Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung. Markus Berndt

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Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung - Markus Berndt Praxis der Strafverteidigung

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können, was insofern bedauerlich ist, als Reichweite und Grenzen von Pflichten erst bei Gewissheit über den eigentlichen Haftungsgrund bestimmt werden können.[57]

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      Dieser wird zuweilen in der Organisationsherrschaft des Geschäftsherrn gesehen.[58] Hiergegen spricht weniger der Umstand, dass die Unternehmenswirklichkeit zunehmend durch heterarchische Organisationsstrukturen geprägt ist, die einseitigen Direktiven Grenzen setzt.[59] Denn auch heterarchisch strukturierte Unternehmen sind keineswegs durch ein beziehungsloses Nebeneinander verschiedener Einheiten, sondern stets auch durch top down erfolgende Steuerungsprozesse geprägt. Der Rekurs auf die Organisationsherrschaft ist jedoch deswegen problematisch, weil eine solche auf die Herrschaft der Leitungsperson gestützte Garantenstellung starke Anklänge an die in Unternehmenszusammenhängen problematische Figur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft aufweist, indem der Leitungsperson am Ende die Errichtung oder Beherrschung einer Organisation zur Last gelegt wird.[60] Anstatt auf Rechtspflichten zu rekurrieren, wirkt haftungsbegründend die Faktizität der Verhältnisse, was in der Tendenz mit Pauschalierungen einhergeht.[61]

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      Vor diesem Hintergrund liegt es näher, den eigentlichen Haftungsgrund darin zu sehen, dass der Leitungsperson eine Verkehrssicherungspflicht zur Verhinderung der sich aus dem Unternehmenswirken ergebenden Gefahren obliegt; eine hierauf gestützte Garantenpflicht bildet das Korrelat zur Freiheit der unternehmerischen Betätigung.[62] Im Grunde wird damit an die Sachgarantenhaftung angeknüpft (siehe Rn. 150), die den Garanten nunmehr im Hinblick auf „Personengefahren“ zur Ergreifung von Maßnahmen in die Pflicht nimmt.[63] Teilweise werden Einschränkungen nach der Eigenart des Unternehmens gemacht; eine Verpflichtung soll danach nur in Bezug auf die Unterbindung „betriebsstypischer“ Gefahren bestehen.[64] Hieran ist zutreffend, dass es für die Bestimmung des Pflichteninhalts darauf ankommt, welche Freiheit der unternehmerischen Betätigung in Anspruch genommen wird, die nach Art des Betriebes unterschiedlichen Charakter haben kann. Allerdings treten bestimmte Betriebsrisiken ubiquitär auf, weshalb die Haftung nicht zu weit eingeschränkt werden darf. Daher wird man den Geschäftsführer eines Rüstungsunternehmens als verpflichtet ansehen müssen, nicht nur Verstöße gegen AWG-Bestimmungen zu verhindern, sondern auch gegen Korruptionspraktiken der Mitarbeiter einzuschreiten, obwohl Korruption kein Phänomen ausschließlich der Rüstungsindustrie ist.

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      In keinem Fall darf die Geschäftsherrenhaftung als Pflicht zur Verhinderung jedweder Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten untergeordneter Mitarbeiter missverstanden werden.[65] Vielmehr geht es allein um die Unterbindung betriebsbezogener Verstöße gegen rechtliche Vorgaben; die Gewährleistung einer rechtstreuen Lebensführung ist keine Aufgabe der Unternehmensleitung.[66] Ein solcher Bezug dient dazu, den Pflichtenkreis konkretisierend einzuengen und den Anwendungsbereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts auf den eigentlichen Grund der Haftung zu reduzieren: die „Gefahrenquelle Unternehmen“.[67] Das Kriterium liegt vor, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit in einem, konkret und nicht abstrakt zu bestimmenden, inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Handelnden steht; ein Handeln nur bei Gelegenheit – etwa das Bestehlen eines Geschäftspartners bei Vertragsverhandlungen – genügt nicht.[68] Insofern ist zu verlangen, dass der Mitarbeiter im vermeintlichen wirtschaftlichen Interesse des Betriebes handelt, denn die Verfolgung dieser Interessen ist der eigentliche Zweck einer solchen Organisation. Ob in BGHSt 57, 42 ff. die Betriebsbezogenheit vorlag, ist daher zweifelhaft, selbst wenn man den Standpunkt einnimmt, das Mobbing hätte gerade den Arbeitsplatz als Tatort benötigt.[69] Ein innerer Zusammenhang mit der „Gefahrenquelle Unternehmen“ ist hier jedoch nicht gegeben, da sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, welches allenfalls mittelbar mit der dem Unternehmen eigenen wirtschaftlichen Zweckverfolgung zu tun hat. Anderes mag gelten, wenn derartige Praktiken seitens der Unternehmensleitung angewiesen oder arbeitstechnische Machtbefugnisse zur Tatbegehung ausgenutzt werden, um missliebige Mitarbeiter aus dem Unternehmen zu drängen.[70]

