Pitaval des Kaiserreichs, 3. Band. Hugo Friedländer
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Angekl.: Jawohl.
Vors.: Sie wohnten damals mit der Bethge zusammen?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Sie haben Herrn von P. schließlich geschrieben, daß er sich des Bruches des Ehrenwortes schuldig gemacht habe, weil er Ihnen die 10000 Mark nicht gegeben hatte.
Angekl.: Hauptsächlich, weil er Fräulein Bethge länger behielt, als er versprochen hatte.
Vors.: Sie haben in Berlin stets Waffen bei sich geführt?
Angekl.: Das ist richtig.
Vors.: Weshalb hatten Sie die Waffen?
Angekl.: Einmal fürchtete ich die Rache des Herrn von P., und andererseits fürchtete ich, Einbrecher könnten mir meine Juwelen stehlen.
Vors.: Was hatten Sie für Waffen?
Angekl.: Eine Browningpistole.
Vors.: Eine Zeitlang hatten Sie auch einen Hammer?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Hatten Sie nicht auch Einbruchwerkzeuge?
Angekl.: Nein.
Vors.: Sie sind nun am 27. Oktober 1908 plötzlich aus Berlin spurlos verschwunden und erst nach länger denn zwei Jahren in Rio de Janeiro aufgetaucht. Selbst Ihre Mutter wußte Ihren Aufenthalt nicht. Wie erklären Sie das?
Angekl.: Ich hatte mich in Weißensee bei Versatzgeschäften strafbar gemacht. Deshalb verließ ich eiligst Berlin.
Vors.: Sie werden doch zugeben, daß es ungemein auffallend ist, daß Sie gerade zu der Zeit aus Berlin und aus Deutschland verschwanden, nachdem hier der Apothekenbesitzer Rathge ermordet war?
Angeklagter schwieg.
Auf ferneres Befragen äußerte der Angeklagte: Er habe, als er aus Berlin flüchtete, zunächst verschiedene Hauptstädte Europas besucht. Von Lissabon sei er nach Monte Carlo gereist, um die Dame, mit der er gereist war und die sich dort eines Lungenleidens wegen aufhielt, zu besuchen.
Vors.: Wie lange waren Sie in Monte Carlo?
Angekl.: Acht Wochen.
Vors.: Haben Sie dort deutsche Zeitungen gelesen?
Angekl.: Jawohl.
Vors.: Haben Sie alsdann von dem Mord in Magdeburg gelesen?
Angekl.: Nein, ich habe davon erst gehört, als ich in Rio de Janeiro festgenommen wurde.
Vors.: Lesen Sie denn überhaupt Zeitungen?
Angekl.: Ich lese sehr viele Zeitungen.
Vors.: Und trotzdem haben Sie, solange Sie in Europa waren, niemals gelesen, daß in Magdeburg ein Apothekenbesitzer ermordet wurde, und daß Sie des Mordes dringend verdächtig sind?
Angekl.: Ich habe niemals etwas von dem Morde gehört.
Vors.: Den gegen Sie erlassenen Steckbrief, der in zahlreichen Zeitungen erlassen wurde, haben Sie nicht gelesen?
Angekl.: Nein.
Vors.: Von wem hatten Sie das Geld zur Überfahrt nach Brasilien?
Angekl.: Die Dame in Monte Carlo gab mir 10000 Mark.
Der Angeklagte bemerkte ferner auf Befragen des Vorsitzenden: Er habe in Rio de Janeiro unter dem Namen Andreas Walter gelebt und deutschen Sprachunterricht erteilt.
Vors.: Weshalb hatten Sie einen falschen Namen angenommen?
Angekl.: Ich fürchtete, wegen der Brillantenschwindeleien in Weißensee verfolgt zu werden.
Der Angeklagte schilderte alsdann in ausführlicher Weise seine Verhaftung in Rio de Janeiro.
Vors.: Treten Sie einmal an den Richtertisch. Sie haben im Jahre 1905 eine behördliche Eingabe geschrieben und haben, als Sie hier vom Untersuchungsrichter vernommen wurden, das Protokoll unterschrieben. Es gewinnt den Anschein, als ob Sie hier Ihre Handschrift absichtlich verstellt hätten?
Angekl.: Ich schreibe jetzt nur etwas dicker als früher.
Vors.: Sie haben auch Ihr Äußeres gegen früher verändert?
Dem Angeklagten wurde eine Photographie vorgelegt und ihm alsdann vom Vorsitzenden befohlen, seinen weißen Strohhut, Reisemütze und schwarzen steifen Filzhut aufzusetzen.
Vors.: Es ist jedenfalls auffallend, daß Sie leugneten, Nitter zu kennen, daß Sie bestritten haben, Knitelius zu heißen, daß Sie Ihre Handschrift verstellten, und daß Sie sofort nach dem Morde spurlos aus Europa verschwanden. Ich bemerke Ihnen außerdem, daß Nitter Sie anfänglich nicht kennen wollte, später aber mit voller Bestimmtheit behauptet hat, daß Sie den Apothekenbesitzer Rathge erschossen haben.
Angekl.: Das kann Nitter unmöglich behaupten. Unter seinem Eide wird er bei seiner Behauptung nicht bleiben.
Vors.: Nitter hat absolut kein Interesse, einen Unschuldigen zu beschuldigen.
Medizinalrat Dr. Keferstein nahm hierauf an dem Angeklagten Messungen vor.
Es wurde alsdann Waffenhändler Schulz als Zeuge vernommen. Dieser war unmittelbar nach dem Morde an den Tatort gekommen. Er schilderte in ausführlicher Weise seine Wahrnehmungen. Der ermordete Rathge schrie: »Haltet ihn, er hat geschossen!« Rathge hatte auch noch soviel Kraft, um Nitter zu fassen. Rathge fiel sehr bald zu Boden und jammerte: »Ich werde wohl sterben.« Sehr bald verlor er das Bewußtsein. Rathge erzählte vorher: Als er ins Kontor trat, sei sofort geschossen worden. Nitter bestritt, etwas begangen zu haben; er sei zufällig in die offene Vorhalle eingetreten, da er etwas kaufen wollte. Dem Nitter sei sofort eine noch rauchende Pistole und ein Hammer abgenommen worden. Er (Zeuge) habe einen zweiten Mann fortlaufen sehen, er sah dem Angeklagten ähnlich, er könne aber nicht sagen, daß es der Angeklagte war.
Fräulein Rathge, Schwester des ermordeten Apothekenbesitzers, schilderte in eingehender Weise den Vorgang. Sie habe ihrem Bruder die erste Hilfe geleistet. Ihr Bruder habe ihr gesagt, er habe im Halbdunkel die Männer nicht erkennen können und sie für Bekannte gehalten. In demselben Augenblick, als er ins Kontor trat, sei geschossen worden.
Medizinalrat Dr. Keferstein begutachtete: Rathge sei infolge der in den Bauch erhaltenen Schußverletzung am 28. Oktober 1908 an Bauchfellentzündung gestorben.
Kriminalkommissar Eggert (Magdeburg) schloß sich im allgemeinen den Bekundungen des Fräulein Rathge an. Nitter habe sich zunächst Schröder genannt und angegeben, seinen Komplicen nicht zu kennen. Erst nach einigen Tagen habe er zugegeben, daß es Knitelius war.
Kriminal-Polizeiinspektor Schmidt: Ich hatte sofort die Überzeugung,