Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
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Zeuge: Ich hatte genügende Verdachtsgründe, daß der Angeklagte sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht habe. Ich verbitte mir im übrigen eine Kritik meiner Amtshandlungen.
Vors.: Ich muß Ihnen bemerken, Herr Kriminalkommissar, daß der Herr Verteidiger das Recht hat, diese Frage zu stellen.
Kriminalkommissar Klinghammer bekundete ferner: Eines Tages kam Knitelius zu mir ins Bureau und beschwerte sich, daß sein Bild im Verbrecheralbum stehe, er sei doch kein Verbrecher. Ich sagte ihm wahrheitsgemäß, sein Bild sei nicht im Verbrecheralbum; in das Album kommen nur Leute, die rechtskräftig wegen eines Verbrechens verurteilt worden sind. Ich legte auch dem Angeklagten das Album vor, damit er sich selbst überzeugen konnte, daß sein Bild nicht darin enthalten sei.
Angekl.: Weiß sich der Herr Kriminalkommissar zu erinnern, daß er einen Brief, den er bei mir fand, zu meinen Gunsten hat verschwinden lassen, weil er mich als Spitzel benutzen wollte? (Bewegung im Zuhörerraum.)
Klinghammer: Ich erkläre diese Behauptung des Angeklagten für eine grobe Lüge. Ich habe ein öffentliches Amt und werde niemals eine Handlung begehen, durch die ich ins Zuchthaus kommen kann. Ich erkläre diese Behauptung des Angeklagten als frei erfunden.
Angekl.: Es waren damals falsche Dollarnoten in Umlauf; ich sollte dem Herrn Kommissar zur Feststellung der Fälscher bzw. Verbreiter behilflich sein.
Auf ferneres Befragen bemerkte der Zeuge: Als der Mord in Magdeburg in Berlin bekannt wurde, sagte mir Privatdetektiv Krumme: Nitter ist bei mir eine Zeitlang Detektiv gewesen. Hätte ich nur die Sache früher erfahren, Knitelius habe ich am 27. Oktober noch in Berlin gesehen. Der Umstand, daß der Komplice Nitters sich als in Mainz geboren in den Anmeldezettel einschrieb, spricht auch für die Täterschaft des Knitelius. Letzterer spricht unverkennbaren süddeutschen Dialekt, er konnte sich nicht als aus Norddeutschland stammend ausgeben.
Kriminalkommissar Weiland (Berlin) bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Ein Mann, namens Lange, in Berlin besorgt in der Hauptsache Juwelenschieberwaren.
Auf Antrag des Staatsanwalts wurde beschlossen, den Kriminalkommissar Krüger (Berlin) telegraphisch zu laden.
Es sollte alsdann der Komplice des Angeklagten, Nitter, als Zeuge vernommen werden. Der Staatsanwalt beantragte, während der Vernehmung des Nitter den Angeklagten aus dem Saale zu führen. Es sei bekannt, daß der Angeklagte durch seinen eigentümlichen Blick den Zeugen beeinflussen könnte.
Vors.: Ich muß bemerken, daß dem Angeklagten die Zeugenaussage jedenfalls mitgeteilt werden und ihm Gelegenheit gegeben werden muß, in Gegenwart des Zeugen sich darauf zu äußern.
Vert.: Ich widerspreche dem Antrage. In einem Prozeß, wo es sich um die schwerste Strafe handelt, die das Strafgesetzbuch kennt, ist es dringend geboten, dem Angeklagten volle Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Wenn ein so wichtiger Zeuge wie Nitter in Abwesenheit des Angeklagten vernommen wird, dann ist die Verteidigung in hohem Maße beschränkt.
Der Gerichtshof beschloß nach kurzer Beratung, zunächst einen Strafanstaltsbeamten über die Glaubwürdigkeit des Nitter zu vernehmen, alsdann werde sich der Gerichtshof über den Antrag des Staatsanwalts schlüssig machen.
Fräulein Johanna Vogt: Sie habe am Abend des 24. Oktober 1908 zwei junge Männer in Magdeburg gesehen. Nach der Photographie habe sie Nitter sofort wiedererkannt. Der Angeklagte sehe der Figur und Haltung nach dem zweiten Mann ähnlich, mit Bestimmtheit könne sie aber nicht sagen, daß es der Angeklagte war.
Schneidermeister Berigke und Tochter bekundeten: Am Abend des 24. Oktober 1908 haben zwei junge Leute, von denen sich einer Hans Schröder, aus Breslau kommend, nannte, bei ihnen in der Anhaltstraße hierselbst ein Zimmer für eine Nacht gemietet. Den einen haben sie nach der Photographie sofort wiedererkannt, allem Anscheine nach sei der Angeklagte der zweite Mann, mit Bestimmtheit könne sie das aber nicht behaupten.
