Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer

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Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band - Hugo Friedländer

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gesetzt und dabei den Kürzeren gezogen. Das entspricht selbstverständlich in keiner Weise dem Ernst der Sachlage. Herr v. Bennigsen, der sein ganzes Lebensglück und das seiner Kinder zerstört sah, konnte nicht anders als in dieser Weise als Rächer seiner Ehre auftreten. Selbstverständlich soll auch den Duellanten eine möglichst hohe Strafe treffen. Das Gesetz hat gegen Duellanten eine Strafe bis 15 Jahre Festung vorgesehen. Ich habe die Überzeugung, der Gerichtshof wird bei der Strafzuerkennung die gesamten Umstände in Betracht ziehen und auf eine hohe Strafe erkennen Wenn ein Mann im Alter des Angeklagten auf eine Reihe von Jahren seiner Freiheit beraubt wird dann ist das immer eine erhebliche Strafe. Eine entehrende Strafe ist in dem gegenwärtigen Falle nicht möglich. Es muß aber auf eine möglichst hohe Strafe erkannt werden, schon um dadurch eine Verminderung der Duelle herbeizuführen. Es steht fest, daß der Angeklagte seinen Gegner im Zweikampfe töten wollte und auch, daß er der frivole Beleidiger ist. Er hat sich als Freund in das Haus des Herrn v. Bennigsen eingeführt und ist pflichtvergessen genug gewesen, diese ihm gewährte Gastfreundschaft in schmählichster Weise zu mißbrauchen. Er hat dadurch nicht bloß das Familienglück des Herrn v. Bennigsen zerstört, sondern auch durch sein Verhalten im Zweikampfe die fünf Kinder ihres Vaters beraubt. Es ist das um so schlimmer, da die Kinder von der Mutter für immer getrennt sein dürften. Strafmildernd kann hier höchstens in Betracht kommen, daß Frau v. Bennigsen um mehrere Jahre älter als der Angeklagte ist, und daß mithin die Schuld mehr auf seiten der Frau v. Bennigsen liegt. Ich ersuche Sie, meine Herren Geschworenen, die Schuldfragen zu bejahen.

      Vert. R.-A. Dr. Stehmann: Ich kann mich den Ausführungen des Herrn Ersten Staatsanwalts im allgemeinen anschließen, ich weiche nur bezüglich der Ausführungen über das Strafmaß von dem Herrn Ersten Staatsanwalt ab. Ich behalte mir die Ausführung hierüber vor.

      Der Angeklagte erklärte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er nichts mehr zu sagen habe. Der Vorsitzende erteilte den Geschworenen die vorgeschriebene Rechtsbelehrung. Darauf zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Nach kaum 20 Minuten traten die Geschworenen wieder ein. Der Obmann verkündete, daß die Geschworenen beide Schuldfragen bejaht haben. Der Erste Staatsanwalt beantragte, den Angeklagten zu acht Jahren Festung zu verurteilen.

      Vert. R.-A. Dr. Stehmann: Ich muß diesen Strafantrag als einen außergewöhnlich hohen bezeichnen. Es muß doch berücksichtigt werden, daß der Angeklagte offenbar in den Zweikampf ging, um seine Schuld zu sühnen. Ich verkenne nicht, daß der Angeklagte frivol gehandelt hat, allein es darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Angeklagte um mehrere Jahre jünger als Frau v. Bennigsen ist, und daß wohl kaum ein anderer unverheirateter Mann der Verführung dieser Frau widerstanden hätte.

      Erster Staatsanwalt: Diesen Umstand habe ich bereits als Milderungsgrund angeführt und dies auch beim Strafantrage berücksichtigt. Die Festungsstrafe ist verhältnismäßig eine milde, deshalb muß sie aber wenigstens eine hohe sein.

      Nach nur kurzer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor v. Lütcken: Der Gerichtshof hat den Angeklagten wegen Tötung seines Gegners im Zweikampf zu sechs Jahren Festung verurteilt und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Gerichtshof hat bei der Strafzumessung erwogen, daß der Angeklagte die ihm von dem Landrat v. Bennigsen gewährte Gastfreundschaft in schmählichster Weise mißbraucht und sich somit der Lüge und Heuchelei schuldig gemacht hat. Der Angeklagte hat nicht bedacht, daß er durch seine niedere Handlungsweise das Lebensglück der Familie Bennigsen zerstöre und die Zukunft der Kinder vernichte. Er ist augenscheinlich in den Zweikampf gegangen, um seinen Gegner zu töten. Strafmildernd kann nur in Betracht kommen, daß der Angeklagte von der um mehrere Jahre älteren Frau v. Bennigsen verführt worden ist. Deshalb ist, wie geschehen, erkannt worden.

      Der Erste Staatsanwalt und der Angeklagte erklärten, daß sie auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichten. Der Angeklagte, der furchtbar niedergeschlagen aussah und unaufhörlich die Augen zu Boden senkte, wurde hierauf von zwei Gefangenaufsehern wieder abgeführt.

      Der Mordprozeß Knitelius vor dem Schwurgericht zu Magdeburg.

