Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Holger Hembach
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88 S. 125 des Koalitionsvertrages. 89 NAP, S. 8ff.
VII) Internationale Gesetzgebung zu menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen
1) Herangehensweisen
Wie ausgeführt, setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass die Selbstverpflichtung von Unternehmen auf menschenrechtliche Standards oder freiwillige Maßnahmen allein keinen effektiven Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Tätigkeit gewährleisten können. Es gibt daher in vielen Ländern Gesetze oder konkrete Gesetzgebungsvorhaben, die Pflichten von Unternehmen zur Achtung menschenrechtlicher Standards zum Gegenstand haben.
Grundsätzlich lassen sich dabei zwei Ansätze unterscheiden. Einer besteht darin, die Risiken, die mit der Geschäftstätigkeit von Unternehmen verbunden sind, sowie die Maßnahmen transparent zu machen, mit denen die Unternehmen diese Risiken zu minimieren versuchen. Den Unternehmen werden dazu Berichtspflichten auferlegt. Diese Herangehensweise zielt auf die Macht des Marktes. Konsumenten sollen in die Lage versetzt werden, bei ihren Kaufentscheidungen zu berücksichtigen, inwieweit Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden; die Angst um die eigene Reputation soll Unternehmen dazu bewegen, menschenrechtliche Risiken im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit anzugehen. Beispiele für derartige Gesetze sind der UK Modern Slavery Act, der australische Modern Slavery Act oder der kalifornische Transparency in Supply Chains Act.
Andere Gesetze erlegen den Unternehmen konkrete Pflichten auf, um menschenrechtliche Risiken in ihrer Lieferkette abzumildern. Beispiele hierfür sind das französische „Loi relative au devoir de vigilance des société mères et des entreprises donneuse d’ordre“ oder das niederländische Gesetz über Sorgfaltspflichten bezüglich Kinderarbeit („Wet zorgplicht kinderarbeid“) – von dem allerdings nicht klar ist, ob es in Kraft treten wird.
2) California Transparency in Supply Chains Act
Der California Transparency in Supply Chains Act90 wurde am 30.09.2010 vom Governeur Kaliforniens unterschrieben und trat am 01.01.2012 in Kraft. Er verpflichtet bestimmte große Unternehmen, den Umfang und die Art der Maßnahmen offenzulegen, die sie treffen, um sicherzustellen, dass die Güter, die sie produzieren, nicht von Arbeitern produziert werden, die versklavt sind oder auf andere Weise zur Arbeit gezwungen werden.91 Die Vorschriften sind nicht in einem eigenständigen Gesetz enthalten; die Pflichten, die der California Transparency in Supply Chains Act vorsieht, werden durch Änderungen am „Civil Code“ und am „Revenue and Taxation Code“ normiert.
Das Gesetz findet Anwendung auf gewerbsmäßige Verkäufer („retail seller“) und Hersteller („manufacturer“), die in Kalifornien geschäftlich tätig sind und einen weltweiten Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro erzielen. Der Begriff des gewerbsmäßigen Verkäufers ist definiert durch Verweis auf Steuergesetze als ein Unternehmen, in dessen Steuerbescheid der Verkauf als Hauptgeschäftszweig angegeben ist (Section 1714.43 Civil Code i.V.m. Teil 10.2. der Division 2 des Revenue and Taxation Code).
Hersteller ist ebenfalls definiert über die steuerliche Behandlung als ein Unternehmen, in dessen Steuerbescheid die Herstellung als Hauptgeschäftszweig die Herstellung von Produkten ist.
