Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt Praxis der Strafverteidigung

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auf ihre Anordnungsgewalt und das Ausnutzen regelhafter Abläufe stützenden Rechtsprechung, entgegenzutreten, da sie den Anwendungsbereich der Rechtsfigur überdehnt. Es wirkt bereits verstörend, Machtapparate eines rechtsgelösten Staates oder einer rechtsgelösten Organisation mit einem Unternehmen gleichzusetzen, da die Reduktion dieser dogmatischen Konstruktion auf die Aspekte der Anordnungsgewalt und des Ausnutzens regelhafter Abläufe dazu führt, dass jede gebotene Differenzierung zwischen unterschiedlichen Entitäten ausbleibt. Dabei wird der Begriff der Tatherrschaft bei organisatorischen Machtapparaten nur über die Gesamtheit der von Roxin herausgearbeiteten vier Voraussetzungen operationalisierbar, die dann die empirischen Gegebenheiten von Tatherrschaft kennzeichnen. Zwar ist zuzugestehen, dass die Merkmale der Anordnungsgewalt und einer regelhafte Abläufe auslösenden Organisationsstruktur alles andere als irrelevant sind, da anderenfalls Tatherrschaft von vornherein nicht denkbar ist. Die Entfaltung unternehmerischer Tätigkeit setzt stets ein Mindestmaß an Anordnungsgewalt und, jedenfalls ab einer gewissen Größe des Unternehmens, auch die Installation regelhafter Abläufe voraus. Indes ist mit diesen beiden Aspekten kein abschließendes Urteil über die Tatherrschaft gesprochen, da sie zwar notwendige, aber keine hinreichende Bedingungen darstellen. Tatherrschaft im Sinne des vom Vorsatz umfassten In-den-Händen-Haltens des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs setzt demnach mehr voraus, womit die beiden weiteren Kriterien der Rechtslosgelöstheit des Apparates sowie Fungibilität des Vordermannes in das Blickfeld geraten.

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      Das Kriterium der Rechtsgelöstheit findet seinen tieferen Sinn darin, dass angesichts der durch den organisatorischen Machtapparat vollzogenen Lösung von jeglicher Rechtsbindung auf den Vordermann keinerlei die Ausführung der rechtswidrigen Tat zuwider laufende Motive einwirken. Vielmehr ist er allein der auf die Verwirklichung der Straftat gerichteten Anweisung ausgesetzt und kann ihr nicht zuwiderhandeln, weshalb die Durchbrechung des Verantwortungsprinzips und die Annahme von Tatherrschaft des Hintermannes angezeigt ist. Anders als bei staatlichen Machtapparaten oder mafiösen Strukturen ist dies bei Unternehmen nicht anzunehmen, da insoweit immer auch auf strafrechtsgemäßes Verhalten zielende Gegenmotivationen bestehen. Denn Unternehmen können trotz etwaiger Normverstöße nur operieren, wenn sie jedenfalls im Grundsatz die Bindung an die Rechtsordnung akzeptieren; anderenfalls würde man mit ihnen etwa keine Verträge schließen. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass die Unternehmenswirklichkeit zunehmend durch heterarchische anstelle hierarchischer Organisationsformen geprägt ist und schon deswegen stets alternative – konkret: auf Legalität abzielende – Gegenmotivationen existieren.[18] Überdies wird die Unternehmenswirklichkeit ubiquitär und intensiv durch Compliance bestimmt, durch die sich Unternehmen zur Beachtung der Verbote und Gebote des (Straf-)Rechts verpflichten. Insofern tritt neben die Existenz der (straf-)rechtlichen Verbote und Gebote die Existenz von darauf bezogenen Compliance-Vorgaben, womit deutliche Gegenmotive vorhanden sind, welcher einer Tatherrschaft des Hintermannes entgegenstehen und durchgreifende Zweifel begründen, ob die Leitungsebene Straftaten nach ihrem Willen beliebig ablaufen lassen oder hemmen kann.

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      Fehlt es damit an der Rechtsgelöstheit als einer zentralen Voraussetzung für die Annahme von Tatherrschaft, folgt daraus zugleich die fehlende Fungibilität der Mitarbeiter, die trotz Einbindung in die Unternehmensorganisation nicht darauf reduziert sind, ein gleichsam mechanisches „Rädchen im Getriebe des Machtapparates“ zu sein.[19] Der tiefere Grund für das von Roxin propagierte Kriterium der Fungibilität liegt darin, dass erst die Austauschbarkeit des unmittelbar Handelnden die Tatherrschaft des Hintermannes begründet und die Durchbrechung des Verantwortungsprinzips legitimiert. Im Hinblick auf die Tatherrschaft kommt es erneut darauf an, ob die Unternehmensleitung durch Anweisungen beliebig Straftaten ablaufen lassen oder hemmen kann. Dies ist gerade nicht der Fall, sondern von den Mitarbeitern kann und muss eine sich an die Vorgaben des (Straf-)Rechts haltende Vorgehensweise erwartet werden; rechtswidrige Anweisungen dürfen notfalls nicht befolgt werden.[20] Fungibilität wäre nur gegeben, wenn es gar nicht mehr auf eine individuelle Entscheidung des Vordermannes ankäme, der rechtswidrigen Anweisung zu folgen, weil stets davon auszugehen wäre, dass er einer solchen Anweisung Folge leistet. Derart „mechanisch“ funktionieren moderne Unternehmen und ihre Mitarbeiter jedoch gerade im Hinblick auf heterarchische Organisationsformen und Compliance nicht.[21]

