gefahren für jene Rechtsgüter, die in den einzelnen Tatbeständen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts geschützt werden.[118] Dieser Schutz soll über die Statuierung einer bereits im Vorfeld installierten Aufsichtspflicht erfolgen.[119] Im Hintergrund steht das Motiv, dass derjenige, der zur Erfüllung eigener Pflichten Dritte einsetzt, sich deren Zuwiderhandlungen entgegenhalten lassen muss, wenn er selbst nicht alles Erforderliche und Zumutbare unternimmt, um Rechtsverstöße zu vermeiden.[120] Sofern der Inhaber selbst Beteiligter der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist, erübrigt sich der Rückgriff auf die subsidiär geltende Vorschrift.[121]

      104

      Die besondere Relevanz der Vorschrift ergibt sich gerade im Zusammenspiel mit der Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG, da § 130 OWiG eine Anknüpfungstat im Sinne dieser Vorschrift bildet (siehe Rn. 303 ff., Rn. 318 ff.).

      105

      Täter können ausschließlich Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens sein; die Vorschrift stellt ein Sonderdelikt dar. Als Betrieb wird die technisch-organisatorische, als Unternehmen die rechtlich-wirtschaftliche Einheit verstanden, wobei der Gesetzgeber einschränkungslos beides erfassen wollte.[122] Ob ein Konzern, namentlich eine Obergesellschaft, in Bezug auf die Untergesellschaft oder den Unternehmensverbund im Ganzen Inhaber im Sinne des § 130 OWiG sein kann,[123] ist einstweilen nicht abschließend geklärt, im Ergebnis aber abzulehnen.[124] Zwar mag es nahe liegen, der innerhalb eines Konzerns erfolgenden Verlagerung von Sanktionsrisiken auf Tochtergesellschaften entgegenzuwirken,[125] jedoch ist insoweit auf die allgemeinen Haftungsgrundsätze namentlich der Unterlassungshaftung abzustellen.[126]

      106

      Für das Merkmal der Inhaberschaft kommt es darauf an, ob der Person die Erfüllung der unternehmensbezogenen Pflichten obliegt, während Aspekte wie Eigentümerstellung oder Kapitalbeteiligung irrelevant sind.[127] Die dem Inhaber als Normadressaten in dieser (nicht: privater)[128] Eigenschaft obliegenden Pflichten müssen auf Mitarbeiter übertragen worden sein, wobei das Spektrum denkbar weit ist: Erfasst werden Inhaber einer Fabrik, einer Wohnungsbaugesellschaft, einer Agentur, aber auch eines Krankenhauses sowie einer Arzt- oder Anwaltspraxis.[129] § 130 Abs. 2 OWiG stellt klar, dass auch öffentliche Unternehmen erfasst werden, da eine Schlechterstellung von Unternehmen der Privatwirtschaft verhindert werden soll. Die Unternehmensinhaberschaft ist ein besonderes persönliches Merkmal,[130] das unter den Voraussetzungen des § 9 OWiG auf Organe, Vertreter und Beauftragte übergewälzt wird, die damit zu tauglichen Tätern werden.

      107

      Angesichts des das Ordnungswidrigkeitenrecht beherrschenden Einheitstäterprinzips (§ 14 OWiG) entfällt eine Differenzierung nach Art der Beteiligung.

      108

      Während früher streitig war, auf welche Pflichten sich § 130 OWiG bezieht,[131] werden nunmehr neben den aus Sonderdelikten resultierenden Pflichten auch solche aus Allgemeindelikten wie §§ 222, 229 StGB erfasst,

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