Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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das den Wert und den Eigenstand der Grundrechte betont und die hiervon betroffenen Politikbereiche dem politischen Diskurs entzieht.[111] Damit stellen sich im Verhältnis des EuGH zu den rechtssetzenden Organen der Union Fragen, die aus der nationalen Konstitutionalisierungsdebatte vertraut sind. Die stärkere Akzentuierung der Grundrechtecharta hat das Potenzial, die ohnehin prekäre Stellung des Europäischen Parlaments nachhaltig zu schwächen. Dass das BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung die Grundrechtecharta im Rahmen der Verfassungsbeschwerde als Prüfungsmaßstab heranzieht,[112] macht die Dinge nicht einfacher.[113]

      27

      Völkerrecht

      Kontrovers beurteilt wird, inwieweit sich das Paradigma der Konstitutionalisierung auch als Beschreibungs- und Deutungsmuster für die jüngere Völkerrechtsentwicklung anbietet.[114] Die Frage kann nur bejaht werden, wenn der Begriff der Bedeutungselemente entkleidet wird, die im europäischen und innerstaatlichen Kontext seinen besonderen Erklärungswert ausmachen. So fehlt es gegenwärtig ungeachtet der Existenz von ius cogens und erga omnes Normen an einer klaren Hierarchie der völkerrechtlichen Rechtsquellen,[115] ebenso wie an einem umfassenden gerichtsförmigen Modus der Streitbeilegung und institutionalisierten Durchsetzungsmechanismen.[116] Unverkennbar ist gleichwohl, dass sich in einzelnen Teilbereichen des Völkerrechts Entwicklungen vollzogen haben, die zumindest als Vorboten einer sich erst in weiter Zukunft abzeichnenden Konstitutionalisierung gedeutet werden können. Ein besonderes Augenmerk ist hier auf die WTO als zentraler Eckpfeiler der Weltwirtschaftsordnung zu richten.[117]

      28

      Aufwertung des Richterrechts

      Ungeachtet der Machtverschiebungen, die innerhalb der Judikative mit der Konstitutionalisierung verbunden sind,[118] hat das durch die Fachgerichtsbarkeit gesetzte Richterrecht im Verhältnis zum einfachen Gesetzesrecht an Boden gewonnen. In einer sich dynamisch entwickelnden, hochgradig ökonomisierten und digitalisierten Lebenswelt muss es dem Gesetzgeber schwerfallen, mit den immer kürzer werdenden Innovationszyklen Schritt zu halten. Das hat eine Aufwertung des Richterrechts zur Folge, das die Rechtsfragen beantworten muss, die der einfache Gesetzgeber nicht vorhersehen konnte oder auch nicht regeln wollte.

      29

      Europäisierung als Verrechtlichungsschub des nationalen Rechts

      Wie vorstehend skizziert wurde, haben sich das Völkerrecht und das Unionsrecht verdichtet. Gleiches gilt für die Ebene des einfachen Gesetzesrechts. Auch hieran hat die Europäisierung ihren Anteil, soweit nationales Recht nicht abgelöst, sondern lediglich harmonisiert worden ist. Mit dem Ausbau der Lehre vom Gesetzesvorbehalt ist die Erhöhung der Normdichte auch durch das BVerfG vorangetrieben worden.[119] Dies zeigt sich in besonderer Weise im Umgang mit dem für eine Informationsgesellschaft zentralen Rohstoff der Daten.[120] Ein Verrechtlichungsschub ist aber auch in der Leistungsverwaltung zu verzeichnen.[121] Gleiches gilt für das Verfahrensrecht, was auf das Konzept des Grundrechtsschutzes durch Verfahren zurückführt.[122]

      30

      Konkordanzmuster zur Auflösung von Normkollisionen

      Die Hochzonung von Entscheidungen auf die völkerrechtliche, die unionale und die verfassungsrechtliche Ebene und die Verdichtung der Rechtskreise bedingen eine Zunahme von Normkollisionen. Das geläufige Bild der Normpyramide darf nicht den Blick darauf verstellen, dass hinter den verschiedenen Rechtskreisen unterschiedliche Akteure stehen, die in ihren eigenen Rationalitäten verhaftet sind. Dies hat auch dort, wo die Rangordnung unbestritten ist, Verzögerungen und Anpassungsprobleme zur Folge. Der Rechtsquellenlehre wächst hier die zentrale Aufgabe zu, Konkordanzmuster zu entwickeln, wie Widersprüche zwischen den Normebenen aufgelöst werden können. Das tradierte Muster des Geltungsverlustes hat sich dabei als unterkomplex erwiesen und differenzierteren Lösungen Platz gemacht.[123]

