Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Holger Hembach
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Trotz des Scheiterns des verbindlichen „Code of Conduct“ bekamen Bestrebungen, die sozialen Folgen wirtschaftlichen Handelns – vor allem großer Unternehmen – zu regulieren, in den 90er Jahren erneut Aufwind. Ein Schlüsselereignis war dabei die Hinrichtung des nigerianischen Journalisten Ken Saro Wiwa und acht weiterer Personen aus seinem Umfeld und die Rolle, die Royal Dutch Shell nach Meinung vieler Beobachter dabei spielte. Saro Wiwa stammte aus dem Volk der Ogoni, das im Nigerdelta ansässig ist. Shell und andere internationale Unternehmen fördern seit den 50er Jahren Öl im Nigerdelta; dies hat dort zu erheblichen Umweltschäden geführt und beeinträchtigt die Lebensgrundlagen der Anwohner. Saro Wiwa war der Kopf einer Bewegung, die sich dafür einsetzte, die Unternehmen für die Schäden verantwortlich zu machen und die Bewohner des Nigerdeltas an den Einnahmen aus der Ölförderung zu beteiligen, des „Movement for the Survival of the Ogoni People (MOSOP)“. Die nigerianischen Behörden versuchten, MOSOP zu unterdrücken. Es kam zu gewaltsamen Konflikten; Saro Wiwa wurde verhaftet, in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und trotz internationaler Proteste hingerichtet. Zahlreiche Kritiker, darunter große internationale Menschenrechtsorganisationen warfen Royal Dutch Shell vor, für die Eskalation und die Hinrichtung der MOSOP-Angehörigen mitverantwortlich zu sein. Royal Dutch Shell habe die nigerianischen Behörden angehalten, gegen die Proteste vorzugehen und sie dabei logistisch unterstützt.67 Die Witwe Saro Wiwas, Esther Kiobel, initiierte Klageverfahren gegen Royal Dutch Shell in den USA und später auch in den Niederlanden, die zum Teil noch andauern.
Durch diesen und andere Fälle erhielt die Frage der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen erneut öffentliche Aufmerksamkeit. Große internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International begannen, sich verstärkt des Themas anzunehmen.
Auf Ebene der UN entstand eine neue Initiative, Standards für das Verhalten internationaler Unternehmen zu entwickeln. Der „Unterausschuss für die Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten“ der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte setzte eine Arbeitsgruppe ein. Diese sollte (unter anderem) Empfehlungen und Vorschläge unterbreiten, um sicherzustellen, dass die Tätigkeit internationaler Unternehmen im Einklang mit den wirtschaftlichen und sozialen Zielen der Länder stünden, in denen sie tätig seien; darüber hinaus hatte sie den Auftrag, den Umfang staatlicher Pflichten zu analysieren, die Aktivitäten derartiger Unternehmen zu regulieren.68 Auf dieser Grundlage entstand die „Working Group on the Working Methods and Activities of Transnational Corporations“. Die Arbeitsgruppe entwickelte – in einem breiten Konsultationsprozess mit verschiedenen Interessengruppen – unter Führung des Rechtsprofessors David Weisbrodt die „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights“. Sie enthielten Regeln und Grundsätze für das Verhalten von Unternehmen in zahlreichen Bereichen, beispielsweise sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten, bürgerliche Rechte und internationales Strafrecht.69 Das Dokument sah verbindliche Pflichten für Unternehmen und einen Mechanismus zur Durchsetzung vor.70 Der Unterausschuss nahm den Entwurf an und leitete ihn an die (damalige) UN-Menschenrechtskommission weiter. Diese dankte dem Unterausschuss für seine Arbeit, teilte aber mit, die Kommission habe den Entwurf nicht erbeten und dieser habe keine rechtliche Bedeutung.71
Die UN-Menschenrechtskommission beschloss, eine breite Konsultation durchzuführen und einen Bericht über die bereits existierenden Normen und Standards bezüglich der menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen zu verfassen. Verschiedene Staaten und Wirtschaftsorganisationen äußerten Kritik, die sich vor allem an der Einführung verbindlicher Regeln entzündete. Diese seien dazu angetan, die freiwilligen Bemühungen von Unternehmen im Bereich CSR zu unterminieren und sie dazu anzuhalten, lediglich minimale Standards zu gewährleisten72; Unternehmen seien bereits über den legalistischen Ansatz im Bereich ihrer sozialen Verantwortung hinweg.73 Auch könnten verbindliche Pflichten für Unternehmen die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte verwässern.74
Dennoch verschwand das Thema nicht von der Agenda. UN Generalsekretär Kofi Annan initiierte eine Initiative, in deren Rahmen sich Unternehmen zu bestimmten Standards im Bereich der Menschenrechte, Arbeitsschutz und Korruptionsbekämpfung bekennen sollten. Der UN Global Compact wurde im Juni 2000 verabschiedet. Unternehmen, die ihm beitreten, müssen sich zu zehn programmatischen Grundprinzipien bekennen und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten umsetzen.75
Darüber hinaus empfahl die UN-Menschenrechtskommission die Ernennung eines Sonderbeauftragten, der sich mit der Frage von Wirtschaftsunternehmen und Menschenrechten auseinandersetzen sollte.76 Der Economic and Social Council der UN folgte der Empfehlung und beauftragte den Generalsekretär der UN, einen Sonderbeauftragten zu ernennen. Am 28.7.2005 verkündete UN-Generalsekretär Kofi Annan die Ernennung des Politikwissenschaftlers John Ruggie zum Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte.
44 Bilchitz, in: Bilchitz/Deva: Building a treaty on Business and Human Rights, S. 7. 45 Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, S. 121. 46 Shaw, International Law, S. 93. 47 Clapham, Non-state Actors, in: Moeckli/Shah/Sivakumaran, International Human Rights Law, S. 562. 48 Herdegen, Principles of International Economic Law, S. 39. 49 Cassese’s International Law, S. 177. 50 Carrillo-Santarelli, Direct International Human Rights Obligations of Non-State Actors – a legal and ethical Necessity, S. 228ff. 51 Bilchitz, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, Corporate Obligations and a Treaty on Business and Human Rights – a constitutional law model?, S. 193. 52 Vgl. etwa EGMR Anheuser-Busch g. Portugal, Beschwerde Nr. 73049/01, Urteil der Großen Kammer vom 11.1.2007; Unistar Ventures GmbH g. Moldau, Beschwerde Nr. 19245/03, Urteil vom 9.12.2008; siehe auch Hembach, Die Beschwerde beim EGMR, S. 54. 53 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations – Global Prospects for Legal Action, S. 137ff. 54 Brief of amici curiae International Law Scholars in support of petitioners im Fall Kiobel v. Royal Dutch Petroleum, S. 8. 55 Lopez, Human Rights Legal Liability for Business Enterprises, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, S. 301f. 56 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 107. 57 Die Darstellung der Entwicklung in den 70er Jahren folgt: Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 29ff. 58 Hamdani/Ruffing, Lessons from the UN Centre on Transnational Corporation for the Current Treaty Initiative, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, S. 28. 59 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 25. 60 New York Times vom 22.3.1972 “I. T.T. said to seek Chile coup in 1970” https://www.nytimes.com/1972/03/22/archives/itt-said-to-seek-chile-coup-in-70-anderson-sayswhite-house-was.html. 61 https://uncitral.un.org/sites/uncitral.un.org/files/media-documents/uncitral/en/acn9_83_e.pdf (Annex IV). 62