Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt Praxis der Strafverteidigung

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und Allzuständigkeit schließt die Delegation einzelner Aufgaben an auf unteren Hierarchieebenen angesiedelte Mitarbeiter nicht aus. Im Gegenteil: Ab einer gewissen Unternehmensgröße ist es für Leitungspersonen unmöglich, die im Unternehmen anfallenden Aufgaben in toto in eigener Person wahrzunehmen. Im Vertikalverhältnis geht es dann um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ihnen eine Rechtsgutsverletzung, die durch auf untergeordneter Ebene angesiedelte Mitarbeiter herbeigeführt wurde, zugerechnet werden kann. Im Bereich aktiven Tuns ist die Identifikation der maßgeblichen Form der Beteiligung problematisch, da sich ungeachtet seines erheblichen Ausdifferenzierungsgrades das strafrechtliche System der Beteiligung seinem Ursprung nach anhand übersichtlicher Lebenssachverhalte herausgebildet hatte, die mit den komplexen Formen der Interaktion in Unternehmenszusammenhängen kaum etwas gemein haben. Indes stellt sich die Problematik nur im Bereich des Straf-, nicht aber im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts, da dort das Einheitstäterprinzip gilt und deshalb nicht zwischen Täterschaft und Teilnahme abgegrenzt werden muss (§ 9 OWiG).

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      Es liegt nahe, die strafrechtliche Verantwortlichkeit gerade dort festzumachen, wo Information, Entscheidung und zumindest die Anweisung zur Ausführungshandlung zusammenfallen. Vor diesem Hintergrund wird die allgemeine Tendenz verständlich, Leitungspersonen als mittelbare Täter im Sinne des § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB einzustufen. Voraussetzung hierfür ist die Tatherrschaft der auf Leitungsebene angesiedelten Personen, bei der es sich in den Worten Roxins um eine „Verflechtung empirischer und normativer Gegebenheiten“ handelt.[1] Das Kriterium ist im Übrigen auch für die Rechtsprechung relevant, da das Vorliegen von Tatherrschaft oder doch ein darauf gerichteter Wille wesentliche Indizien dafür sind, ob eine Person die Tat als eigene (sog. animus auctoris) oder als fremde (sog. animus socii) will.[2]

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      Gegen die Annahme mittelbarer Täterschaft ist nichts einzuwenden, wenn ein Strafbarkeitsdefizit bei dem sich auf untergeordneter Hierarchieebene befindlichem Mitarbeiter auszumachen und insofern die Tatherrschaft des in der Unternehmensleitung angesiedelten mittelbaren Täters rechtlich begründbar ist. Denn hier kann allein ihm ein vom Vorsatz umfasstes In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehens attestiert werden,[3] da er normativ als Zentralgestalt des Geschehens und eben nicht als bloße Randfigur anzusehen ist.

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      Das Strafbarkeitsdefizit kann bereits im objektiven Tatbestand begründet sein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass im Wirtschaftsstrafrecht Sonder- und Pflichtdelikte eine erhebliche Rolle spielen, welche nur durch Personen begangen werden können, die in einer bestimmten Position und/oder Pflichtenstellung stehen. Als mittelbarer Täter kann hier nur derjenige agieren, der in eigener Person diese Position bzw. Pflichtenstellung innehat (sog. Intraneus), während der unmittelbar Handelnde allenfalls als Teilnehmer bestraft werden kann, da es ihm gerade hieran mangelt (sog. Extraneus).