      31

      Unbedingter Geltungsanspruch der klassischen Rechtsquellen

      Mit den Rechtsnormen, die Regeln zum Gegenstand haben und in den klassischen Verfahren förmlicher Rechtserzeugung gesetzt werden, verbindet sich ein strikter Geltungsanspruch (z. B. Gesetz, Rechtsverordnung, delegierte Rechtssetzung gem. Art. 290 AEUV).[124] Dieser kann allein unter Hinweis auf entgegenstehende Vorgaben des höherrangigen Rechts aufgehoben bzw. ausgesetzt werden (Geltungs- oder Anwendungsvorrang).[125] Abweichendes gilt für Prinzipien,[126] aber auch für weitere Rechtsquellen, die erst in jüngerer Zeit in das Zentrum der verwaltungsrechtlichen Rechtsquellenlehre gerückt sind. Das Richterrecht, Verwaltungsvorschriften, aber auch die technische Normung weisen nur eine präsumtive Verbindlichkeit auf.[127] Paradigmatisch hierfür steht das Rechtsregime der Verwaltungsvorschrift. Von ihnen kann und muss abgewichen werden, sofern ein atypischer Fall vorliegt.[128]

      32

      Chancen und Gefahren präsumtiver Verbindlichkeit

      Aus einer systemtheoretischen Sicht sind diese relativen Geltungsansprüche ambivalent zu beurteilen.[129] Die dem Recht zugeschriebene Ordnungs- und Stabilisierungsfunktion wird gefährdet, wenn unbedingte Geltungsansprüche durch bloße Argumentationslastregeln abgelöst werden, die unter Umständen erst langwierig im Instanzenzug außer Streit gestellt werden müssen. Diesem Verlust an klarer Orientierung steht aber ein Zugewinn an Sachgerechtigkeit und die Steigerung der Fähigkeit gegenüber, sich schnell an wandelnde Problemlagen anzupassen. Aus dieser Perspektive erscheinen Prinzipien und andere präsumtive Normen als Chance, Defizite zentraler Steuerung zu überwinden. Die mit präsumtiver Verbindlichkeit verbundenen Spielräume müssen nicht zwangsläufig zum Einfallstor willkürlicher Entscheidungen werden. Richtig verstanden, begründen sie Argumentationslastregeln, die nur dann eine Abweichung gestatten, wenn überzeugende Gegengründe geltend gemacht werden. Prozedural kann dies vor allem durch Begründungserfordernisse gesichert werden.[130]

      33

      Systematisierung nach Ordnungsprinzipien

      Die Rechtsquellenlehre systematisiert den Rechtsstoff nach bestimmten Ordnungsprinzipien, die in der Rechtsanwendung beständig reproduziert werden. Ihnen kommt axiomatische Bedeutung zu. Sie grundlegend zu negieren, müsste das Rechtssystem selbst in Frage stellen. Dazu gehört, die Rechtsnormen in Rechtskreise einzuordnen (I.). Innerhalb der Rechtskreise sind verschiedene Normebenen zu unterscheiden (II.). Dort, wo Normen der Rechtskreise und Rechtsschichten in Konflikt geraten, muss der Konflikt aufgelöst werden, um die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung zu sichern (III.). Dabei spielt das Konzept des Stufenbaus der Rechtsordnung eine wichtige Rolle, wonach sich die Rechtsebenen innerhalb eines Rechtskreises in eine hierarchische Ordnung bringen lassen und die übergeordnete Ebene der unteren Ebene Rechtserzeugungsregeln bereitstellt. Besondere Probleme treten in polyzentrischen Rechtsordnungen auf (IV.). Zu den Ordnungsprinzipien der Rechtsquellenlehre gehört zuletzt ihre normative Verankerung, was die Frage nach den Rechtsquellen der Rechtsquellenlehre aufwirft (V.).

      34

      Rechtskreise im Verwaltungsrecht

      Die im verwaltungsrechtlichen Kontext der Bundesrepublik Deutschland relevanten Rechtskreise sind das Völkerrecht, das Unionsrecht, das Bundesrecht, das Landesrecht, das Kommunalrecht

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