Handbuch Arzthaftungsrecht. Alexander Raleigh Walter

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Handbuch Arzthaftungsrecht - Alexander Raleigh Walter

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      Dem Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens kommt nach ständiger Judikatur eine Doppelfunktion zu: Der Geschädigte soll für außerhalb der Vermögenssphäre liegende Unbill, etwa für körperliche Schmerzen oder seelische Leiden, für die Einbuße an physischen oder psychischen Funktionen trotz der Inkommensurabilität dieser Nachteile mit Geld einen Ersatz erhalten. Neben dieser vorwiegenden Ausgleichsfunktion steht vornehmlich bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit die ergänzende Genugtuungsfunktion, nach welcher der Schädiger den Verletzten durch Sühnung der Tat zu besänftigen hat.[193] Der Schmerzensgeldanspruch geht nicht auf den Sozialversicherungsträger über, ist jedoch übertrag- und vererbbar. Die Reform des Schadensrechts hat daran nichts geändert.[194] Insbesondere ist an der bisherigen Spruchpraxis[195] zur notwendigen Überschreitung der Bagatellgrenze festzuhalten, unterhalb derer ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu verneinen ist und deren Umfang die Gerichte auch zukünftig anhand der Formulierung „billige Entschädigung“ festzusetzen haben.[196] Der Anspruch umfasst auch Schmerzen, die im weiteren Verlauf der durch den schuldhaften Arztfehler ausgelösten Verletzungen auftreten.[197]

      103

      Die Schmerzensgeldbeträge unterscheiden sich je nach Umfang der Verletzung und können sechsstellige Summen erreichen.[198] Bei schweren Dauerschäden kommt neben dem Kapitalbetrag aber auch eine Rente in Betracht.[199] Das gilt insbesondere auch beim totalen Ausfall aller geistigen Fähigkeiten und Sinnesempfindungen, obwohl insoweit beide Funktionen des Schmerzensgeldes nicht greifen.[200] Diese Rechtsprechung dürfte durch das neue Hinterbliebenengeld nicht obsolet werden, obwohl das sachgerecht wäre[201].

      104

      Von größter Bedeutung für das Arzthaftungsrecht wird das sogenannte Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB sein. Ein Hinterbliebener, „der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand“, kann für das ihm „zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld“ verlangen. „Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“ Für weitere nahestehende Personen ist das Näheverhältnis zu beweisen. Zu den Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang sei auf § 8 TPG verwiesen. Der Umfang soll sich an der Rechtsprechung zu den Schockschäden orientieren. Ein gesundheitlicher Schaden beim Anspruchsberechtigten ist allerdings nicht Voraussetzung[202].

      105

      Das oben genannte Prinzip der Totalreparation kann durch die Norm des § 254 BGB durchbrochen werden und erlaubt eine Schadensabwägung. Die Haftung des Arztes kann sich im Einzelfall mindern oder ganz entfallen, wenn den Patienten an der Entstehung oder am Umfang des Schadens ein Mitverschulden trifft.[203] „Ein solches Mitverschulden liegt vor, wenn der Patient diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.“[204] Ein Mitverschulden bei der Schadensentstehung gemäß § 254 Abs. 1 BGB kommt beispielsweise in Betracht, wenn der Patient es unterlassen hat, den Arzt auf besondere, für die Behandlung wesentliche und ihm bekannte Umstände hinzuweisen und diese für den Schaden ursächlich sind[205], der Patient den ärztlichen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Kontrolluntersuchung nicht beachtet[206], die ärztlichen Therapie- und Kontrollanweisungen nicht befolgt[207] oder die ihm obliegende Mitwirkung an den Heilungsbemühungen unterlässt[208].

      106

      Die bisherige außerordentlich zurückhaltende Rechtsprechung bei der Feststellung eines Mitverschuldens des Patienten, weil die Expertenkenntnis der Ärzte überwiege[209], scheint im Rückzug begriffen. Das OLG Frankfurt entschied, dass die Arztseite bei absprachewidriger Entfernung aus Krankenhaus nicht haftet[210].

