Rechtsgeschichte. Susanne Hähnchen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Rechtsgeschichte - Susanne Hähnchen страница 50
167
Als besonders origineller Kopf unter den römischen Juristen gilt der Prokulianer Publius Iuventius Celsus (Celsus filius). Von ihm stammt die Wendung scire leges non haec est verba eorum tenere, sed vim ac potestatem (Dig. 1, 3, 17 – die Gesetze kennen bedeutet nicht, dass man ihren Wortlaut behält, sondern ihre Kraft und Macht, d.h. ihre Bedeutung). Überhaupt gilt Celsus als der Meister griffiger Formulierungen, wie etwa der Grundsatz impossibilium nulla obligatio est (Unmögliches kann nicht Gegenstand einer Verbindlichkeit sein, d.h. muss nicht geleistet werden) zeigt.[13]
Auf Celsus geht die Zerlegung von Zuwendungen in sog. Dreiecksverhältnissen in zwei Leistungen zurück, heute feste Grundlage des Anweisungs- und Bereicherungsrechts mit Ausstrahlungen bis in das Sachenrecht (Durchgangserwerb beim sog. Streckengeschäft). Ein einfaches modernes Beispiel zur Illustration: Wenn ich meine Bank anweise, meinem Gläubiger Geld zu überweisen, und die Bank tut dies, so bewirkt die Zahlung der Bank an den Gläubiger zugleich eine Leistung der Bank an ihren Kunden (mich) sowie eine Leistung des Kunden an den Gläubiger. Celsus hat diesen Vorgang soweit ersichtlich als erster dahin erklärt, man müsse ihn so auffassen, als sei das Geld vom Angewiesenen (Bank) „durch“ den Anweisenden (Kunden) an den Empfänger (Gläubiger) gelangt (Celsinische Durchgangstheorie; vgl. etwa Dig. 24, 1, 3, 12).
Persönlich war Celsus für seine ungehaltenen Antworten bekannt („Celsinische Grobheiten“):
Dig. 28, 1, 27:
Celsus libro quinto decimo digestorum: Domitius Labeo Celso suo salutem. Quaero, an testium numero habendus sit is, qui, cum rogatus est ad testamentum scribendum, idem quoque cum tabulas scripsisset, signaverit. Iuventius Celsus Labeoni suo salutem. Non intellego quid sit, de quo me consulueris, aut valide stulta est consultatio tua: plus enim quam ridiculum est dubitare, an aliquis iure testis adhibitus sit, quoniam idem et tabulas testamenti scripserit.
Übersetzung:
Celsus im 15. Buch seiner Digesten: Domitius Labeo grüßt seinen Celsus. Ich frage, ob unter die Zahl der Zeugen derjenige zu rechnen ist, der, wenn er aufgefordert wird, das Testament zu schreiben, dann auch, als er das Testament geschrieben hatte, unterzeichnete. Iuventius Celsus grüßt seinen Labeo. Ich verstehe nicht, was es sein soll, worüber du mich um Rat fragst, oder deine Anfrage ist sehr töricht. Es ist nämlich mehr als lächerlich zu zweifeln, ob jemand zu Recht als Zeuge zugegen war, weil er selbst das Testament geschrieben hatte.
Wir haben in diesem Fragment Anfrage und (unfreundliche) Antwort überliefert. Die Anfrage des Domitius Labeo war gar nicht so dumm. Sieben Zeugen sollten die Testamentserrichtung bekunden, und da kann man durchaus zweifeln, ob jemand als neutraler Zeuge geeignet ist, der an der Errichtung selbst mitgewirkt hat. Historisch gesehen hatte Celsus allerdings recht. Das alte Libraltestament war nämlich eine mancipatio, mit der der Erblasser sein Vermögen (familia pecuniave) an einen Treuhänder übereignete, damit dieser es nach dem Tode des Erblassers nach dessen Anordnungen verteilte (Rn. 66, 114). Für die mancipatio waren jedoch nur fünf Zeugen nötig. Der sechste und der siebente Beteiligte bei der Testamentserrichtung sind der frühere Käufer (Treuhänder) sowie der einstige Waagehalter. Und wenn davon einer schreibt, schadet es wohl nichts.
168
Sextus Pomponius, der in der Mitte des 2. Jahrhunderts lebte, war ein fleißiger, etwas lehrhafter Sammler, von dem die einzige erhaltene, rechtshistorische Darstellung aus klassischer Zeit stammt (Dig. 1, 2, 2).
