Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
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Für eine systematische Darstellung ergibt sich damit eine feste Reihenfolge:
a) Die am Rechtsgut orientierte Zusammenfassung bestimmter Deliktsgruppen; die Einordnung dieser Gruppen in eine umfassende Legal- oder Rechtsgüterordnung; s. näher u. II.
b) Die Behandlung der einzelnen Tatbestände innerhalb der Deliktsgruppen. Nach zwei Richtungen hin strahlt die Tatbestandswirkung aus (näher AT § 19 III). Der Tatbestand grenzt die absolut straffreie Sphäre von der Zone des strafbaren Verhaltens ab, und er scheidet die eine Deliktsform von der anderen. Die Erneuerung des Verbots der strafbegründenden Analogie (AT § 10 II) und die Einschränkung der wahldeutigen Tatfeststellung (AT § 10 III) haben beiden Funktionen des Tatbestandes ihre frühere zentrale Bedeutung wiedergegeben. Der Aufbau der Tatbestände ist zwar, wie wir sahen, Sache des Gesetzgebers. Bei ihrer Analyse sind aber Lehre und Praxis unabhängig. Die Verschiedenheit der Theorien über den Aufbau der Straftat wirkt sich auch auf die Wertfüllung des Begriffes Tatbestand aus. Entsprechend der heute h.L. wird der Tatbestand hier nicht nur als äußeres Geschehen („rein objektiv“), sondern komplex, unter Einbeziehung der Willensrichtungen und Tendenzen des Täters begriffen. Demgemäß gliedert sich die vorsätzliche Tat stets in einen objektiven und einen subjektiven Tatbestandsteil, während der Letztere bei fahrlässigen Taten verkümmern oder gänzlich fehlen kann. Der Bedeutung des Vorsatzes entsprechend gliedert sich auch der Irrtum: der Tatbestandsirrtum, der die Kongruenz der vorsätzlichen Delikte vernichtet und entweder eine selbstständig wertbare fahrlässige Tat oder ein strafrechtlich unerhebliches Restbild übrig lässt, gehört in die Materie des Besonderen Teils, während der Verbotsirrtum als eine nur die Zurechenbarkeit interessierende grundsätzliche Frage außerhalb des Zusammenhanges bleibt und nur dank seiner Typizität bei einzelnen Straftaten (z.B. §§ 123, 240, 253, 356) Erörterung findet.
c) Primär nach der Schutzwirkung, sekundär nach der durch Kürzungs- und Vereinfachungsstreben bestimmten Gesetzestechnik entscheidet sich die Beurteilung der sog. abgewandelten Tatbestände, die entweder als eigenständige Straftaten (delicta sui generis) oder als unselbstständige tatbestandliche Abwandlungen eines Grunddeliktes auftreten, und zwar in beiden Fällen mit qualifizierender oder privilegierender Wirkung oder auch als Subsidiärtatbestand (Auffangtatbestand) konstruiert. Die Bedeutung dieser Probleme hat die Diskussion um den Aufbau der vorsätzlichen Tötungsdelikte gezeigt. In Zweifelsfällen wird hier für Unselbstständigkeit der Abwandlung und gegen Sonderdelikt zu entscheiden sein. Dies folgt aus der Konstantheit des geschützten Rechtsgutes, während die technische Formulierung der verschiedenen Tatbestände meist durch das Bestreben veranlasst ist, allen Angriffsarten gegen das (gleichbleibende) Rechtsgut zu begegnen[4].
d) Die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit (z.B. die Zahlungseinstellung in § 283 Abs. 6, die Nichterweislichkeit der Tatsache bei der üblen Nachrede in § 186) stehen zwar außerhalb des Tatbestandes, sind aber Deliktselemente. Die Abhängigkeit ihrer Struktur vom Charakter der Tat, deren Strafbarkeit sie begründen, verlangt ihre Einbeziehung in das System des Besonderen Teils.
e) Die Prozessvoraussetzung des Strafantrags gilt nur für einzelne Tatbestände und wird insoweit im Besonderen Teil erörtert.
