Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt Praxis der Strafverteidigung

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dieser Fragen kommt es darauf an festzulegen, ob und inwieweit die Leitungsperson eine Garantenstellung innehat, die im Vertikalverhältnis spezifische Ausprägungen finden kann. Zwar steht der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit einer top down erfolgenden Aufgabendelegation nicht entgegen, da Leitungspersonen die ihnen obliegenden Pflichten nicht zwingend in eigener Person erfüllen müssen, was regelmäßig sogar unmöglich ist. Indes sind in einem solchen Fall geeignete organisatorische Maßnahmen zu treffen, womit sich die unmittelbare Handlungspflicht in eine Organisations- und vor allem Überwachungs- und Kontrollpflicht wandelt.[43] Die Delegation von Handlungspflichten auf untergeordnete Mitarbeiter lässt demnach nicht die grundsätzliche Verantwortlichkeit der Leitungsperson entfallen. Der konkrete Inhalt der Organisations- bzw. Überwachungs- und Kontrollpflicht kann nur anhand des Einzelfalles bestimmt werden, wobei der hierarchischen Einordnung des jeweiligen Mitarbeiters und der Schadensträchtigkeit der Aufgabe besondere Bedeutung zukommt.[44] In der Praxis resultieren Probleme daraus, dass oftmals keine gezielte Delegation von Pflichten vorgenommen wird, sondern sich die Übernahme von Aufgaben gewissermaßen stillschweigend herausbildet.[45] In derartigen Konstellationen erweist sich die Feststellung einer Aufgabenübernahme als schwierig, während mit Blick auf die Leitungsperson problematisch ist, ab wann die originäre Handlungs- in eine Organisations- bzw. Überwachungs- und Kontrollpflicht umschlägt.

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      Je nachdem, ob die jeweilige Rechtsgutsverletzung auf der Realisierung eines menschlichen oder sachlichen Gefahrenpotentials basiert, kann zwischen Personen- und Sachgefahren differenziert werden.

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      Abgesehen von jenen Fällen, in denen der Gesetzgeber explizit eine Strafdrohung angeordnet hat (Bsp.: § 357 Abs. 2 StGB; § 41 WStG), geht es um die Frage, ob und inwieweit Straftaten und Ordnungswidrigkeiten untergeordneter Mitarbeiter aufgrund einer Garantenstellung zu verhindern sind. Denn die Unterlassungshaftung verlangt, dass die Leitungsperson rechtlich für das Nichteintreten des Erfolges einzustehen hat (vgl. § 13 Abs. 1 StGB, § 8 OWiG).

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      Im Ausgangspunkt ist funktional nach Art der Garantenstellung zu differenzieren, weshalb auf allgemeiner Ebene Beschützer- und Überwachergarantenstellungen in Betracht kommen.[46] Als konkrete Ansatzpunkte für eine Garantenstellung sind ferner die Stellung als Compliance-Officer sowie als Betriebsbeauftragter zu diskutieren. Angesichts der Aktivtat eines auf untergeordneten Hierarchieebenen angesiedelten Mitarbeiters ist zudem nach der Art der Beteiligung der Leitungsperson zu fragen. Einen ordnungswidrigkeitenrechtlichen und daher dem Einheitstäterprinzip folgenden Sonderfall bildet der Bußgeldtatbestand des § 130 OWiG.

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      Die zentrale Aufgabe der Verteidigung besteht jeweils darin, den genauen Pflichteninhalt in sachlicher und persönlicher Hinsicht zu eruieren, um einer übermäßigen Aufbürdung von Pflichten entgegenzutreten. Gerade hier besteht für Mandanten eine erhebliche Gefahr, indem im Angesicht einer Rechtsgutsverletzung ex post Pflichten konstruiert werden, durch deren Erfüllung es nicht zu einem Schadensereignis gekommen wäre.

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      Soweit die Garantenstellung ihren Grund darin findet, ein bestimmtes Rechtsgut vor Gefahren von außen zu schützen und die auf Leitungsebene angesiedelte Person insoweit gleichsam auf Posten gestellt ist, kann danach unterschieden werden, ob sich der Schutz vor im vermeintlichen Unternehmensinteresse begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf andere Mitarbeiter des Unternehmens (Schutz von Mitarbeitern vor Mitarbeitern) oder auf nicht zu dem Unternehmen zählende Personen bezieht.

