Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren. Steffen Stern
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a) Die Regelüberprüfung
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Der großen (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG) Strafvollstreckungskammer als Vollstreckungsgericht[88] obliegt es sodann (§§ 454, 462a StPO), auf Antrag oder von Amts wegen – ggf. noch vor Ablauf der Verbüßungsfrist des § 454 Abs. 1 S. 4 Nr. 2 lit. b StPO von 13 Jahren – die Voraussetzungen des § 57a StGB zu prüfen[89] und im Falle des Negativentscheids zugleich den Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu dem nach der Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren der Schuldschwereaspekt eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung verbietet, also die Vollstreckung fortzusetzen ist[90]. Im Verfahren auf Strafaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung gem. § 57a StGB ist das Beschleunigungsgebot zu beachten[91].
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Gem. § 454 Abs. 1 S. 5 StPO bedarf es vor der Aussetzung in jedem Fall der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Sozial- bzw. Gefährlichkeitsprognose.
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Bei der Bestimmung der Vollstreckungsdauer auf der Grundlage einer vollstreckungsrechtlichen Gesamtwürdigung des Unrechts- und des Schuldgehalts der mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndeten Tat nach §§ 57a, 57b StGB muss die progressive Steigerung der mit dem Fortschreiten der Zeit und dem Ansteigen des Lebensalters sich ergebenden Straf- und Vollzugswirkung hinreichend beachtet werden[92]. Es kann auch berücksichtigt werden, dass im Erkenntnisverfahren die Einbeziehung der – an sich gesamtstrafenfähigen – Strafe aus einer Vorverurteilung in eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe daran scheiterte, dass diese vor Erlass des Urteils bereits vollständig verbüßt war[93].
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Sind mehrere lebenslange Freiheitsstrafen aus verschiedenen Urteilen nacheinander zu vollstrecken und wurde die Vollstreckung der zunächst zu vollstreckenden lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 454b Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO unterbrochen, so hat das Gericht die Entscheidungen nach § 57a StGB für beide Strafen gleichzeitig zu treffen, und zwar aufgrund einer Gesamtschau, bei der für beide Strafen die wegen der besonderen Schwere der Schuld gebotene Vollstreckungsdauer zu bestimmen und die Dauer der Vollstreckung vor der Unterbrechung zu berücksichtigen ist[94].
b) Die Altfälle
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In den sog. Altfällen, also bei Strafurteilen, die vor dem Beschluss des BVerfG vom 03.06.1992 ergangen sind und deshalb im Hinblick auf die „besondere Schwere“ der Schuld noch keine Feststellungen enthalten, darf das Vollstreckungsgericht im Nachhinein die Aussetzung unter Berufung auf die besondere Schuldschwere ablehnen, muss sich jedoch zur Begründung strikt an die tatsächlichen Feststellungen des erkennenden Gerichts halten[95]. Es darf sogar (auf Antrag des Verurteilten) eine vorgezogene isolierte Entscheidung zur Feststellung bzw. Verneinung der besonderen Schuldschwere treffen[96]. Ob es auch zugunsten des Verurteilten vom Grundurteil abweichende Feststellungen treffen kann, ist umstritten[97].
Anmerkungen
StrVerfStat 2010, 2010, S. 154/155.
Singe, Grundrechte-Report 1998, S. 38; 1. PSB, S. 378.
StatBA, Justiz auf einen Blick, Ausgabe 2011, S. 32; StrVollzStat 2011, S. 12.
Überblick bei Laubenthal, Lebenslange Freiheitsstrafe, 1989.
Zum Ganzen vgl. Bock/Mährlein, ZRP 1997, 376 ff.; Weber, Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, 1999; Köhne, JR 2003, 5; Baltzer, StV 1989, 42.
BVerfG Beschl. v. 08.11.2006 – 2 BvR 578/02 und 2 BvR 796/02, BVerfGE 117, 71 = NJW 2007, 1933.
Vgl. zusammenfassend Weber, Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, 1999, S. 88 ff.
BVerfG Beschl. v. 08.11.2006 – 2 BvR 578/02 und 2 BvR 796/02, BVerfGE 117, 71 = NJW 2007, 1933.
Kury et al., Kriminalpräventive Wirksamkeit härterer Sanktionen, ZStW 2009, Bd. 121, 131.
Zur insoweit fehlenden Zuständigkeit des Schwurgerichts Rieß, NStZ 2008, 546.
Vgl. BVerfG Urt. v. 21.06.1977 – 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187 = NJW 1977, 1525.
BGH Beschl. v. 19.05.1981 – GSSt 1/81, BGHSt 30, 105 = NStZ 1981, 344; Erg. Rn. 502.
Vgl. BGH Urt. v. 01.07.2004 – 3 StR 107/04, NStZ-RR 2004, 294.
BGH Urt. v. 16.05.1990 – 2 StR 143/90, NStZ 1990, 490.