Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
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Frau Patze: Knitelius ist der Mann, der am 24. Oktober bei mir ein Zimmer gemietet hat, ich kenne ihn mit voller Bestimmtheit wieder.
Fräulein Anni Patze, Tochter der Vorzeugin, schloß sich der Bekundung ihrer Mutter an.
Die Schreibsachverständigen Dr. med. Georg Meyer (Berlin) und Rechnungsrat Pietsch (Magdeburg) begutachteten: Die ihnen vorgelegte Anmeldung sei mit der Unterschrift, die Knitelius nach Verlesung des Protokolls beim Untersuchungsrichter gemacht habe, vollständig identisch.
Am vierten Verhandlungstage teilte Staatsanwalt Schütte mit: Ich habe folgendes Telegramm von der Berliner Kriminalpolizei erhalten: »Schwarzer Artur nicht reisefähig.« Ich bemerke, daß ich auf die Vernehmung des »schwarzen Artur« gar keinen Wert lege. Der Zeuge Nitter sagte gestern: Es kommt darauf an, ob der ermittelte »schwarze Artur« derselbe ist, den ich meine. Ich bin danach der Überzeugung: Wir könnten dem Nitter zehn schwarze Arturs vorstellen, dann würde er immer sagen: Das ist nicht der »schwarze Artur«, den ich meine. Das wäre also eine Kette ohne Ende. Ich stelle aber anheim, daß sich die Herren Geschworenen über diese Angelegenheit äußern.
Vors.: Das ist nach der Strafprozeßordnung nicht zulässig. Die Herren Geschworenen können nur persönliche Wünsche äußern.
Ein Geschworener: Ich habe den persönlichen Wunsch, zu wissen, ob der ermittelte »schwarze Artur« der Beschreibung des Nitter entspricht.
Staatsanwalt: Nitter hat lediglich gesagt: Der »schwarze Artur«, den er meine, sei elegant gekleidet, zirka 30 Jahre alt gewesen, hatte schönes schwarzes Haar und einen schwarzen Schnurrbart. Geschworener: Dann habe ich den persönlichen Wunsch, eine Beschreibung des in Berlin ermittelten »schwarzen Artur« zu erhalten.
Vors.: Es würde sich empfehlen, Herrn Kriminalkommissar Weiland zu beauftragen, nach Berlin zu fahren, sich den »schwarzen Artur« anzusehen und alsdann vor Gericht das Aussehen zu schildern.
Kriminalkommissar Weiland: Die Photographie des »schwarzen Artur« wird wahrscheinlich im Berliner Verbrecheralbum enthalten sein.
Vors.: Die Photographie im Verbrecheralbum genügt nicht. Es ist alsdann notwendig, daß der Photograph, der die Photographie bewirkt hat, zeugeneidlich erklärt, daß das Bild des »schwarzen Artur« im Verbrecheralbum naturgetreu ist. Es würde sich vielleicht empfehlen, den Zeugen Nitter nach Berlin zu transportieren und ihm den »schwarzen Artur« vorzustellen.
Staatsanwalt: Ich halte eine solche Prozedur für zwecklos und auch für bedenklich. Es liegt die Gefahr vor, daß Nitter in Berlin entweicht.
Vert. R.-A. Boré: Die Verteidigung legt auf die Feststellung des »schwarzen Artur« gar keinen Wert. Ich bin der Ansicht, daß der »schwarze Artur«, den Nitter meint, überhaupt nicht existiert.
Vors.: Der Gerichtshof behält sich die Beschlußfassung bis zum Eintreffen des Kriminalkommissars Krüger aus Berlin vor.
Es wurde alsdann nochmals Fräulein Anni Patze vorgerufen. Der Vorsitzende befahl, daß der Angeklagte der Zeugin gegenübertrat und sich den Hut aufsetzte. Die Zeugin bemerkte: Sie erkenne jetzt, auch an der Aussprache, den Angeklagten, mit vollster Bestimmtheit wieder. »Das ist der Mann, der am 24. Oktober 1908, abends bei uns ein Zimmer gemietet hat.«
Aufwartefrau Niewerth: Sie war zur Zeit Aufwärterin bei Patze. Sie habe aber den damaligen Mieter nur flüchtig gesehen, könne daher nicht sagen, ob es der Angeklagte war.