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      Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Beschützergarantenstellung zugunsten der eigenen Mitarbeiter besteht, ist noch nicht abschließend geklärt. Zwar findet sich in § 618 BGB ein möglicher Ansatzpunkt, indem die allgemeine arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht konkretisiert wird. Aus der dort statuierten Nebenpflicht kann jedoch nicht ohne Weiteres eine Garantenpflicht abgeleitet werden,[47] da zivil- und strafrechtliche Pflichtenkreise nicht deckungsgleich sind.[48] Sachlich mag für eine solche im Ausgangspunkt auf der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht beruhende Beschützergarantenstellung allerdings sprechen, dass der Verweis auf bloße Schadensansprüche für den Betroffenen keinen ausreichenden Schutz bietet. Derjenige Mitarbeiter, der sich gegen ihn gerichteter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von Kollegen ausgesetzt sieht, ist auf den Schutz der Leitungspersonen angewiesen, zumal er sich der Zugriffe nicht durch Fernbleiben vom Arbeitsplatz entziehen kann.[49] Allerdings kommen auch insoweit Zurechnungsaspekte zum Tragen, indem zu klären ist, welche persönliche und sachliche Stoßrichtung die jeweilige Verpflichtung hat; konkret: Wer soll wovor geschützt werden?[50] Dementsprechend verneinte die Rechtsprechung in BGHSt 57, 42 ff. die Strafbarkeit eines Vorgesetzten, der sehenden Auges in Kauf genommen hatte, dass zwei ihm untergebene Arbeiter einen zu einer anderen Arbeitskolonne zählenden Mitarbeiter mobbten und wiederholt körperlich angriffen; eine dem Vorgesetzten obliegende Verpflichtung zur Unterbindung solcher Verhaltensweisen habe von vornherein nur zugunsten derjenigen Mitarbeiter bestehen können, für die er selbst verantwortlich war.[51]

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      Geht es um den Schutz außerhalb des Unternehmens angesiedelter Personen, scheidet eine Beschützergarantenstellung im Allgemeinen aus. Sie kann auch nicht aus den Sorgfaltsklauseln des Bürgerlichen Rechts gestützt werden. Insbesondere gesellschaftsrechtliche Bestimmungen wie § 93 Abs. 1 S. 1 AktG; § 43 Abs. 1 GmbHG, die den Vorstand oder den Geschäftsführer einer Aktiengesellschaft oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf die Sorgfalt eines „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) bzw. die „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“ (§ 43 Abs. 1 GmbHG) verpflichten, sind weder dazu gedacht noch geeignet eine Garantenstellung zu statuieren. Denn dieser Maßstab ist im Lichte von Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB, § 3 OWiG viel zu unbestimmt, um eine straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung zu legitimieren. Im Übrigen betreffen die Legalitätspflichten aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG; § 43 Abs. 1 GmbHG das Innenverhältnis zur Gesellschaft, nicht aber das Verhältnis zu außenstehenden Dritten.[52] Selbst wenn eine vertragliche Beziehung zwischen dem Unternehmensträger und dem außenstehenden Dritten besteht, kann dies nicht per se eine Garantenstellung begründen, da allgemeine vertragliche Verpflichtungen im Regelfall keine Garantenpflicht nach sich ziehen. Eine solche kommt nur dann in Betracht, wenn ein über das normale Maß geschäftlicher Beziehung hinausgehendes Vertrauenselement oder aber eine dauerhafte und enge Geschäftsbeziehung vorliegt.[53]

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      Mit Blick auf den Schutz außenstehender Dritter ist vor allem bedeutsam, ob und inwieweit eine Überwachergarantenstellung im Sinne einer „Geschäftsherrenhaftung“ anzuerkennen ist, die sich darauf richtet, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten von Unternehmensmitarbeitern zu unterbinden (siehe Rn. 458 f.). Eine solche Pflicht ist nicht nur wegen der Gleichsetzung von Personen- und Sachgefahren, sondern vor allem mit Blick auf den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit begründungsbedürftig, da die Leitungsperson für das Verhalten einer voll verantwortlichen Person haftet.[54] Im Übrigen mag man kritisch sehen, dass ein solcher Haftungsansatz auf eine Kriminalisierung des in § 130 OWiG normierten Pflichtenprogramms hinausläuft, welches historisch aus einer verschuldensunabhängigen Polizeipflicht erwuchs – der Sache nach wird also eine Ordnungswidrigkeit in den Rang einer Straftat erhoben.[55] Gleichwohl ist eine Geschäftsherrenhaftung dem Grunde nach weithin konsentiert,[56] wobei unterschiedliche

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