Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
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Im Schuldrecht versuchte man spätestens in klassischer Zeit, die Obligationen systematisch nach ihren Entstehungsgründen einzuteilen. Bei Gaius heißt es im 3. Buch seiner Institutionen:
Inst. 3:
88. Nunc transeamus ad obligationes, quarum summa divisio in duas species diducitur: omnis enim obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto.
182. Transeamus nunc ad obligationes, quae ex delicto nascuntur, veluti si quis furtum fecerit, bona rapuerit, damnum dederit, iniuriam commiserit. quarum omnium rerum uno genere consistit obligatio, cum ex contractu obligationes in IIII genera diducantur, sicut supra exposuimus.
Übersetzung:
88. Nun wollen wir zu den schuldrechtlichen Verbindlichkeiten übergehen, deren Anzahl in zwei Arten eingeteilt wird. Jegliche Obligation entsteht nämlich aus Kontrakt oder aus Delikt.
182. Wir wollen nun zu den Obligationen übergehen, die aus Delikt entstehen, wie wenn jemand einen Diebstahl verübt, Güter raubt, Schaden anrichtet, eine Persönlichkeitsverletzung begeht. Bei allen diesen Dingen besteht eine Obligation einer Art, während die Obligationen aus Kontrakt in vier Arten eingeteilt werden, wie wir oben auseinandergesetzt haben.
Heute verstehen wir Kontrakt im Sinne von Vertrag. Die Obligationen kann man aber nur grob in solche aus Vertrag und solche aus Delikt einteilen. Innerhalb des BGB unterscheiden wir zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen und zählen zu denen aus Gesetz neben dem Delikt auch die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio). Gerade diese beiden fehlen aber im Schema der Gaius-Institutionen. Sie hätten darin nur einen Platz, wenn man annähme, Gaius habe unter contractus jeden rechtmäßigen Bindungsakt verstanden, im Gegensatz zum rechtswidrigen Delikt. Das passt aber nicht zu einer anderen, möglicherweise überarbeiteten Gaius-Stelle, die den Institutionen auch vom Zusammenhang her sehr ähnlich ist:
Dig. 44, 7, 1 pr.:
Gaius libro secundo aureorum. Obligationes aut ex contractu nascuntur aut ex maleficio aut proprio quodam iure ex variis causarum figuris.
Übersetzung:
Gaius im zweiten Buch der „Goldenen“: Obligationen entstehen entweder aus Kontrakt oder aus Untat oder gewissermaßen durch das Recht selbst aus verschiedenen Figuren von Rechtsgründen.
Unter den verschiedenen, sonstigen Gründen nennt der Verfasser der „goldenen Regeln“[21] denn auch die ungerechtfertigte Bereicherung und die Geschäftsführung ohne Auftrag.[22] In den Gaius-Institutionen hingegen werden sie in der folgenden weiteren Unterteilung nicht explizit in den Zusammenhang mit dem Schema der kontraktlichen Obligationen gebracht.
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In Inst. 3, 89 unterteilt Gaius die kontraktlichen Obligationen weiter:
Et prius videamus de his, quae ex contractu nascuntur. harum autem quattuor genera sunt: aut enim re contrahitur obligatio aut verbis aut litteris aut consensu.
Übersetzung:
Und zuerst wollen wir die betrachten, die aus Kontrakt entstehen. Deren Arten aber sind vier: Entweder nämlich durch (Hingabe einer) Sache wird die Obligation begründet oder Worte oder Schrift oder Konsens.
Auf diese Einteilung wurde hier schon eingegangen (Rn. 132). Für die Realobligation gibt Gaius sodann in Inst. 3, 90 das Beispiel Darlehen und fährt fort:
Gaius Inst. 3, 91:
Is quoque, qui non debitum accepit ab eo, qui per errorem solvit, re obligatur; nam proinde ei condici potest si paret eum dare oportere, ac si mutuum accepisset. unde quidam putant pupillum aut mulierem, cui sine tutoris auctoritate non debitum per errorem datum est, non teneri condictione, non magis quam mutui datione. sed haec species obligationis non videtur ex contractu consistere, quia is, qui solvendi animo dat, magis distrahere vult negotium quam contrahere.
Übersetzung:
Auch derjenige, der etwas nicht Geschuldetes von dem annimmt, der aufgrund Irrtums leistet, wird durch [Hingabe einer] Sache verpflichtet. Denn darauf kann man von dem kondizieren [nach der Formel] „wenn es sich herausstellt, dass er geben muss“, als wenn er ein Darlehen angenommen hätte. Daher glauben manche, dass ein Minderjähriger oder eine Frau, dem bzw. der ohne Genehmigung des Vormunds etwas nicht Geschuldetes irrtümlich gegeben worden ist, nicht mit der Kondiktionsklage haften, nicht mehr als bei der Hingabe eines Darlehens. Aber diese Art von Obligation erscheint nicht aus Kontrakt herzurühren, weil der, welcher mit der Absicht zu leisten gibt, eher ein Geschäft lösen als begründen will.
Über die Auslegung dieser Stelle gibt es bis heute viel Streit bzw. Zweifel an ihrer Echtheit. Wenn der Text echt ist, dann sah Gaius die ungerechtfertigte Bereicherung tatsächlich nicht als contractus an und die Dreiteilung in Dig. 44, 7, 1 erscheint jedenfalls sachlich richtig, die Zweiteilung in Gai. Inst. 3, 88 dementsprechend unvollständig.
In Gaius Inst. 3, 91 wird das Darlehen verglichen mit der Zahlung einer Nichtschuld (solutio indebiti), dem wichtigsten Grund einer ungerechtfertigten Bereicherung, die mit condictio zurückverlangt wurde (Rn. 127, vgl. Dig. 12, 6). Danach folgt die Darstellung eines Streites unter den klassischen Juristen („quidam putant“). Ob die condictio generell einen – wirksamen – rechtsgeschäftlichen Tatbestand (negotium) voraussetzte, ist bis heute umstritten und wird u. a. an dieser Stelle diskutiert, soll hier aber nicht vertieft werden. Möglicherweise ging es Gaius Inst. 3, 91 nämlich gar nicht darum, sondern – was viel besser in den Zusammenhang des Vorhergehenden passt – darum, ob die Zahlung einer Nichtschuld ein contractus ist bzw. wie sich diese in die Einteilung der Obligationen einfügt.
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Vorsicht ist geboten bei der Herleitung allgemeiner Regeln des Schuldrechts aus den Quellen (Rn. 171). Die klassischen Juristen haben kein „allgemeines Schuldrecht“ entwickelt, ebenso wenig einen „Allgemeinen Teil“ im Sinne desjenigen des BGB; dieser ist eine Erfindung der deutschen Pandektistik (Rn. 738). Insofern sind noch heute manche Lehrbücher des römischen Privatrechts recht pandektistisch (also letztlich ahistorisch).
Aussagen über die Folgen von sog. Leistungsstörungen werden immer (nur) für konkrete Kontraktstypen gemacht, vor allem für die Stipulation, etwa über die Unwirksamkeit der Obligation wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit, beispielsweise das Versprechen der Leistung eines in Wahrheit verstorbenen Sklaven oder eines Freien;[23] wegen verschuldeter nachträglicher Unmöglichkeit und wegen Verzuges (mora). Eine Übertragung auf andere Vertragstypen (Analogie) ist nicht ohne weiteres möglich.
Als Verschuldensarten sind culpa (Fahrlässigkeit) und dolus (Vorsatz) bekannt. Daneben spielt bei manchen Vertragsarten die custodia