Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
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Eine typische Überforderungssituation des Kindes liegt dagegen vor, wenn ein achtjähriges Kind mit seinem Fahrrad aufgrund überhöhter, nicht angepasster Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit im fließenden Verkehr gegen ein verkehrsbedingt haltendes Kfz fährt und das Kind dieses Kfz nicht herankommen sehen konnte und mit dem es deswegen möglicherweise auch nicht rechnete. Es kommt nicht darauf an, ob sich die Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten.[55]
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Eine Überforderungssituation und damit den Haftungssauschluss gemäß § 828 Abs. 2 BGB hat der BGH auch in einem Fall angenommen, in dem ein Achtjähriger auf dem Bürgersteig sein Fahrrad führerlos vor sich her rollen ließ und das Fahrzeug dann auf die angrenzende Straße geriet und dort ein herannahendes Kfz beschädigte. Die Überforderungssituation ist hier darin begründet, dass das Kind möglicherweise die Geschwindigkeit des heranfahrenden Fahrzeugs falsch einschätzte und deshalb nicht damit rechnete, dass sein führerloses Fahrrad gerade zu dem Zeitpunkt auf die Fahrbahn geraten könnte, in dem das Kfz vorbeifuhr.[56]
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Eine Haftungsprivilegierung des Kindes nach § 828 Abs. 2 BGB liegt auch vor, wenn ein 7–10-Jähriges Kind mit einem Fahrrad gegen ein mit geöffneten Türen am Fahrbahnrand stehendes Fahrzeug fährt. Denn bei einem solchen Sachverhalt wurde durch das nicht ordnungsgemäß geparkte Kfz eine besondere Gefahrenlage geschaffen – zumal wenn das Kind erst 20 m vor dem abgestellten Fahrzeug von einer anderen Straße eingebogen war.[57]
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Beweispflichtig dafür, dass sich eine typische Überforderungssituation des Kindes (7-10-Jährige) durch die spezifizierten Gefahren des motorisierten Verkehrs bei einem Unfall nicht realisiert hat und deswegen das Haftungsprivileg des Kindes nach § 828 Abs. 2 BGB nicht eingreift, ist der Geschädigte. Ist strittig, ob ein Fahrzeug ordnungsgemäß geparkt war, geht dies im Ergebnis zu Lasten des geschädigten Fahrzeugeigentümers. Greift die Haftungsfreistellung des Kindes ein, weil der Geschädigte nicht bewiesen hat, dass eine typische Überforderungssituation des Kindes nicht vorlag, ist dem Kind auch ein Mitverschulden nach § 254 BGB nicht anrechenbar.[58]
f) Schmerzensgeld im Rahmen der Gefährdungshaftung
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In § 253 Abs. 2 BGB ist ein allgemeiner Anspruch auf Schmerzensgeld bei jeder Art von Haftung (Vertrags-, Verschuldens- oder Gefährdungshaftung) geregelt.
Die Vorschrift lautet:
Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.
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Der Bundestag hat sich der Empfehlung seines Rechtsausschusses angeschlossen, eine Bagatellschwelle für Schmerzensgeldansprüche nicht vorzusehen.[59] Den Gerichten soll die Definition einer Bagatellschwelle, d.h. bei welcher Art von Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen ein Schmerzensgeld wegen geringer Beeinträchtigung des Verletzten nicht zu zahlen ist, auch nach Ausdehnung des Schmerzensgeldanspruchs auf die Vertrags- und Gefährdungshaftung überlassen bleiben. Durch Auslegung des Begriffs „billige“ Entschädigung haben die Gerichte auch weiterhin die Möglichkeit, die Bagatellschwelle fortzuentwickeln.
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › I. Gefährdungshaftung › 4. Haftung des Kfz-Führers/Fahrers
a) Fahrer i.S.d. § 18 StVG
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Fahrer ist, wer das Kfz lenkt, gleichgültig, ob er hierzu berechtigt ist oder nicht.[61] Denkbar ist, dass zwei Personen gleichzeitig das Kfz führen, also das Lenkrad, Gaspedal, Kupplung und Bremse bedienen. Dann wären beide Fahrer.[62] Greift während der Fahrt ein Fahrzeuginsasse ins Steuer oder betätigt die Bremse, so wird er hierdurch nicht zum Fahrer, s. Kap. 16 Rn. 37. Wer auf Weisung des Fahrers nur Hilfsdienste leistet, ist nicht als Fahrer anzusehen.[63] Die Fahrereigenschaft besteht nicht nur so lange, wie sich das Kfz durch eigene Motorkraft fortbewegt, sondern solange, wie es sich in „Betrieb“ befindet[64] (s. Rn. 11 ff.).
b) Fahrschüler/Fahrlehrer
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Nach § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG gilt bei Übungs- und Prüfungsfahrten nicht der Fahrschüler, sondern der „Fahrlehrer“ als Fahrer. Ihn trifft die Haftung des § 18 StVG.[65] Der Fahrlehrer haftet darüber hinaus nach § 823 BGB, wenn er die Fahrweise des Fahrschülers nicht sorgfältig überwacht und Fahrfehler nicht verhindert.[66] Gegenüber Zweiradfahrern hat der Fahrlehrer eine gesteigerte Sorgfaltspflicht.[67] Dies insbesondere während der ersten Fahrstunde.[68] Ausgehend vom jeweiligen Ausbildungsstand des Fahrschülers als Maß der Überwachungspflichten, hat der Fahrlehrer darauf zu achten, dass der Schüler das Motorrad ausreichend beherrscht und nicht überfordert ist.[69] Bei „Fehlern“ eines angestellten Fahrlehrers kann die Fahrschule den Entlastungsbeweis führen.[70]
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Den Fahrschüler kann an seinem Unfall, seinen Verletzungen, ein Mitverschulden treffen.[71] Einem geschädigten Dritten haftet er nach § 823 BGB nur dann, wenn dieser den Nachweis erbringt, dass der für den Unfall ursächliche Fahrfehler nicht auf mangelhaftes Wissen und Können zurückzuführen ist.[72]
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Der 17-Jährige, der an dem Modell „Begleitetes Fahren“ (Führerschein mit 17) nach § 48a FeV teilnimmt, ist selbst Fahrer. Die vorgeschriebene Begleitperson kann daneben einem geschädigten Dritten gegenüber ausnahmsweise dann aus § 823 Abs. 1 BGB haften, wenn sie eine eigene unfallkausale Pflicht verletzt hat – so z.B., wenn sie dem 17-Jährigen die Benutzung eines verkehrsunsicheren Kfz gestattet hat oder sich Zweifel an dessen Fahrtüchtigkeit aufdrängen mussten.
c) Haftung nach § 18 StVG
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Die Haftung des Fahrers unterscheidet sich von der des Halters. Die des Halters entfällt bei Vorliegen höherer Gewalt (s. Rn. 34 ff.). Die Haftung des Fahrers entfällt, wenn er nachweist, dass ihn an dem Unfall keinerlei Verschulden trifft (§ 18 Abs. 1 S. 2 StVG). Bei dieser Haftung handelt es sich um eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast.[73] Der Fahrer muss beweisen, dass er die im Verkehr gebotene Sorgfalt angewandt hat.[74] Er muss alle für ein Verschulden sprechenden Tatsachen ausräumen; insbes., dass er nicht gegen Vorschriften der StVO oder StVZO verstoßen hat. Eine gesteigerte Sorgfaltspflicht eines „Idealfahrers“ braucht