Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
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![Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt Praxis der Strafverteidigung](/cover_pre1171410.jpg)
Hinweis
Nach Ansicht des AG München[3] erstreckt sich Art. 31 Abs. 1 GK auch auf die Mittel der illegalen Einreise – z.B. die Verwendung gefälschter Pässe –; das OLG Bamberg[4] folgt dem, schränkt die Anwendung allerdings dahingehend ein, dass die Straffreiheit nur dann eintritt, wenn die Vorlage des Passes im Inland zur Geltendmachung des Asylanspruchs überhaupt erforderlich war. Ungeachtet dieser Einschränkung ist die Vorschrift stets zu prüfen, wenn der Flüchtling anlässlich seiner Einreise weitere Straftaten begeht, wobei die Inanspruchnahme von Schleuserdiensten die Anwendung der Norm nicht grundsätzlich ausschließt[5]; da für die Strafbarkeit des Schleusers eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat genügt (vgl. unten Rn. 211), kommt es für die Beurteilung dessen Strafbarkeit wesentlich darauf an, ob Art. 31 GK als Rechtfertigungs- oder lediglich Strafaufhebungsgrund qualifiziert wird. Der BGH[6] geht – ohne Begründung – von letzterem aus, was in entsprechenden Konstellationen zur Strafbarkeit des Schleusers führt. Gegen diese Betrachtung spricht der zumindest notstandsähnliche Charakter des Handels sowie die grundrechtlich geschützten Position des Flüchtlings (Art. 16a GG)[7]; auch die Frage nach dem Sinn und Zweck des Strafens darf in diesem Zusammenhang gestellt werden, muss man sich doch vergegenwärtigen das der „Schleuser“ in diesem Falle lediglich hilft dem Flüchtling seine aus Art. 31 GK garantierten Rechte wahrzunehmen.
Wird der neueren Rechtsprechung gefolgt, wonach die Straffreiheit für Begleitdelikte nur eintritt, wenn die Vorlage des Passes im Inland zur Geltendmachung des Asylanspruchs erforderlich war, kommt ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht, wenn der Flüchtling von der Notwendigkeit eines Passes ausging; ein Indiz dafür kann insbesondere die Tatsache darstellen, dass der Flüchtling einen nicht unerheblichen Betrag aufwendet, um gefälschte Passpapiere zu erhalten.[8]
Anmerkungen
OLG Celle NVwZ 1987, 533; Erbs/Kohlhaas-Senge § 95 AufenthG Rn. 66 m.w.N.; a.A. Bergmann/Dienelt-Winkelmann § 95 AufenthG Rn. 14.
OLG Stuttgart StV 2011, 164; AG Frankfurt/M StV 2015, 706/707.
AG München StV 1988, 306/307; so auch AG Frankfurt StV 1988, 306; a.A. Erbs/Kohlhaas-Senge § 95 AufenthG Rn. 68 m.w.N.
OLG Bamberg NJW-Spezial 2014, 314.
OLG Stuttgart StV 2011, 164.
BGH NStZ-RR 2015, 184, 186; BGH StV 2016, 107, 109.
Ausführlich El-Ghazi/Fischer-Lescano StV 2015, 386, 388 ff.
El-Ghazi/Fischer-Lescano StV 2015, 386, 391.
b) Verbotsirrtum (§ 17 StGB)
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Die Neigung deutscher Strafverfolgungsorgane, einen Verbotsirrtum als bedeutsam anzusehen, ist in aller Regel gering. Wird dieser nicht von vornherein als indiskutabel abgelehnt, wird dem Verteidiger spätestens im Rahmen der Vermeidbarkeit entgegengehalten, dass es sein Mandant schuldhaft versäumt habe, entsprechenden Rechtsrat einzuholen. Dieses Argument, hinter dem sich nicht zuletzt generalpräventive Erwägungen verbergen,[1] greift jedoch bei ausländischen Beschuldigten deutlich zu kurz. Normunkenntnis ist gerade bei Ausländern weit verbreitet. In hohem Maße plausibel wird dies, wenn man – in Deutschland weitestgehend unbekannte – Verbotsnormen anderer Staaten heranzieht. So ist beispielsweise die Ausübung der Prostitution in den meisten Bundesstaaten der USA immer noch unter Strafe gestellt; in einigen arabischen Ländern wird der Alkoholkonsum hart bestraft; per Anhalter fahren – sog. hitchhiking – ist in weiten Teilen Kanadas nicht erlaubt; gleiches gilt für das „Nacktbaden“, das in vielen Ländern Europas (immer noch) verboten ist;[2] noch weitergehenden Einschränkungen unterliegen schließlich (deutsche) Touristen in den Vereinigten Staaten, wo bereits das Umziehen in der Öffentlichkeit als Erregung öffentlichen Ärgernisses angesehen wird. Die Reihe dieser Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen; zugleich belegt sie, dass gerade „Ausländern“ Normunkenntnis alles andere als fremd ist. Obwohl die Erwartung einer reichen Kasuistik beim Blick in die Kommentarliteratur enttäuscht wird, sollte sich der Verteidiger nicht scheuen, mangelnde Normkenntnis geltend zu machen. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum wird insbesondere bei kurzer Aufenthaltsdauer nahe liegen.[3]
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Der Verbotsirrtum kann aus der (völligen) Unkenntnis einer bestehenden Norm resultieren. So billigte z.B. das LG Mannheim[4] einem Pakistani im Falle der unterlassenen Hilfeleistung einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu, da es im pakistanischen Recht an einem entsprechenden Straftatbestand fehle.
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Wesentlich häufiger wird jedoch der umgekehrte Fall gegeben sein, wonach der Ausländer an die Existenz eines im Heimatstaat geltenden Rechtfertigungsgrundes glaubt, dem die deutsche Rechtsordnung die Anerkennung verweigert – sog. „Erlaubnisirrtum“.
So steht z.B. nach türkischem Zivilrecht die Wahl der Ehewohnung ausschließlich dem Ehemann zu, so dass es – nach türkischem Recht – keine Freiheitsberaubung darstellt, wenn die Ehefrau gegen ihren Willen und unter Gewaltanwendung in die Wohnung des Ehemanns verbracht wird, um die von ihr verweigerte eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Dem folgend lehnte das AG Grevenbroich[5] die Eröffnung des Hauptverfahrens ab.[6]
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Beruft sich der Mandant auf abweichende ausländische Rechtsvorschriften, sollte eine entsprechende Rechtsauskunft – z.B. beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht[7] – eingeholt werden; insoweit ist auch zu bedenken, dass abweichende Wertvorstellungen im Rahmen der Strafzumessung Bedeutung erlangen können (vgl. Rn. 244).
Anmerkungen
Laubenthal/Baier