Von Gaius, gestorben nicht vor 178 n. Chr., kennen wir nicht einmal den vollen Namen. Auch sonst gibt seine Person viele Rätsel auf.[14] Die juristischen Kollegen ignorierten ihn, d.h. sie zitierten ihn in ihren Werken nicht, was sie sonst ausgiebig untereinander taten. Er gehörte, seinen Ansichten nach Sabinianer, offenbar nicht zu den vornehmen Juristen. Aufgrund seiner Werke wird vermutet, er habe nicht in Rom, sondern im Osten des Reiches gelebt. Von ihm haben wir die einzige fast vollständig überlieferte klassische Schrift, die institutiones.[15] Dabei handelt es sich um ein eingängig geschriebenes Anfängerlehrbuch. Der Historiker Barthold Georg Niebuhr entdeckte es 1816 in Verona auf einem sog. Palimpsest (Rn. 15) unter einem Text des Hl. Hieronymus. Der Gaius-Text enthält zuweilen Ungereimtheiten, und man hat daher bezweifelt, dass uns ein klassisches Original vorliegt. Die Handschrift stammt jedenfalls erst aus dem 5. Jahrhundert. Man hat vermutet, es handele sich um einen unfertigen Entwurf oder die Nachschrift eines Studenten, ein Kollegheft. Spätere Urkundenfunde bestätigen indessen, dass die Veronenser Handschrift jedenfalls einen in der Spätantike verbreiteten Standardtext wiedergibt. Die in den Digesten Justinians zitierten res cottidianae oder aureae (tägliche oder goldene Angelegenheiten) des Gaius weisen nachklassische Einflüsse auf, sodass wir hier offenbar eine spätere Überarbeitung vor uns haben.
Gaius stellte in seinem Lehrbuch den zivilrechtlichen Stoff nach dem sog. Institutionensystem in 4 Büchern dar. Dieses didaktische System hat griechische Wurzeln. Für das römische Recht ist es uns vor allem eben durch Gaius überliefert. Die Grobeinteilung bilden die wichtigsten rechtlichen Kategorien. Der Stoff wird dann (ungleichgewichtig) zugeordnet bzw. eingebaut. Konkret handelt es sich um folgende Gliederung: 1. Buch: Über das Recht im Allgemeinen und persona (Personen, mit Familienrecht); 2. Buch: res (Sachen, incl. Erbrecht); 3. Buch: obligationes (Schuldverhältnisse); 4. Buch: actiones (Klagen). Noch im Naturrecht wurde dieses System für Kodifikationen verwendet (Rn. 523, 542), aber auch weiterentwickelt – ebenso in der Pandektistik (Rn. 743), wobei jedoch die actio (Klage) in das zunehmend getrennt behandelte Prozessrecht wanderte.
169
Die Spätklassiker versuchten, die vorhandene große Stoffmenge in den Griff zu bekommen. Das eigenständige Argumentieren ging zu Gunsten des Sammelns, Zitierens und Systematisierens zurück.
Aemilius Papinian(us) war Freund und Schwager des Kaisers Septimius Severus, adsessor (Beisitzer) des praefectus praetorio, Vorsteher der Kanzlei a libellis (Rn. 158) und ab 203 n. Chr. selbst praefectus praetorio. In der Nachklassik hatte er den Ruhm, der größte aller römischen Juristen gewesen zu sein. Das Zitiergesetz von 426 n. Chr. (Rn. 211) legte fest, dass bei Stimmengleichheit die Meinung Papinians ausschlaggebend sein sollte. Als Ruhmesblatt Papinians (so Ernst Rabel) wird die actio ad exemplum institutoriae actionis bezeichnet, die gegen einen freien Procurator gewährt und damit wegweisend für die Entwicklung der unmittelbaren (direkten) Stellvertretung wurde (vgl. Rn. 133 f und Rn. 210).
Severus hatte vor seinem Tode Papinian seine Söhne Caracalla und Geta anvertraut. Doch die Versuche Papinians, Frieden zwischen den Brüdern zu stiften, scheiterten. Im Jahre 212 n. Chr. ließ schließlich Caracalla Papinian hinrichten, weil dieser den Mord Caracallas an seinem Bruder und Mitkaiser Geta vor dem Volk und dem Senat nicht juristisch