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      Das weitere vom BGH vorgebrachte Argument, der Hintermann nutze „die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden aus, den Tatbestand zu erfüllen“, und wolle „den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns“, erscheint vor diesem Hintergrund ungereimt.[22] Auch wenn der Eingliederung in die Unternehmensorganisation eine kriminogene Wirkung zukommen kann (siehe Rn. 6 ff.), trägt dies für sich genommen nicht notwendig eine solche normative Folgerung. Ebenso wenig überzeugt die letztlich auf die subjektive Theorie zurückgehende Aussage, die Unternehmensleitung habe die Tat des Vordermannes als eigene gewollt.[23] Abgesehen davon, dass hierdurch auf ein sich objektiv manifestierendes Lenkungselement der Tatherrschaft verzichtet wird, löst eine solche Sichtweise die Beteiligungsdogmatik von jeglichem Tatbestandsbezug.[24] Hinter dieser Rechtsprechung steht (auch) unausgesprochen eine praktische Erwägung des Inhalts, dass auf den konkreten und prozessual schwierigen Nachweis der Gut- oder Bösgläubigkeit des Vordermannes verzichtet wird, die für eine normativ fundierte Tatherrschaft der Leitungsperson konstitutiv wäre.[25] Praktische Nachweisschwierigkeiten sind jedoch selten ein probates Instrument für die Beantwortung dogmatischer Fragestellungen.

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      Letztlich läuft die Rechtsprechung darauf hinaus, den auf der Leitungsebene tätigen Personen nicht mehr das Handeln einzelner, sondern sämtlicher Mitarbeiter zuzurechnen, die auf untergeordneten Hierarchieebenen angesiedelt und in die Organisationsstruktur regelhafter Abläufe eingebunden sind. Dann aber geht es nicht mehr um die Zurechnung individueller Handlungen, sondern stattdessen wird das Unternehmenswirken im Ganzen der Leitungsebene zugeordnet, was mit dem Konzept individueller Schuld kaum in Einklang zu bringen ist.[26] Bezeichnenderweise verwendet der BGH in den letzten Jahren vermehrt den Begriff des Organisationsdelikts,[27] der den Kollektivcharakter der Unternehmenskriminalität unterstreichen soll. Aus dogmatischer Sicht stellt sich die Frage, ob sich hinter dem durch die Rechtsprechung immer wieder verwendeten Begriff des „Unternehmenshandelns“[28] nicht letztlich eine eigenständige Form der Täterschaft – Schünemann spricht von einem das gesamte bisherige Strafrechtssystem revolutionierenden „neuen Handlungsbegriff“ bzw. einen „systemischen Handlungsbegriff“ – verbirgt.[29] Oder geht es um eine Form der unmittelbaren Täterschaft, bei der lediglich die Voraussetzungen präzisiert werden, unter denen der Zurechnungszusammenhang nicht durch das Dazwischentreten Dritter in Gestalt der auf untergeordneten Hierarchieebenen angesiedelten Mitarbeiter unterbrochen wird?[30]

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      Aus Verteidigungssicht wird man bei aller Kritik mit diesen vergröberten Zurechnungsmodellen zu rechnen haben, weshalb es entscheidend darauf ankommt herauszuarbeiten, ob die konkrete Handlung des auf untergeordneter Hierarchieebene angesiedelten Mitarbeiters tatsächlich Ausdruck der regelmäßigen Organisationsabläufe ist bzw. eine entsprechende Vorstellung von diesen Abläufen auf der Leitungsebene existiert. Im Übrigen wird es von zentraler Bedeutung für jede Verteidigung sein, immer wieder auf dem Gebot individueller Zurechnung zu insistieren und Argumente vorzutragen, die der in der Rechtsprechung angelegten Durchbrechung des Verantwortungsprinzips entgegenstehen. Abgesehen davon trägt letztlich die Strafjustiz die Begründungslast dafür, weshalb trotz volldeliktisch handelnden Vordermannes eine Zurechnung erfolgen soll. Begründungsbedürftig ist damit in erster Linie die Durchbrechung eines allgemeinen Haftungsprinzips und weniger das Festhalten an einem Prinzip.

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      Angesichts

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