Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt Praxis der Strafverteidigung

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der Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB zu erwägen, obwohl eine solche auf Gleichordnung basierende Konstruktion an sich nicht dem stärkeren Verantwortungsanteil des Hintermannes gerecht wird.[31] Allerdings wird hierbei die für diese Beteiligungsform zentrale Voraussetzung der gemeinsamen Tatausführung der Sache nach inhaltlich völlig entleert: Der Vorstandsvorsitzende einer weltweit tätigen Aktiengesellschaft führt eine Tat nicht „gemeinsam“ mit auf unteren Hierarchieebenen angesiedelten Mitarbeitern aus, es sei denn – aber das wäre eine eklatante Ausnahmekonstellation – es kommt zu einem konkreten Zusammenwirken.[32] Die weitere Voraussetzung des gemeinsamen Tatplanes ist ebenso wenig gegeben, da eine im Unternehmen installierte Anweisungskette etwas anderes ist als ein gemeinsamer Tatplan, der die einverständliche Avisierung eines deliktischen Gesamtprojekts unter Gleichen darstellt.[33] Teilweise wird sogar auf das Erfordernis eines gemeinsamen Tatplanes verzichtet, da die Zugehörigkeit zum Unternehmen eine objektive Bindung herstelle, die über die aus einer Absprache resultierende subjektive Bindung hinausgehe.[34] Dass derartige Bindungseffekte existieren, ändert jedoch nichts daran, dass das die Mittäterschaft kennzeichnende Zusammenwirken stets auf ein konkretes deliktisches Projekt bezogen sein muss. Ob eine gemeinsame Tatausführung vorliegt, kann im Übrigen nur beantwortet werden, wenn man weiß, welches deliktische Projekt gemeinsam geplant war; die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Mittäterschaft sind demnach ineinander verwoben. Der Verzicht auf einen gemeinsamen Tatplan führt schließlich dazu, dass die strafrechtliche Haftung entgrenzt wird und ein Exzess kaum noch denkbar ist, da prinzipiell jede Tat Folge der Einbindung sein kann.

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      Vor diesem Hintergrund verbleibt im Vertikalverhältnis am Ende oftmals nur die Anstiftung nach § 26 StGB,[35] selbst wenn es unbefriedigend ist, eine auf der Leitungsebene angesiedelte Person lediglich als Rand- und nicht als Zentralfigur des deliktischen Geschehens einzustufen (siehe Rn. 61 ff.). Immerhin ist bei fehlender Rechtsgelöstheit und Fungibilität des Vordermannes nicht zwingend die Ausführung einer rechtswidrigen Anweisung gewährleistet, was für den Rückgriff auf die Anstiftung sprechen mag, die in den Grenzen der limitierten Akzessorietät auf einer eigenständigen Haupttat basiert. Der Einwand, dass es an einem kommunikativen Kontakt zwischen dem in der Unternehmensleitung angesiedelten Anstifter und dem auf unteren Hierarchieebenen angesiedelten Haupttäter fehlen soll,[36] überzeugt nicht, da diese Kommunikation über die Anweisung hergestellt wird und einseitige Kommunikationsverhältnisse ohne Weiteres vorstellbar sind. Auf die konkrete Anzahl zwischengeschalteter Personen kann es dabei nicht ankommen, wie im Übrigen schon die allgemein anerkannte Figur der Kettenanstiftung belegt.[37]

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      Aus Verteidigungssicht ist dann freilich ein besonderes Augenmerk darauf zu lenken, ob überhaupt die Anforderungen an eine Anstiftungshandlung gegeben sind und der Tatentschluss tatsächlich auf einer Anstiftungshandlung der auf der Leitungsebene angesiedelten Person basiert – auf einen solchen Kausalnachweis zwischen Anstiftungshandlung und vorsätzlicher rechtswidriger Haupttat wird nicht verzichtet werden können. Ferner wird darauf zu achten sein, inwieweit der Anstifter einen ausreichend konkretisierten Haupttatvorsatz aufwies, denn aufgrund der Identität des für Haupttäter und Anstifter geltenden Strafrahmens muss der Anstifter die konkrete Stoßrichtung seines Angriffs auf das Rechtsgut erfassen.