Diese Unternehmen müssen in Kalifornien geschäftlich tätig sein und weltweite Bruttoeinnahmen von über 100 Millionen Euro erzielen. Ein Unternehmen ist geschäftlich in Kalifornien tätig, wenn es aktiv an geschäftlichen Transaktionen mit dem Ziel der Erzielung von Profit teilnimmt.92
Die betroffenen Unternehmen müssen auf ihrer Webseite Informationen über die Maßnahmen zur Verhinderung von Sklaverei und Menschenhandel in ihrer Lieferkette veröffentlichen. Die Webseite der Unternehmen muss einen gut sichtbaren Link zu dieser Information enthalten; falls das Unternehmen keine Webseite hat, muss es auf Anfrage diese Informationen binnen 30 Tagen zur Verfügung stellen. Die Unternehmen müssen in der Information offenlegen (Section 1714.43 c) des Civil Code):
– Ob und in welchem Umfang sie ihre Lieferketten verifizieren, um Risiken von Menschenhandel und moderner Sklaverei zu evaluieren und Maßnahmen zu ergreifen. Dabei sollen sie auch offenlegen, ob ein Drittunternehmen die Verifikation durchgeführt hat.
– Ob und in welchem Umfang sie Auditierungen von Lieferanten durchführen, um die Einhaltung von Standards bezüglich Sklaverei und Menschenhandel zu gewährleisten.
– Ob und in welchem Umfang es von direkten Lieferanten zertifizieren lässt, dass Materialien, die für das Endprodukt verwendet werden, den Vorschriften über Sklaverei und Menschenhandel in den Ländern entsprechen, in denen sie Geschäfte betreiben.
– Ob und in welchem Umfang es Standards für die interne Verantwortlichkeit und Regeln für Mitarbeiter oder Vertragspartner hat, die den Standards des Unternehmens bezüglich Sklaverei und Menschenhandel nicht entsprechen.
– Ob und in welchem Umfang sie Mitarbeitern oder Angehörigen des Managements, die direkte Verantwortung für die Lieferkette tragen, Training zum Thema Menschenhandel und Sklaverei anbieten, besonders im Hinblick auf die Minderung innerhalb der Lieferkette für Produkte.
Die Berichtspflicht trifft dabei auch Unternehmen, die keine dieser Maßnahmen treffen.93 (Verbraucher sollen sich ja gerade darüber informieren können, ob die Unternehmen in dieser Hinsicht aktiv sind).
3) Der UK Modern Slavery Act
Der „UK Modern Slavery Act“ gehört im Wesentlichen zu den Gesetzen, die zum Schutz vor Menschenrechten durch die Erhöhung von Transparenz und die Information von Verbrauchern beitragen sollen. Verbraucher und Nichtregierunsorganisationen sollen in die Lage versetzt werden, Druck auf Unternehmen auszuüben, damit diese effektive Maßnahmen gegen moderne Sklaverei und Menschenhandel ergreifen.94 Er verpflichtet bestimmte Unternehmen, über die Risiken moderner Sklaverei in ihren Lieferketten zu berichten und die Maßnahmen zu beschreiben, die sie ergreifen, um diese Risiken abzumildern bzw. moderne Sklaverei zu verhindern.
Darüber hinaus führt das Gesetz jedoch auch die Straftatbestände Menschenhandel, Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit ein. Des Weiteren enthält es Regelungen zur Einziehung von Vermögenswerten bestimmter Straftäter, zum Umgang mit Opfern moderner Sklaverei, zur Zuständigkeit bei Straftaten auf See und zur Schaffung des Amtes eines Anti-Sklaverei-Kommissars.
Seine Verabschiedung diente damit auch der Umsetzung internationaler Verpflichtungen95 nach der „Council of European Convention on Action against Trafficking in Human Beings“, nach der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer (2011/36/EU) sowie des Palermo Protokolls.96 Die Einführung spezifischer Delikte, die Sklaverei und Leibeigenschaft unter Strafe stellen, war auch eine Reaktion auf das Urteil des EGMR im Fall C. N. gegen das Vereinigte Königreich, in dem der Gerichtshof geurteilt hatte, dass die Gesetze im Vereinigten Königreich keinen hinreichenden strafrechtlichen Schutz gegen Verletzungen des Verbots von Sklaverei und Zwangsarbeit nach Art. 4 EMRK