Büfettier Giesche (Duisburg): Ich war im Oktober 1908 Verkäufer in der hiesigen Zigarrenverkaufsfiliale von Löser & Wolff am Breiten Weg. Ich erinnere mich ganz genau, daß am Sonnabend vor dem Mord in der Hirsch-Apotheke zwei junge Leute in unsern Laden kamen und Zigarren kauften. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß der eine Mann Nitter war; ob der andere der Angeklagte war, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Am folgenden Tage, nachmittags gegen 1 3/4 Uhr, kurz vor Ladenschluß, kamen die zwei jungen Leute wieder zu uns und kauften Zigarren. Der eine war Nitter, der andere Knitelius. Ich erkenne ihn mit voller Bestimmtheit wieder. Es fiel mir auf, daß Knitelius, ebenso wie heute, mit einem Auge zwinkerte.
Angekl. (der dem Zeugen gegenüberstand): Sie zwinkern ja selbst mit dem einen Auge, das ist doch also kein Erkennungszeichen.
Zeuge: Ich habe mir die beiden jungen Leute schon deshalb genau angesehen, weil ich den Eindruck erhielt, daß es nicht anständige Leute waren.
Angekl.: Hielten Sie uns vielleicht für Zuhälter?
Zeuge: Das will ich nicht sagen. Als ich von der Ermordung des Apothekenbesitzers Rathge hörte, sagte ich sofort zu unserem Geschäftsführer: Das sind wahrscheinlich die jungen Leute gewesen, die gestern bei mir Zigarren kauften. Ich erkenne Knitelius auch an dem kurzgeschnittenen Schnurrbart wieder.
Fräulein Tilgner: Sie war zur Zeit Insassin eines hiesigen »Freudenhauses«. Am Abend vor dem Mord in der Hirsch-Apotheke kamen zwei junge Leute. Der eine war bartlos und rotblond, der andere war schwarz und hatte einen kurzgeschnittenen Schnurrbart. Der Rotblonde war zweifellos der hier sitzende Nitter, den anderen habe sie nur flüchtig gesehen. Sie glaube, daß es Knitelius war, mit Bestimmtheit könne sie es aber nicht behaupten.
Nitter äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Am Abend des 24. Oktober 1908 sei er mit Knitelius in einem Magdeburger »Freudenhaus« gewesen.
Zeugin: Die verstorbene Haars, mit der der Angeklagte verkehrt, habe, als sie hörte, daß die beiden jungen Leute den Mord begangen haben, gesagt: Der Mann hat mir vielleicht auch etwas antun wollen.
Droschkenkutscher Rusten: Am Tage nach dem Morde in der Hirsch-Apotheke, Montag, den 26. Oktober 1908, habe er einen jungen Mann von der Anhaltstraße nach dem Bahnhof gefahren. Der junge Mann hatte es sehr eilig. Er hatte einen schwarzen Koffer und ging ohne Überzieher.
Der Vorsitzende befahl, daß der Angeklagte dem Zeugen gegenübergestellt wurde.
Zeuge: Er könne nicht mit Bestimmtheit sagen, daß der junge Mann der Angeklagte war.
Provisor Schreier: Er sei im Oktober 1908 Provisor in der Hirsch-Apotheke gewesen. Eine Anzahl Kasten in der Apotheke waren durchwühlt. Die Diebe haben augenscheinlich nach der Wechselkasse gesucht. Sein ermordeter Chef hatte das Geld auf die Bank gegeben, es waren aber gewöhnlich einige hundert Mark im Hause. Er könne sich nicht erinnern, den Angeklagten oder Nitter jemals gesehen zu haben.
Kriminalkommissar Krüger (Berlin): Auf Anordnung der Berliner Kriminalpolizei wurde ärztlich festgestellt, daß weder Artur Peters, genannt der »schwarze Artur«, noch der Athlet Arndt reisefähig seien. Die Photographie des »schwarzen Artur« ist nicht im Berliner Verbrecheralbum enthalten. Der »schwarze Artur« ist 1873 geboren. Er ist Gewohnheitssäufer und war bereits mehrere Male in Irrenhäusern und Trinkerheilanstalten. Gemeingefährlich geisteskrank ist der »schwarze Artur« nicht. Er ist einmal wegen gemeinsamen schweren Diebstahls mit sechs Monaten Gefängnis bestraft; das war die höchste Strafe, die er erlitten hat. Außerdem wurde er wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruchs, Beleidigung usw. bestraft. Er behauptet, weder Nitter noch Knitelius zu kennen und will den Nachweis führen, daß er vom 18. bis 31. Oktober 1908 in der chemischen Fabrik von Busse in der Schwäbischen Straße in Berlin gearbeitet