C. Sonstige Anspruchsgrundlagen im Überblick

      107

      Im Überblick und ohne Berücksichtigung der vielfältigen Einzelprobleme sollen noch die spezialgesetzlichen Regelungen des AMG, MPG, und des OEG vorgestellt werden.

      108

      In Bezug auf die Arznei- und die Medizinproduktehaftung sei dabei explizit darauf hingewiesen, dass es sich um eine Haftung für fehlerhafte Produkte handelt. Diese Art der Produkthaftung, für die der pharmazeutische Unternehmer bzw. der Hersteller des Medizinproduktes, einzustehen hat, ist von der Haftung des Arztes zu unterscheiden, der das Arzneimittel oder das Medizinprodukt anwendet. Der Arzt haftet, ohne das weitere Umstände i.S. eines eigenen Fehlverhaltens hinzutreten, nicht für die Anwendung des fehlerhaften Arzneimittels oder Medizinproduktes. Haftet der Arzt selbst, so kommt immer eine gesamtschuldnerische Haftung mit dem Arzneimittelhersteller oder dem Medizinproduktehersteller in Betracht[211].

      109

      Vgl. hierzu auch 1. Teil, 3. Kap., Rn. 498.

      110

      Neben einer zivilrechtlichen Haftung[212] kommt eine Haftung für Schäden im Kontext mit der Anwendung von Arzneimitteln aufgrund der des § 84 AMG in Betracht. In § 84 Abs. 1 S. 1 AMG werden dabei die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers aufgestellt. Abs. 1 S. 2 stellt in seinen Nummern 1 und 2 weitere zusätzliche – zueinander alternative – Haftungsvoraussetzungen auf. Durch den Abs. 2 wird dem Anspruchsteller der Kausalitätsnachweis, durch die Schaffung einer Kausalitätsvermutung, deren Voraussetzungen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis formuliert wurden, erleichtert. Nach Abs. 3 ist ein Ausschluss der Haftung für die Fälle vorgesehen, in denen die schädliche Wirkung des betreffenden Arzneimittels ihre Ursache nicht im Bereich der Herstellung bzw. Entwicklung hatte.[213]

      111

      Haftungsobjekt des § 84 AMG sind Humanarzneimittel, welche einer inländischen Zulassungspflicht unterliegen (bzw. von dieser freigestellt wurden), deren Abgabeort im Inland liegt und die inländisch in Verkehr gebracht wurden.

      112

      

      Unbedingte Voraussetzung für die Haftung nach § 84 AMG ist die Abgabe des Arzneimittels an einen Verbraucher. Darunter wird derjenige verstanden, an den das Arzneimittel in der Apotheke oder Abgabestelle zur Anwendung ausgehändigt wird. Darauf, dass der das Arzneimittel entgegennehmende Verbraucher dieses selbst anwendet, kommt es nicht an. Verbraucher sind somit auch diejenigen Personen, die das Arzneimittel für einen anderen erwerben.[214]

      113

      Infolge der Anwendung des Arzneimittels (Kausalitätserfordernis[215] i.S. einer generellen und konkreten Schadenseignung[216]) muss es zu einer Rechtsgutsverletzung der abschließend[217] aufgezählten Rechtsgüter Leben, Körper oder Gesundheit gekommen sein. Zudem muss die Gesundheitsbeeinträchtigung gerade auf der „Fehlerhaftigkeit“ des Arzneimittels beruhen, wobei sich diese Fehlerhaftigkeit aus § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AMG ergibt.[218]

      114

      Die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG stellt ein verschachteltes Regel-Ausnahme-System dar: Nach Abs. 2 S. 1 muss der Geschädigte darlegen und beweisen, dass das Arzneimittel nach

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