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X von der Zwangsvollstreckung bedrohten XY GmbH, bittet den bösgläubigen Mitarbeiter D, Vermögen der Gesellschaft ins Ausland zu transferieren. - Als Tatnächster kontrolliert D zwar den Tatablauf, eine Bestrafung nach § 288 StGB scheidet jedoch aus, da er nicht Täter des Sonderdelikts sein kann: Weder schafft er sein eigenes Vermögen beiseite noch droht ihm persönlich die Zwangsvollstreckung, denn diese steht nur der GmbH bevor. Nach bestrittener, aber überwiegender Ansicht wird bezüglich Geschäftsführer X im Wege einer eher normativ begründeten Tatherrschaft die Strafbarkeit nach §§ 288, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB bejaht. Dass die Gesellschaft Vollstreckungsschuldner ist, ändert nichts an der Strafbarkeit des X. Insoweit ist § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB einschlägig. Bei D ist eine strafbare Beihilfehandlung gem. §§ 288, 27 Abs. 2 StGB gegeben. Nach wohl h.M. greift neben § 27 Abs. 2 StGB nicht auch noch die obligatorische Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB, da jeweils ein und derselbe Umstand – das Fehlen der Tätereigenschaft – die Milderung trägt.[4]

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      Ferner kommen Fälle in Betracht, in denen der Ausführende als unvorsätzlich handelndes Werkzeug agiert (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X fordert Mitarbeiter Y auf, bestimmte Abfälle in einem Fluss zu entsorgen, ohne ihn über deren toxische Natur aufzuklären. - Strafbarkeit des X nach §§ 326 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch Y als unvorsätzlich handelndes Werkzeug (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Bei Anhaltspunkten für fahrlässiges Handeln ist bezüglich Y an § 326 Abs. 5 Nr. 1 StGB zu denken.

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      Sofern es an einem Strafbarkeitsdefizit fehlt, können anstelle normativer allein empirische Gegebenheiten einer Leitungsperson die Tatherrschaft vermitteln. Allerdings sind durch Rechtsprechung und Dogmatik Fallgruppen herausgearbeitet worden, bei denen trotz eines volldeliktisch handelnden Vordermannes mittelbare Täterschaft angenommen wurde. Im Kern geht es um die Frage, ob das allgemeine Verantwortungsprinzip, nach dem bei vollständiger strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Vordermannes eine zusätzliche täterschaftliche Beteiligung ausscheidet, aufgrund eines besonderen Autonomiedefizits des unmittelbar Handelnden überlagert wird.[5] Zu berücksichtigen ist der dann einsetzende Ausnahmecharakter von der grundsätzlichen Regel, dass eine mittelbare Täterschaft ein Strafbarkeitsdefizit des Vordermannes voraussetzt. In Unternehmenszusammenhängen kommen vor allem die Konstellationen des Ausnutzens eines vermeidbaren Verbotsirrtums, eines Irrtums über den konkreten Handlungssinn, der Einsatz von unterhalb der Schwelle des § 35 StGB liegenden Zwanges sowie die Tatausführung unter Ausnutzung organisatorischer Machtapparate in Betracht.

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      Sofern die auf Leitungsebene angesiedelte Person bei der auf untergeordneter Hierarchieebene angesiedelten Person einen vermeidbaren Verbots- oder Erlaubnisirrtum hervorruft oder ausnutzt,[6] bestehen prinzipiell keine Bedenken gegenüber der Annahme einer strafrechtlichen Haftung als mittelbarer Täter.

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X weist den leichtgäubigen Mitarbeiter Y an, toxische Substanzen in einen Fluss einzuleiten, da sich das Unternehmen angesichts einer prekären wirtschaftlichen Lage keine teure Entsorgung leisten kann und die Einleitung deshalb ausnahmsweise rechtlich zulässig sei. – Strafbarkeit des X nach §§ 326 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB durch Y als in einem vermeidbaren Erlaubnisirrtum handelndes Werkzeug, welches das Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes im Sinne des § 34 StGB hätte erkennen und demnach den Irrtum vermeiden können. Obwohl ein potentielles Unrechtsbewusstsein für eine strafrechtliche Haftung genügt (vgl. § 17 StGB), ist nicht zu verkennen, dass die Tatherrschaft de facto bei der auf Leitungsebene angesiedelten Person liegt. Denn für die Steuerung des Tatmittlers ist es unerheblich, ob das Unrechtsbewusstsein vermeidbar oder unvermeidbar fehlt; in beiden Konstellationen kann der Hintermann die Tat nach seinem Willen ablaufen lassen oder hemmen, weshalb er als Zentral- und nicht als Randfigur des Geschehens anzusehen ist.[7]

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