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      Neben der Haftung für aktives Tun kommt eine Haftung für Unterlassen in Betracht, die in Vertikalverhältnissen zu einem dominierenden Haftungsmodell geworden ist. Nicht ganz zu Unrecht wird die Rechtsprechung zur „Unternehmenshandlung“ darauf zurückgeführt, dass Tun und Unterlassen im Bereich der Unternehmenskriminalität in gewissem Maße austauschbar sind, da gleichermaßen Aktiv- und Unterlassungselemente identifiziert werden können: Das Unternehmenswirken ergebe sich erst aus einem Zusammenspiel von Aktivtaten der im Regelfall auf untergeordneten Hierarchieebenen angesiedelten Mitarbeitern und Unterlassungstaten der im Regelfall auf übergeordneten Hierarchieebenen angesiedelten Leitungspersonen.[38] Hinzu treten aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden praktische Gründe, weil der Nachweis der aktiven Erbringung eines mit Tatherrschaft geleisteten Tatbeitrages durch eine Leitungsperson regelmäßig Schwierigkeiten bereitet. Der Rückgriff auf ein in die Verhaltensmodalität des Unterlassens gekleidetes Organisationsverschulden ist dann verlockend, zumal Pflichtverstoß und Tatherrschaft im Zweifel relativ schnell zugeschrieben sind. An diesem Punkt ist indes auf die Ambivalenzen eines solchen Haftungsansatzes hinzuweisen, da an die Stelle der eigentlich rechtsgutsverletzenden und mit Tatherrschaft verübten Aktivtat ein bloßes Organisationsverschulden in Form eines Unterlassens tritt.

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      Umso wichtiger ist es aus Verteidigungssicht, die allgemeinen strafbarkeitsbegründenden Voraussetzungen der Unterlassungshaftung im Auge zu behalten und die Verteidigung im Falle unechter Unterlassungsdelikte nicht allein auf den zweifellos bedeutsamen Gesichtspunkt der Garantenstellung zu fokussieren. Insbesondere ist an die relativ hohen Anforderungen im Hinblick auf den Kausalnachweis im Unterlassungsbereich zu erinnern, der nur erbracht ist, wenn die an sich gebotene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre (siehe Rn. 46 ff.). Das abgeforderte Wahrscheinlichkeitsurteil müsste an sich vielfach einer Verurteilung entgegenstehen, da nicht nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sondern eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zu verlangen ist. Unterhalb dieser Schwelle basiert jede Verurteilung auf einer bloßen Fiktion und stellt eine Verdachtsstrafe dar. Je größer und komplexer Unternehmensstrukturen sind, desto schwieriger gestaltet sich der Nachweis dieser Quasi-Kausalität,[39] weshalb es aus Verteidigungssicht angezeigt sein kann, Größe und Komplexität der Unternehmensstrukturen hervorzuheben, um auf diese Weise das Gericht von vorschnellen Kausalattributionen abzuhalten. Allerdings hat der BGH die hohen Anforderungen an die Quasi-Kausalität in den letzten Jahren relativiert und in seiner Entscheidung zum Einsturz der Eissporthalle Bad Reichenhall argumentiert, bei einer genaueren „handnäheren“ Untersuchung durch den als Gutachter tätigen angeklagten Statiker sei nicht auszuschließen gewesen, dass der Betrieb der Halle wenigstens zum Teil eingestellt worden wäre; denn dann hätten konkrete Gefahrenmomente identifiziert werden können, die hinreichender Anlass für eine Schließung der Halle gewesen wären.[40] Indes ist es ein gravierender Unterschied, ob der Erfolgseintritt bei Vornahme der gebotenen Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre oder ob dies nur nicht auszuschließen war. Eine solche Argumentation läuft daher auf ein deutliches Absenken der Kausalitätsanforderungen hinaus, was umso bedenklicher ist, als das Urteil über den Ursachenzusammenhang im Unterlassungsbereich ohnehin auf hypothetischer Grundlage erfolgt. Dann aber mutet es befremdlich an, sich mit einer in dieser Weise vagen Kausalannahme zu begnügen und unausgesprochen mit Risikoverringerungserwägungen zu argumentieren. Aus Verteidigungssicht kommt es daher auch hier darauf an, über die Darlegung denkbarer Alternativszenarien einer allzu leichthändigen und auf mehr oder weniger fundierte probabilistische Annahmen gestützten Zuschreibung von Kausalität entgegenzutreten.

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      Ebenso dürften allgemeine Zurechnungsgrundsätze Ansatzpunkte für die Verteidigung bieten, wobei neben dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Pflichtwidrigkeitszusammenhang und der Schutzzweck der Norm eine Rolle spielen können. Sie sind jeweils auf die Garantenstellung bezogen, so dass zu klären ist, ob bei Erfüllung der Garantenpflicht überhaupt der Erfolg ausgeblieben wäre (Pflichtwidrigkeitszusammenhang)[41] bzw. die sich aus der Garantenstellung ergebende Pflicht ihrem Zweck nach auf die Unterbindung eines solchen Erfolges gerichtet ist (Schutzzweck der Norm).[42]

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