Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren. Steffen Stern
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Nach Auskunft des medizinischen Sachverständigen kam als Todesursache sowohl eine „spurenarme Tötung“, ein Erstickungstod zusammen mit der Alkoholbeeinflussung oder allein die Alkoholbeeinflussung zusammen mit der Medikamentenaufnahme in Betracht. Die ersten beiden, den Angeklagten belastenden Alternativen, hat der Sachverständige als „möglich“ und „denkbar“ bezeichnet. Demgegenüber hat er es als „nicht nahe liegend“ bezeichnet, dass der Alkohol- und Medikamenteneinfluss allein ohne eine Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr tödlich gewesen sei, da bei der trinkgewohnten Geschädigten eine weit höhere als die tatsächlich festgestellte BAK nötig gewesen sei, um tödlich zu wirken. Es sei jedoch gleichwohl „nicht auszuschließen“, dass allein die Alkoholisierung im Zusammenwirken mit dem Medikamenteneinfluss eine Atemstörung verursacht und dadurch die Todesursache gesetzt habe. Diesen Ausführungen folgend ist das LG allein mit dem Hinweis darauf, es könne nicht festgestellt werden, wie lange das Anpressen des Kopfes des Opfers gegen das Kissen gedauert habe, von der letzten, fernliegenden Möglichkeit ausgegangen.
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Der BGH hat beanstandet, dass das Gericht mit der Entscheidung für die unverfänglichste Sachverhaltsvariante den Grundsatz „in dubio pro reo“ rechtsfehlerhaft angewendet habe.
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Der Zweifelssatz sei eine Entscheidungsregel, die das Tatgericht erst dann anzuwenden habe, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache zu gewinnen vermag[17]. Das LG hätte deshalb vor Anwendung des Zweifelssatzes eine umfassende Würdigung aller relevanten tatsächlichen Umstände vornehmen müssen. Zu erwägen gewesen wäre, dass das Opfer bereits längere Zeit Alkohol- und Medikamentenmissbrauch betrieben habe, ohne in lebensbedrohliche Situationen zu geraten. Dann aber widerspreche es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Geschädigte gerade im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem gegen sie gerichteten Gewaltangriff allein aufgrund des Alkohol- und Medikamenteneinflusses verstorben sein soll.
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Um die Überzeugung von der Ursächlichkeit der Tathandlung für den Erfolg zu gewinnen, sei eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich und die bloße gedankliche, abstrakt theoretische Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein könnte, dürfe die Verurteilung nicht hindern[18].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › III. Kausalität bei mehraktigem Vorgehen
III. Kausalität bei mehraktigem Vorgehen
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Hat der Täter das Opfer vor dem Todeseintritt an mehreren Tagen (mit womöglich unterschiedlicher Zielrichtung) misshandelt, bedarf die Kausalitätsfrage u.U. einer besonders sorgfältigen Betrachtung; widersprüchliche, miteinander unvereinbare Feststellungen zum Zeitpunkt, zur Entstehung und zur Todesursächlichkeit einzelner Verletzungen gefährden den Bestand des Urteils[19]. Stirbt das Opfer an den Folgen zweier Schüsse, von denen ein jeder auch allein zum Tod geführt hätte, so sind beide Schüsse ursächlich für den Erfolg (sog. alternative Kausalität). Wurde dabei nur der erste Schuss mit Tötungsvorsatz abgegeben, so tritt die im zweiten Schuss liegende fahrlässige Tötung gegenüber der vorsätzlichen Tötung als subsidiär zurück[20].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › IV. Unaufklärbarkeit bei Mittätern und Zweifelssatz
IV. Unaufklärbarkeit bei Mittätern und Zweifelssatz
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Wird das Opfer im Verlauf einer turbulenten Schlägerei von einem Beteiligten erstochen, und bleibt ungeklärt, wer das Messer (exzessiv) geführt hat und ob der jeweils Unbewaffnete billigende Kenntnis von dem Messereinsatz des anderen hatte, scheidet nach dem Zweifelssatz eine Verurteilung wegen (gemeinschaftlichen) Totschlags aus[21].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › V. Ursachenzusammenhang bei Hinzutreten Dritter
V. Ursachenzusammenhang bei Hinzutreten Dritter
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Ursächlich im strafrechtlichen Sinne (Kumulative Kausalität) bleibt das Täterhandeln selbst dann, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf den selben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist[22]. Umgekehrt können auch Verletzungshandlungen durch einen hinzutretenden Dritten, die einem vorausgegangenen todbringenden Gewaltangriff nachfolgen, für den Todeserfolg in seiner konkreten Gestalt unmittelbar ursächlich sein, wenn sie den Sterbevorgang beschleunigt haben[23].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › VI. Todesverursachung durch Unterlassen
VI. Todesverursachung durch Unterlassen
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Bei einem Tötungsdelikt durch Unterlassen muss zum Nachweis der Kausalität feststehen, dass der Tod des Opfers, so wie er konkret eingetreten ist, bei pflichtgemäßem Eingreifen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert worden wäre. Spricht hierfür nur eine bloße Wahrscheinlichkeit (Vermutung), kommt allenfalls noch ein versuchtes Tötungsdelikt in Betracht[24]. Lässt sich dies nicht feststellen, liegt keine vollendete Tat vor; möglich bleibt lediglich die Verurteilung wegen Versuchs. Maßgebend für die Einschätzung der Rettungschancen, die der Täter auch erkannt haben muss, ist der Zeitpunkt des Tötungsentschlusses[25]. Auch beim Vorwurf des Unterlassens liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang vor, wenn der Tod (vielleicht nur um Stunden) früher als im Falle eines pflichtgemäßen Einschreitens eingetreten ist[26].
Anmerkungen
BGH Urt. v. 30.08.2000 –2 StR 204/00, NStZ 2001, 29; grundlegend Urt. v. 30.03.1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195 = NStZ 1993, 386 = StV 1993, 470.
BGH Urt. v. 06.11.2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77 = NStZ 2003, 141 mwN.
BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29.