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      Aus Sicht der Verteidigung kommt es deshalb darauf an, Reichweite und Grenzen der Garantenpflicht zu markieren und darauf zu drängen, dass nicht bereits die Leitungsmacht als solche oder allenfalls entfernt mit der Gefahrenquelle Unternehmen in Verbindung stehende Umstände zur Haftungsbegründung herangezogen werden. Namentlich dieser innere Zusammenhang ist seitens der Staatsanwaltschaften und Gerichte darzulegen und nachzuweisen und nicht etwa umgekehrt seitens des Beschuldigten zu widerlegen.

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      In den letzten Jahren wird über die Garantenstellung des Compliance-Officers diskutiert, der freilich im Regelfall nicht unmittelbar in der Leitungsebene eines Unternehmens angesiedelt ist, umgekehrt aber auch nicht als subalterner Mitarbeiter eingeordnet werden kann (siehe auch Rn. 458 f. sowie Rn. 634 ff.). Compliance dient der Unterbindung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zum Nachteil außerhalb des Unternehmens stehender Personen oder Entitäten, selbst wenn unternehmensseitig das wesentliche Motiv in der Vermeidung von Sanktionen und Imageschäden zu sehen ist.[71] Die Diskussion hat noch an Intensität zugenommen, nachdem der BGH in BGHSt 54, 44, 48 ff. – Berliner Stadtreinigung – vor einigen Jahren in einem obiter dictum eine solche Möglichkeit angesprochen hatte.[72] In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt selbst ging es gar nicht um einen Compliance-Officer, sondern um den Leiter der Rechtsabteilung und Innenrevision eines öffentlich-rechtlichen Unternehmens; gerade dieser Aspekt wurde daraufhin vom BGH zur Begründung der Garantenstellung herangezogen, da bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen der Gesetzesvollzug Kern der Entfaltung unternehmerischer Tätigkeit sei.[73] Im Zentrum der weiteren Diskussion stand dann jedoch vor allem das kryptische obiter dictum, in dem nicht klargestellt wurde, ob die Haftung in einem solchen Fall derivativ auf einer Delegation der dem Unternehmen und seinen Organen obliegenden Pflichten oder originär auf dem Arbeitsverhältnis samt tatsächlicher Übernahme der hierdurch begründeten Verpflichtungen basiert:

       [BGHSt 54, 44, 49 f.]

      „Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat. Dabei ist auf die besonderen Verhältnisse des Unternehmens und den Zweck seiner Beauftragung abzustellen. Entscheidend kommt es auf die Zielrichtung der Beauftragung an, ob sich die Pflichtenstellung des Beauftragten allein darin erschöpft, die unternehmensinternen Prozesse zu optimieren und gegen das Unternehmen gerichtete Pflichtverstöße aufzudecken und zukünftig zu verhindern, oder ob der Beauftragte weitergehende Pflichten dergestalt hat, dass er auch vom Unternehmen ausgehende Rechtsverstöße zu beanstanden und zu unterbinden hat. Unter diesen Gesichtspunkten ist gegebenenfalls die Beschreibung des Dienstpostens zu bewerten. Eine solche, in Großunternehmen als „Compliance“ bezeichnete Ausrichtung, wird im Wirtschaftsleben mittlerweile dadurch umgesetzt, dass sogenannte „Compliance Officers“ geschaffen werden (...) Deren Aufgabengebiet ist die Verhinderung von Rechtsverstößen, insbesondere auch von Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden und diesem erhebliche Nachteile durch Haftungsrisiken oder Ansehensverlust bringen können (...) Derartige Beauftragte wird regelmäßig strafrechtlich eine Garantenpflicht im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB treffen, solche im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens stehende Straftaten von Unternehmensangehörigen zu verhindern. Dies ist die notwendige Kehrseite ihrer gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht, Rechtsverstöße und insbesondere Straftaten zu unterbinden (...).“[74]

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      Bei einer originär auf den Arbeitsvertrag samt tatsächlicher Übernahme gestützten

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