f) Das gleiche gilt für die Strafausschließungs- und -milderungsgründe (eingehend AT § 35 V B), von denen der Besondere Teil des StGB eine erhebliche Anzahl aufweist, so den notstandsähnlichen Sonderfall des § 157, die Retorsion des § 199 und die Straflosigkeit der Schwangeren nach den §§ 218 Abs. 4 S. 2, 218b Abs. 1 S. 3. Immer mehr nehmen die Möglichkeiten des Absehens von Strafe zu[5].
g) Auch die Strafaufhebungsgründe sind im Allgemeinen Teil nicht erschöpfend geregelt. Weitergehend als in § 24 lässt der Besondere Teil einen strafbefreienden Rücktritt auch nach vollendeter Tat zu, so bei Hochverrat (§ 83a), bei unterlassener Verbrechensanzeige (§ 139), bei den Aussagedelikten (§ 158) und bei Brandstiftung (§ 306e).
h) Bei der Regelung des Strafensystems gibt der Allgemeine Teil nur Vorschriften über das Wesen der Strafen (Höchst- und Mindestmaß; Vollzugsgrundsätze) und eine, zudem nicht erschöpfende, Übersicht der verfügbaren Nebenstrafen und Nebenfolgen besonderen Charakters. Dem Besonderen Teil vorbehalten bleibt dagegen die Darlegung der auf das einzelne Delikt abgestimmten Strafrahmen sowie der Nebenstrafen und -folgen, über die der Allgemeine Teil schweigt, z.B. die Urteilsbekanntmachung (§§ 165, 200). Von den Maßregeln der Besserung und Sicherung ist nur die Führungsaufsicht bei bestimmten Tatbeständen besonders vorgesehen (u.a. §§ 245, 256, 262, 263 Abs. 6), ohne dass damit freilich ihre Anwendung auf diese Tatbestände beschränkt wäre (vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2); auch bei anderen Maßregeln liegt aber das Schwergewicht der Anwendung bei bestimmten Tatbeständen oder jedenfalls Tatbestandsgruppen (z.B. § 69: Taten bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers).
i) Die Behandlung der Konkurrenzen, grundsätzlich ein Anliegen des Allgemeinen Teils (eingehend AT §§ 54 ff.), kann gleichwohl in ihrer praktischen Auswirkung nicht vom Besonderen Teil getrennt werden. Denn für die Praktikabilität entscheidet der Gesichtspunkt, den wir als vordringlichste Aufgabe des Besonderen Teils erkannt hatten: die Lehre vom konkreten Rechtsgut als Voraussetzung einer Systematik des Strafschutzes.
Anmerkungen
In der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. (Carolina) von 1532 waren am Ende der Vorschriften über das materielle Strafrecht die Sicherungshaft bei Gefährlichkeit, die Teilnahme, der Versuch, die Schuldunfähigkeit und die Gefangenenbefreiung geregelt (Art. 176–180). Notwehr, Notwehrhilfe, Notwehrexzess und Tötung bei einer rechtmäßigen Festnahme waren dagegen im Rahmen der Tötungsdelikte geregelt (Art. 138–150).
Wolf aaO; Tiedemann aaO.
Naucke FS Welzel 770 ff.
Eingehend Nagler ZAkDR 40, 365; Maurach MatStrRReform I 249.
Dazu Schroeder Das Strafgesetzbuch als Straffreistellungsgesetzbuch, FS Eser, 2005, 181 ff.; Schroeder Absehen von der Strafe und Absehen von der Strafverfolgung, FS Fezer, 2008, 543 ff.
Einleitung › II. Die Systematik des Besonderen Teils
II. Die Systematik des Besonderen Teils
Schrifttum:
Abegg, Beiträge zur Lehre von der systematischen Anordnung des besondern Theils des deutschen Strafrechts, Archiv des Criminalrecht, NF., 1835, 367; Doerr, Die Systematik des besonderen Teils des Strafrechts, GA 64, 29; Maurach, Die Systematik des Besonderen Teils eines