Strafanstaltssekretär Klink (Groß-Strehlitz): Er habe mehrfach mit Nitter über die Tat in Magdeburg gesprochen. Nitter habe stets gesagt: Der Mittäter war Knitelius. Er habe unter dem Einfluß von Knitelius gestanden. Nitter hegte die Befürchtung, daß er infolge der Verhandlung gegen Knitelius strenger bestraft werden könnte.
Vert.: Der Angeklagte ersucht, ihm Gelegenheit zu geben, mit mir dieses Punktes wegen auf einige Augenblicke allein sprechen zu dürfen. Der Vorsitzende unterbrach die Sitzung und gestattete, daß der Angeklagte im Beisein eines Schutzmanns und eines Gefängniswärters mit dem Verteidiger sich besprach.
Nach Beendigung der Konferenz wiederholte der Staatsanwalt den Antrag, den Zeugen Nitter in Abwesenheit des Angeklagten zu vernehmen. Der Verteidiger widersprach dem Antrage. Der Angeklagte bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er sich den Ausführungen seines Verteidigers anschließe.
Nach längerer Beratung verkündete der Vorsitzende: Da zu befürchten ist, daß der Zeuge Nitter in Anwesenheit des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen wird, hat der Gerichtshof beschlossen, den Zeugen Nitter in Abwesenheit des Angeklagten zu vernehmen. Der Angeklagte ist hinauszuführen.
Unter allgemeiner Spannung wurde darauf Nitter, ein mittelgroßer, bartloser, rothaariger Mensch von 24 Jahren, als Zeuge in den Saal geführt. Er wurde vom Vorsitzenden in eindringlichster Weise ermahnt, die Wahrheit zu sagen, niemandem zuliebe und niemandem zuleide. Der Zeuge äußerte alsdann auf Befragen des Vorsitzenden, und zwar in ziemlich gewähltem, fließendem Deutsch: Er sei wegen eines Einbruchdiebstahls in Breslau und des hier in der Hirsch-Apotheke begangenen Einbruchs mit 6 Jahren Zuchthaus bestraft; davon habe er bereits 1 1/4 Jahr verbüßt. Er sei in Berlin mit Knitelius bekannt geworden. Eines Tages habe er sich mit Knitelius über das internationale Leben unterhalten. Auf Vorschlag von Knitelius, so etwa fuhr Nitter fort, beschlossen wir, nach Magdeburg zu fahren. Ich fuhr Sonnabend den 24. Oktober, ein Uhr mittags, nach Magdeburg. Knitelius wollte nachkommen. Wir wollten in Magdeburg Juwelen versetzen und uns die »öffentlichen Häuser« ansehen. Hier traf ich zufällig einen Bekannten aus Berlin, der mir als Einbrecher bekannt war. Er wurde seiner schönen schwarzen Haare wegen der »schwarze Artur« genannt. Dieser machte sofort den Vorschlag, einen Einbruch zu begehen. Da ich nur noch wenig Geld hatte, erklärte ich mich einverstanden. Gegen acht Uhr abends traf Knitelius in Magdeburg ein. Ich hatte mich in der Anhaltstraße einquartiert und versuchte, Knitelius bei denselben Wirtsleuten unterzubringen. Da aber dort kein Zimmer mehr zu haben war – der »schwarze Artur« wohnte bereits dicht neben meinem Zimmer –, mietete sich Knitelius im Vorderhaus ein Zimmer. Ich besuchte alsdann mit Knitelius ein Varietétheater und darauf mehrere Cafés. Am folgenden Tage gingen wir zusammen Mittag essen. Ich erzählte dem Knitelius, daß ich den »schwarzen Artur«, der als Einbrecher aus Berlin bekannt sei, getroffen und daß mir dieser den Vorschlag gemacht habe, einen Einbruch zu begehen. Knitelius sagte: Solche Dinge sind mir zu kleinlich, mache deine Einbrüche, mit wem du willst, ich mache nicht mit. Ich traf einige Zeit später den »schwarzen Artur«. Mit diesem ging ich durch mehrere Straßen. Vorher hatten wir uns geladene Revolver eingesteckt. Wir sahen uns um, wo etwas zu stehlen war. Zunächst versuchten wir in eine Drogerie einzudringen; das gelang uns aber nicht. Wir kamen schließlich an der Hirsch-Apotheke am Breiten Weg vorüber. Wir beschlossen, in die Apotheke einzudringen. Nachdem wir verschiedene Kasten aufgezogen hatten, hörten wir plötzlich schließen. Die Tür ging auf und ein Mann stand vor uns. In diesem Augenblick krachte ein Schuß. Ich wußte gar nicht, was geschehen war, ich sah aber den Mann zusammenbrechen. Der »schwarze Artur« nahm Reißaus, ich flüchtete ebenfalls, wurde aber von einem Radfahrer verfolgt. Ich wurde schließlich gefaßt.
Vors.: Sie sind mindestens zehnmal vernommen