      Das große Publikum geht den in Lumpen gehüllten Gestalten möglichst weit aus dem Wege. Es meidet, soweit es angänglich ist, die Vörstadtstraßen der Millionenstadt, in denen vielfach Armut, Not, Elend, Laster und Verbrechen ihre Heimstätte haben. Das große Publikum weiß wohl, daß es weit draußen in den Vorstädten Berlins ein städtisches Obdach, genannt: »Die Palme« und die »Wiesenburg«, letzteres ein von edlen Menschenfreunden, wie Gustav Thölde, Paul Singer u.a., im Jahre 1869 errichtetes Asyl für Obdachlose gibt, in die jahraus jahrein allabendlich Männer, Frauen und Kinder in großen Scharen strömen, da sie weder ein Heim besitzen, noch ein Stückchen Brot zu essen haben. Allein, wo diese Stätten der Armut belegen sind, wissen zumeist selbst nicht die geborenen Berliner. Die in Lumpen gehüllten Stammgäste der Vorstadtkaschemmen und Nachtasyle sind aber keineswegs sämtlich Verbrecher oder Arbeitsscheue. Vielfach sind es Leute, die einstmals bessere Tage gesehen haben und gänzlich unverschuldet zu Bettlern herabgesunken sind. Es gibt unter diesen Unglücklichen auch viele, die gern arbeiten wollen, aber vergeblich nach Arbeit suchen. Wer die Hauptstraßen der Residenz durchschreitet und die prächtig dekorierten Schaufenster in Augenschein nimmt, der ahnt nicht, welch furchtbare Nachtseiten das prächtige Berlin in den entlegenen Vorstadtstraßen birgt. Allein die Verbrecher, in Lumpen gehüllt, sind wenig gefährlich, man kann ihnen aus dem Wege gehen. Die Polizei hat auch ein scharfes Auge auf diese Leute. Das große Publikum ahnt aber zumeist nicht, daß die gefährlichen Verbrecher in elegantester Kleidung, mit durchaus weltstädtischen Manieren sich in den Hauptstraßen bewegen und Stammgäste der feinsten im Herzen Berlins belegenen Lokale sind. In der Straße Unter den Linden, und zwar an der Südseite, in allernächster Nähe des russischen Botschaftspalais, existierte viele Jahre das Café Westminster, ein hochelegantes Café, mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet. In diesem Café bestand die große Mehrzahl der ständigen Besucher aus notorischen Verbrechern gefährlichster Art. In Kreisen der Kundigen wurde dies Café das Verbrechercafé genannt. Man konnte dort Ringnepper, Pfandscheinschieber, Juwelenschieber, Einbrecher, Falschspieler, Taschendiebe, elegante Zuhälter ganz besonders nachmittags zur Kaffeezeit, aber auch in den Abend- und Nachtstunden in großer Zahl antreffen. Selbstverständlich fehlte auch die zu diesen Leuten gehörende »Damenwelt« nicht. Diese Menschen, die aller ehrlichen Arbeit grundsätzlich aus dem Wege gehen, aber trotzdem ein zumeist geradezu schwelgerisches Leben führen, kennen sich vielfach untereinander und wissen womöglich auch die »Leistungsfähigkeit« der einzelnen zu beurteilen. Der Unkundige, der ein solches Café besucht, hat jedoch gewöhnlich keine Ahnung, in welche Gesellschaft er geraten ist. Das Café Westminster ist seit einiger Zeit in ein solides Restaurant umgewandelt worden, es gibt aber in Berlin noch eine unendlich große Zahl anderer eleganter Cafés, in denen die feine Verbrecherwelt verkehrt. Auch zu Lebzeiten des Café Westminster gab es zahlreiche andere Cafés, in denen die feine Verbrecherwelt anzutreffen war. Diese Menschen beschränken ihre Tätigkeit keineswegs auf Berlin; die hauptstädtischen Gefilde sind dieser Art von Verbrechern bei weitem nicht ergiebig genug. Die Stammgäste der Berliner Verbrecherkaste sind oftmals plötzlich auf einige Zeit spurlos verschwunden. Wenn sie wieder in feinster Toilette in ihrem Berliner Stammcafé, womöglich am Arme einer hochelegant gekleideten, feschen jungen »Dame« erscheinen, sich in schwellenden Polstersesseln wiegen und mit Grandezza ihren Mokka schlürfen, da liest man vielleicht, in irgendeiner Provinzstadt sei ein großer Einbruch oder gar ein Raubmord verübt worden. Der oder die Täter sind unerkannt entkommen. Der Unkundige ahnt nicht, daß der feine Herr mit dem goldenen Pincenez, der an der Seite einer hübschen jungen Dame ihm gegenüber auf dem Sofa sitzt, der Einbrecher oder gar der Mörder ist, von dessen ruchloser Tat er soeben durch die Zeitung Kenntnis erhalten hat.

      Zu den Stammgästen des Café Westminster gehörte vor einigen Jahren ein netter junger Mann, namens Otto Knitelius. Sein einnehmendes Äußere war im höchsten Grade vertrauenerweckend. Oftmals erschien er am Arm einer bildschönen, schneidigen, äußerst schick gekleideten jungen Dame.

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